"Die Todesstrafe wirkt nicht abschreckend"

Robert Spaemann im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 23.09.2011
Darf ein Staat seine Bürger töten? Es gebe dafür durchaus "philosophische Argumente", sagt der Philosoph Robert Spaemann und ergänzt, dass diese nicht überzeugend seien. In Gesellschaften mit Todesstrafe gebe es nicht weniger Morde als anderswo.
Jan-Christoph Kitzler: "Der Unfall in der Nacht war nicht mein Fehler, ich hatte keine Waffe, ich habe euren Vater und Sohn nicht getötet, ich bin unschuldig." Das waren die letzten Worte von Troy Davis. Nun kommt es oft vor, dass sich Menschen vor Gericht für unschuldig halten, aber im Fall Troy Davis gab es bis zum Schluss Zweifel an den Beweisen: keine Fingerabdrücke, keine Tatwaffe, sieben Zeugen haben ihre Aussage zurückgezogen.

Doch genützt hat das nichts; Troy Davis, der 42-jährige Afroamerikaner, wurde hingerichtet mit einem Gift-Cocktail im US-Bundesstaat Georgia, gestern Früh unserer Zeit. Seitdem hat sich die Debatte um die Todesstrafe noch einmal verstärkt. Darf ein Staat seine Bürger töten? Und warum ist die Todesstrafe ein philosophisches Dilemma? Das bespreche ich jetzt mit dem Philosophen Robert Spaemann, er war Professor in Heidelberg, Stuttgart und München. Schönen guten Morgen!

Robert Spaemann: Guten Morgen.

Kitzler: Gibt es eigentlich aus Sicht des Philosophen Gründe für die Todesstrafe?

Spaemann: Ja, die gibt es schon. Die können sie bei Immanuel Kant vor allen Dingen finden, der sich ausdrücklich und relativ ausführlich zu dem Thema geäußert hat. Sie können es auch bei Hegel finden, und ich könnte noch mehr aufzählen. Also es gibt philosophische Argumente für die Todesstrafe, die, um es vorweg zu sagen, mich alle nicht vollkommen überzeugen.

Kitzler: Welche Gründe, welche Argumente sind das?

Spaemann: Na ja, also der Gedanke, dass das Recht auf Leben dem zusteht, der dieses Recht selbst bejaht. Wenn er das Recht verneint durch seine Tat, kann er nicht anschließend sagen, ja aber mein Leben dürft ihr nicht antasten, das kann ich zwar tun, aber das dürft ihr nicht tun. Da stimmt irgendwas nicht.

Kitzler: Jemand, der einem anderen das Leben nimmt, der hat sozusagen nicht das Recht, selber zu leben. Heißt das denn im Umkehrschluss, ihm muss auch das Leben genommen werden?

Spaemann: Ja, und das ist nun der Schluss, den ich nicht ziehen würde. Ich würde sagen, es stimmt in der Tat, dass er einen subjektiven Anspruch auf Leben verwirkt hat, denn es würde ja zynisch wirken, wenn er sagen würde, also so wie der Mann, der sich gegen die Folterdrohung gewehrt und geklagt hat, wie der sagte, ja ich durfte zwar diesen Jungen umbringen, aber mir darf niemand etwas Analoges antun. Aber das ergibt noch keinen Grund, ihn zu töten.

Das ist zunächst nur ein Grund dafür, dass er den subjektiven Anspruch eingebüßt hat und dass man einen zusätzlichen Grund haben müsste, um ihn zu töten. Also ich bin zum Beispiel der Meinung, wenn die Todesstrafe abschreckend wirken würde, dass das ein Grund wäre, den Mörder mit dem Tode zu bestrafen. Aber die Todesstrafe wirkt nicht abschreckend.

Kitzler: Aber Strafe soll ja auch andere abschrecken, nicht nur den Täter selbst.

Spaemann: Ja natürlich, vor allen Dingen andere. An die denke ich. Aber das funktioniert nicht. Das heißt, in Gesellschaften, in Staaten, wo es die Todesstrafe gibt, gibt es nicht weniger Morde als in Staaten, die keine Todesstrafe haben. Also der Abschreckungseffekt, das ist eben einfach empirisch nachgewiesen, existiert nicht.

Kitzler: Ist nicht das wichtigste Argument gegen die Todesstrafe, dass es keine Möglichkeit gibt, Justizirrtümer, die es ja immer geben kann, wieder gutzumachen?

Spaemann: Das ist ein ganz wichtiger Grund. Deshalb ist dieses Urteil, diese Hinrichtung in Amerika auch ganz besonders skandalös, weil offensichtlich die Beweise nicht so waren, dass kein weiterer Zweifel möglich ist, und das Prinzip, im Zweifel für den Angeklagten, muss gelten. Nur muss man natürlich immer überlegen, von welchem Tod man spricht. Jetzt sind wir uns alle einig darüber, dass wir die Todesstrafe für ganz übel halten in Bezug auf diesen Mann. In der gleichen Nacht wurde, ich glaube, in Kalifornien jetzt ein anderer hingerichtet; das war ein Weißer, der aus Wut über einen Schwarzen – ich weiß nicht aus welchem Grunde – diesen Schwarzen an sein Auto gebunden und zu Tode geschleift hat. Der Mann ist auch zum Tode verurteilt worden, und hier kann das Urteil doch wohl auf eine breite Zustimmung rechnen, weil man sagt, wer etwas so übles tut, der hat das Recht auf Leben verwirkt.

Im Mittelalter gab es das Institut der Vogelfreiheit. Das hieß nicht, der Staat tötet, sondern der Staat entzieht dem Mörder seinen Schutz. Das heißt, wer ihn töten will, kann ihn töten, ohne dass ihm etwas passiert. Das geht heute nicht mehr, in einer zivilisierten Gesellschaft kann man nicht Leute herumlaufen lassen mit der Erlaubnis, sie umzubringen. Deshalb haben wir die lebenslängliche Freiheitsstrafe.

Kitzler: Und der Staat hat das Gewaltmonopol. Todesstrafe ist sicher ja ein Thema in Diktaturen, in China, im Iran, aber auch in einem urdemokratischen Land, eben wie in den USA ist das in breiten Kreisen sehr, sehr populär. Ein Präsident, der die Todesstrafe abschaffen wollte, der würde dort gar nicht gewählt. Ist das aber nicht ein Gegensatz, Demokratie und Todesstrafe?

Spaemann: Nein, eben das ist es offensichtlich nicht, denn wenn Demokratie bedeutet Mehrheitsherrschaft, sie finden fast immer die Mehrheiten für die Todesstrafe. Das hat schon früher Thomas Dehler, der FDP-Vorsitzende, im Bundestag mal gesagt, als man beantragte, eine Volksabstimmung zu machen über Todesstrafe. Da hat er gesagt, nein, das sollte man nicht in die Hand des Volkes legen, weil er wusste, dass bei einer Volksabstimmung die Sache immer zu Gunsten der Todesstrafe ausgeht.

Kitzler: Es gibt ja viele Gegner der Todesstrafe, es gibt viele gute Argumente dagegen, ein paar haben wir ja schon genannt. Sehen Sie denn eine Chance, denen zum Durchbruch zu helfen, politisch, auch gerade in einem Land wie den USA?

Spaemann: Na ja, also Sie haben eben mit Recht gesagt, das Volk will das Festhalten an der Todesstrafe. Es kann aber sein, dass internationaler Druck und eine gewisse internationale Ächtung dann doch seine Wirkung tut, vor allen Dingen dieser Fall jetzt, der in der ganzen Welt bekannt ist und wo der Justizirrtum wirklich nicht ausgeschlossen ist, während offensichtlich mit dem Mann, der den Schwarzen zu Tode geschleift hat, da kann offensichtlich gar kein Zweifel bestehen, das haben die Leute gesehen, und wenn sie diesen Fall erzählen, wird die Abstimmung ganz anders ausgehen, als wenn sie den Fall erzählen von dem Mann, der heute uns bewegt.

Kitzler: Der Philosoph Robert Spaemann zur Debatte um die Todesstrafe nach der Hinrichtung von Troy Davis in Georgia. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.


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