"Die Superlösung gibt es nicht"

Otto Fricke im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.01.2012
Angesichts der Herabstufung von europäischen Ländern durch die Ratingagentur Standard & Poor's warnt Otto Fricke, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, vor falschen Reaktionen der Politik. Die abgewerteten Länder verfügten noch über eine gute Kreditwürdigkeit.
Jan-Christoph Kitzler: Europa wird die Krise nicht los! Griechenland, wo in dieser Woche wieder die sogenannte Troika unterwegs ist, die die Sparfortschritte oder -rückschritte beurteilen soll, ist immer noch für schlechte Nachrichten gut und die vergangene Woche endete mit einem Paukenschlag: Neun Eurostaaten wurden von der Ratingagentur Standard and Poor's abgewertet, darunter auch Frankreich. Experten gehen davon aus, dass das die Märkte in der neuen Handelswoche mal wieder nach unten ziehen wird.

Und was passiert zur Lösung der Krise? Von Deutschland erwarten viele nicht nur in Europa positive Impulse, eine Führungsrolle, aber die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin wirkt zurzeit nicht besonders stabil und uneins bei den Fragen, die in Europa gelöst werden müssen. Darüber habe ich gesprochen mit Otto Fricke, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und deren Haushaltspolitischer Sprecher. Und meine erste Frage an ihn war, ob er jetzt mit neuen Hiobsbotschaften für Europa rechnet?

Otto Fricke: Nein, ich glaube, man muss differenzieren. Erstens: Das Problem, was wir haben, ist, dass, so wie es auch schon von der Frage her lautete, dass die Staaten abgesetzt werden. Es wird die Kreditwürdigkeit der Staaten korrigiert und sie ist immer noch eine gute Kreditwürdigkeit. Das Problem ist, dass die Politik durch ihre eigenen Aussagen mit dafür sorgt, dass das hochgejubelt wird. Und man muss einfach etwas auch anerkennen: Es ist ja nicht eine Entwicklung, die jetzt festlegt, das ist das Rating und danach verändert sich alles, sondern oft - und so sehen wir das nach meiner Meinung hier auch in dem Fall, immer vorbehaltlich, dass die Leute jetzt besonders nervös werden -, es wird schon vorher angekündigt, dass ein solches Downgrading kommt. Und wenn man sich die Entwicklung der Kurse in den letzten Wochen angeguckt hat, konnte man das sogar bei den Kursen an bestimmten Stellen sehen. Und man konnte es auch an der Parallelität zwischen dem französischen Kurs und dem des EFSF sehen. Also, ich rate davor, nicht dass die Politik sich hier durch eigene Aussagen selbst in die falsche Richtung bringt.

Kitzler: Aber könnte es am Ende nicht sein, dass das Geld im Euro-Rettungsschirm schon wieder nicht reicht, wenn die Bonität der beteiligten Staaten sinkt?

Fricke: Wenn die Bonität der beteiligten Staaten sinkt, wird die Volumensumme, die vom EFSF zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich nicht infrage gestellt. Es ist dann die Frage, wie viel Zinsen muss der EFSF, aber auch die einzelnen Länder zukünftig bezahlen?

Kitzler: Die Ratingagenturen werden ja stark kritisiert, aber auf der anderen Seite tun sie ja etwas Wichtiges: Sie legen den Finger in die Wunde und zeigen, dass die europäischen Probleme noch lange nicht gelöst sind. Ist das nicht so?

Fricke: Vollkommen richtig. Also, ich finde, es gibt auch bei aller Nervosität, die herrscht, ein paar gute Nachrichten: Jedes kritische Rating, das immer noch sagt, pass mal auf, du bist gut in deiner Kreditwürdigkeit ... Und das passiert ja, dieses "AA+" heißt ja nicht, das ist schlecht! Das ist so ähnlich wie in der Schule, du kriegst nicht mehr wie bisher das Sehr-Gut, sondern du kriegst nur noch ein Gut-Plus. Das heißt aber doch noch lange nicht, dass du schlechte Arbeit gemacht hast, das heißt auch noch lange nicht, dass du ein schlechter Schüler bist, und erst recht nicht - um das mal in dem Bild zu lassen -, dass die Versetzung gefährdet ist. Aber es heißt: Pass auf, du hast weniger getan als vorher, du musst jetzt etwas tun. Und letzte Nachricht: Ich bin als Haushälter immer jemand, der sagt, wenn es zu leicht ist, Geld zu bekommen, ist die Verlockung für die Politik, es dann auch zu nehmen und auszugeben, groß. Und insofern heißt das nichts anderes als: Ein etwas niedrigeres Rating bedeutet für die Politik, ich muss aufpassen, dass ich weniger Geld ausgebe, weniger neue Versprechungen mache oder, wenn ich etwas ausgeben will, wirklich sagen, woher ich das Geld nehme.

Kitzler: Es gibt noch große ungelöste Probleme in Europa und von Deutschland wird in der Situation viel erwartet. Wie handlungsfähig ist denn eine Bundeskanzlerin mit einer FDP, die den Kurs der Kanzlerin nicht immer mit trägt?

Fricke: Na ja, ich bin sogar froh, dass sie den Kurs manches Mal nicht mit trägt. Das Schwierige für die FDP im Moment ist, dass wir auf der einen Seite immer wieder die unangenehmen Nachrichten bringen. Das kann man beim Thema Finanztransaktionssteuer sehen, das kann man bei der Frage auch sehen, dass wir bestimmte Dinge auf europäischer Ebene abgeben. Wir müssen klar machen, nehmen Sie das Beispiel Eurobonds: Ja, wir waren die Partei, die da von Anfang an gesagt hat, mit uns nicht. Da hat dann uns das Verfassungsgericht bestätigt und dann sind so langsam alle davon abgerückt, weil sie gemerkt haben, dass es nicht mehr eine Haftung nach Anteil und Stärke ist, sondern dass Deutschland bei Eurobonds das Land wäre, das alles zahlt. Das ist halt dann eine Arbeit, aber ich glaube, dass es dazugehört, die guten Lösungen zu finden. Wir reagieren eben sehr schnell und wir glauben jetzt auch bei vielen Dingen, von heute auf morgen muss die Lösung kommen.

Kitzler: Eine Lösung, auf die sich Merkel und Sarkozy schon geeinigt haben, ist eine Steuer auf Finanztransaktion. Bleibt es beim Nein der FDP, wenn nicht alle EU-Staaten mitmachen?

Fricke: Ja, das ist, genau das ist der wichtige Satz: Es wird ja jetzt suggeriert, die FDP hat gesagt, auf gar keinen Fall, nein, machen wir nicht! - Wir haben im Rahmen eines Kompromisses in der Koalition gesagt, wenn wir das in der EU einführen, dann sind die negativen Effekte, die eine solche Steuer hat, nämlich, dass sie nicht die Banken trifft, sondern diejenigen, die die Anleger sind, nämlich, dass sie nicht diejenigen trifft, die man eigentlich treffen müsste, weil man sagt, dafür hat doch der Steuerzahler gehaftet, dass eben die nicht getroffen werden, sondern es ist der Riester-Sparer, es ist der Lebensversicherte und so weiter, dann machen wir es mit. Aber wenn es eben nur auf einen kleinen Teil geht, dann werden wir so etwas nicht tun, weil es zum Schaden nicht nur des Landes, sondern weil es zum Schaden von Europa sogar ist. Und je mehr man jetzt auf die Fakten guckt: Was ist die Auswirkung? Kriegt man wirklich, was ja der Sinn sein sollte, diese schnellen Geschäfte unter Kontrolle?

Genau das Gegenteil ist der Fall, komischerweise übrigens - kleiner Hinweis bei den Fakten am Rande -, bei Aktien mache ich eine Besteuerung, die 0,1 sein soll, bei Derivaten, also dem, was angeblich so schlimm ist, mache ich nur eine Besteuerung von 0,01, also 10 Prozent der eigentlichen Besteuerung. Wo ist da der Sinn? Und was sich auch noch herausstellt: Die Länder, die es gemacht haben - siehe Schweden in den 80ern -, haben die Ergebnisse gezeigt, dass der Handel eher noch nervöser geworden ist.

Kitzler: Aber es gibt ja auch Stimmen aus Ihren Reihen. Wolfgang Kubicki - der ist zugegebenermaßen nicht immer Vertreter der reinen FDP-Lehre -, aber der hat gesagt, das Thema soll man nicht zum Kampfthema machen, er hält das Nein zur Transaktionssteuer für falsch.

Fricke: Na ja, deswegen auch noch mal, und das würde ich auch Herrn Kubicki dann mal gerne sagen: Wir haben ja nicht Nein gesagt. Auf der Grundentscheidung zu sagen, innerhalb der Europäischen Union machen wir das, weil nämlich dann Leute sich überlegen, will ich wirklich wegen dieser Steuer mit meinem Geld aus dem europäischen Raum rausgehen ... Auch das ist eine Entscheidung, die ein Investor trifft, der sagt, wenn ich im europäisch gesicherten Raum bin, wo ich Rechtssicherheit habe, wo ich sicher sein kann, dass nicht heute es so ist und morgen so, dann kann man das verstehen. Und was die Frage angeht, zu hoch hängen: Genau da stimme ich Herrn Kubicki zu. Ruhig die Fakten analysieren, gucken, erreiche ich mit dem Mittel, das ich haben will, auch dann die Effekte, die ich haben will? Und nicht nur alleine - und das sehe ich auch, das merke ich in jedem Gespräch: Hör mal, wie könnt ihr dagegen sein, ist die berühmte Frage, ist doch ganz gut, macht das mal -, und wenn ich dann analysiere und auseinanderlege, warum nicht das, was man aus dem Bauch heraus gerne will, nachher auch effektiv kommt, dann werden viele nachdenklich. Und genau so muss man rangehen. Oder wie das ... Hat das Helmut Schmidt am Ende seiner letzten Rede gesagt? Mit nüchterner Leidenschaft zur praktischen Vernunft und nicht mit dem Bauch.

Kitzler: Die Frage ist ja, was diese Regierung noch gestalten kann. Was hält denn die FDP zurzeit noch in dieser Koalition? Der Glaube, dass man noch etwas gestalten kann oder eher die Angst, in der politischen Versenkung zu verschwinden?

Fricke: Na ja, die Angst, in der politischen Versenkung zu verschwinden, hat ein Liberaler eigentlich nie, weil er immer wieder das erlebt. Ich bin selber mal als kleiner Referendar 1995 in einer Situation gewesen, wo es für die FDP auch nicht gut ging. Nein, Angst ist auch ein schlechter Berater und auch die Frage, um jeden Preis alles und jedes machen zu können. Nein, ich glaube, was für die FDP und was für dieses Land wichtig ist: Dieses Land ist groß geworden und stark geworden dadurch, dass es eine Marktwirtschaft mit der sozialen Ausprägung, so wie wir sie in Deutschland haben, verstehen, dass es darum geht, dass man den Starken die Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln, ihnen aber auch klar macht, dass sie ihren Anteil tun müssen, so wie das übrigens Deutschland in Europa als Starker dann auch machen muss. Und jetzt gibt es - das, mag man jetzt sagen, sagt der FDPler, ist dann halt so - eine Partei, die für diese Marktwirtschaft noch steht, die sagt, wir werden dafür sorgen, dass wir vernünftige Dinge machen, dass wir unvernünftige verhindern. Und mag es auch so sein, dass Unvernünftiges und Verhindern nicht so toll angesehen wird: Manchmal ist es ganz gut, dass man bestimmtes Schlechtes nicht gemacht hat als zu glauben, jetzt habe ich die Superlösung, mit der geht alles. Die Superlösung gibt es nicht, sondern es ist Vernunft, es ist Ruhe und die muss man dann auch einkehren lassen. Das ist nicht immer einfach, das ist im Wahlkampf nicht einfach, aber ich habe über die Jahre einfach gelernt: Nachher setzen sich die Fakten durch, vorher ist es immer so, dass jemand mit einer schnellen Lösung kommt, die Leute jubeln und nachher stellen sie fest, ups, war doch nichts.

Kitzler: Otto Fricke war das, der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und deren parlamentarischer Geschäftsführer, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Fricke: Danke, einen schönen Tag!


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