Die Stunde der Jungen?

Von Jan Fleischhauer · 28.07.2009
In dem Moment, in dem die SPD von der Macht getrennt ist, schlägt die Stunde der Jungen. Es sind gar nicht so viele, die für Führungspositionen Frage kommen, das Feld ist ziemlich überschaubar, das macht es für die Anwärter besonders interessant.
Da ist zum einen Sigmar Gabriel, der als Umweltminister gerade noch einmal eigenständig das Land vorm Atomtod rettet. Sicher, der Störfall im Kernkraftwerk Krümmel, an dem Gabriel gerne eine "Richtungsentscheidung" für die Wahl aufhängen würde, ist kaum der Stoff, der die Deutschen in Scharen der SPD zutreiben wird, da haben sie im Laufe ihrer Geschichte doch zu viel durchgemacht. Aber immerhin: Für ein paar Tage hat Gabriel gezeigt, wie man einen Wahlkampf zum Leben erweckt, und sei es nur mit der Angst vor dem "Krümmel-Monster". Wenn doch Frank-Walter Steinmeier nur einmal eine solche Formulierung einfallen würde.

Dann gibt es Olaf Scholz. Was Gabriel zu wenig hat, nämlich Verankerung in den eigenen Reihen, besitzt Scholz im Übermaß. Populär sind beide nicht, der eine, weil er nach außen nahezu unsichtbar bleibt, der andere, weil seine öffentlichen Auftritte am Ende vom Wähler zu leicht als Mätzchen durchschaut werden.

Das führt uns zu Klaus Wowereit, seit nunmehr acht Jahren Regierender Bürgermeister in Berlin und in den parteiinternen Tuschelrunden Anwärter für nahezu jeden großen Posten, inklusive Kanzleramt. Für die Aufmerksamkeit, die Wowereit erzeugt, obwohl er sich aus allem heraushält, gibt es mehrere Gründe. Zunächst einmal ist der Mann aus Berlin einer der bekanntesten Politiker der Republik, was in dem Geschäft, in dem er sich bewegt, ja nicht unbedingt von Nachteil ist, auch wenn uns die SPD an den Gedanken zu gewöhnen versucht, dass ein Spitzenkandidat auch ohne jedes Charisma auskommen könnte. Es gibt nicht viele, die von Thomas Gottschalk eingeladen werden, mit ihm bei "Wetten, dass ...?" auf der Bühne zu stehen, und nur der Sozi aus Berlin schafft es mit einem Buch über sein Leben aus der zweiten Reihe der Politik auf die Bestsellerlisten.

Ein weiterer Grund für das Interesse liegt in der Natur des Berliner Bürgermeisters, seiner Art Politik zu betreiben. Wowereit ist durch und durch ein Kind der Straße. Er hat alles, was er ist, der Fähigkeit zu verdanken, mühelos Kontakt zu Menschen herzustellen und sie für sich einzunehmen. Oder diese, wenn sie sich als Gegner erweisen, in Schach zu halten und gegebenenfalls niederzustrecken. Er ist das, was man einen politischen Selfmademan nennen könnte, darin gleicht er auf verblüffende Weise Gerhard Schröder. Tatsächlich gibt es zwischen dem ehemaligen Kanzler und dem Berliner Bürgermeister auffällige Parallelen: Beide haben sich aus einfachsten Verhältnissen nach oben geboxt, beide verdanken ihre Karriere vor allem dem Ehrgeiz, es allen zu zeigen, und der achselzuckenden Rücksichtslosigkeit Konkurrenten gegenüber. Wowereit ist damit, wenn man so will, eine Art Anti-Steinmeier. Während der eine gerade den ersten Wahlkampf seines Lebens bestreitet, kennt der andere gar kein anderes Überlebensprinzip.

Die besten Chancen hat nach einer Abwahl der SPD, wer eine Machtperspektive anbietet, mit der sie zurück an die Regierung gelangen kann. Die Alternative zur Ampel, bei der die FDP die Seiten wechseln müsste, ist eine Koalition mit Linkspartei und Grünen, genau dafür steht Wowereit. Er hat in Berlin vorgemacht, dass man mit den Sozialisten regieren kann, nun muss er die Vorbehalte in der Partei überwinden. Diejenigen, die Wowereit verhindern wollen, verweisen darauf, dass er noch nicht besonders viel geleistet habe oder mit großen Ideen aufgefallen sei. Da ist etwas dran, selbst in Berlin wüssten im Augenblick wenige genau zu sagen, wofür er eigentlich steht. Aber das ist nicht der Punkt. Wowereit funktioniert auch außerhalb der Politik, er braucht die Partei weniger als sie ihn, das ist sein Kapital. Bei einer Umfrage vor einigen Wochen, wer Franz Müntefering als SPD-Chef nachfolgen sollte, führte er mit weitem Abstand vor den genannten Alternativen Gabriel, Scholz und der Parteivizin Andrea Nahles.

Natürlich streitet Wowereit ab, sich Gedanken über einen Wechsel in die Bundespolitik zu machen, das gehört zum Spiel. Wer sich dabei erwischen lässt, dass er sich einen Posten zutraut, der im Augenblick noch für jemand anderen reserviert ist, der ist raus. "Ich habe doch ein tolles Amt", sagt er und grinst sein Wolfsgrinsen. Wowereit bleibt jetzt im Hintergrund. Er spielt keine Rolle auf Bundesebene, es gibt kein Thema, für das er zuständig wäre, nun trifft ihn auch keine Schuld, wenn es im Herbst schiefgehen sollte.


Jan Fleischhauer: Journalist und Autor, 47, studierte Literaturgeschichte und Philosophie in Hamburg. Er ist Redakteur beim "Spiegel" und Autor des Bestsellers "Unter Linken - Von einem, der aus Versehen konservativ wurde". Nach Stationen als Bürochef des "Spiegels" in Leipzig, Berlin und New York lebt er jetzt wieder in Berlin, wo er als Autor für das Nachrichtenmagazin arbeitet.
Der Journalist und Publizist Jan Fleischhauer
Jan Fleischhauer© Dagmar Morath/Rowohlt