Die Steine vom Ayers Rock

Von Andi Stummer · 30.03.2005
Sonnenaufgang im Herzen Australiens. Wie der Rücken eines Wals ragt in der endlosen Wüste ein riesiger, roter Fels aus der kargen Erde. Die Weißen nennen ihn Ayers Rock, für die Aborigines aber ist er Uluru - die heiligste Kultstätte der Ureinwohner, Australiens Zauberberg. Und trotzdem, beklagt der Aborigine Graham Calma, können Touristen einfach nicht die Finger von ihm lassen.
Graham Calma: "Die Leute bedienen sich einfach selbst mit Souvenirs: Von ein paar Gramm Sand bis zu 30 Kilo schweren Felsbrocken. Die Natur ist unsere Religion. Wer sie stört, zeigt keinen Respekt. Einfach Dinge mitzunehmen - wir Ureinwohner würden das nie woanders tun."

400.000 Touristen besuchen jährlich den Ayers Rock. Wie viele unerlaubt Stücke des Felsens von dort mitnehmen, weiß niemand. Doch immer mehr senden sie wieder zurück.

Der Aborigine-Ranger Mick Starkey hat bei der Uluru-Parkverwaltung einen Stein im Brett - besser gesagt ein paar hundert. In einem Lagerraum hinter seinem Büro stapeln sich 17 waschkorb-große Plastikkisten bis unter die Decke.
Darin sind Pakete und gepolsterte Umschläge mit Filmdosen voller rotem Sand und rauher Sandstein-Brocken - in allen Größen und aus aller Welt.

Mick Starkey: "Deutschland, Frankreich, Japan, Großbritannien - die Pakete kommen von überall her. Es kostet die Touristen eine schöne Stange Geld, die Steine wieder zurückzuschicken und uns eine Menge Zeit, um uns durch all die Post zu arbeiten. Aber es ist unglaublich von welchen Erlebnissen die Leute schreiben."

Oft nur adressiert an "Uluru - Zentral-Australien" treffen jeden Tag Pakete ein. Beigelegt sind reumütige Entschuldigungsbriefe an die Anangu, den Ureinwohner-Stamm, der das Land um den Felsen verwaltet. Aborigine Graham Calma hat die Aufgabe alle Schreiben zu lesen und zu archivieren. Viele plagt nur ein schlechtes Gewissen, doch die meisten glauben, es laste ein Fluch auf ihnen, seit sie ein paar Steine vom Ayers Rock gestohlen hätten. Die Folge: Familientragödien, Krebserkrankungen und schlechte Gesundheit, Unglücks- und Todesfälle.

"In einer Familie hat einer ein Bein verloren und der andere wurde vom Auto überfahren - angeblich nur wegen ein paar gestohlener Steine. Wir Anangu lernen schon als Kind die Natur zu respektieren. Statt sie zu stehlen, kann man sie malen oder photographieren."
Im Kulturzentrum des Parks kann man in einem dicken Aktenordner die Briefe nachlesen - Geschichten von Pechsträhnen und persönlichen Dramen, von Schuld und Sühne. Doch manchmal dauert es Jahrzehnte bis die selbst gesammelten Ayers Rock-Souvenirs zurückgeschickt werden. Ein deutscher Uluru-Besucher konnte sich erst vor ein paar Monaten von einem neun Kilo schweren Felsbrocken trennen, den er 1989 von Zentral-Australien bis nach Heidelberg gebracht hatte. Jetzt sandte er den Sandstein per Luftpost wieder zurück. Adressiert an Parkmanager Tony English.

Tony English: "Das zeigt, dass die Touristen mehr Respekt vor den traditionellen Besitzern und ihrer spirituellen Verbindung zum Ayers Rock haben. Es gibt weltweit immer mehr Verständnis für die Aborigine-Kultur. Je mehr die Leute über die Ureinwohner erfahren, desto bereitwilliger akzeptieren sie auch deren Werte. Das ist ein gutes Zeichen.

"Anschauen ja, aber berühren ist tabu", sagt der 80-jährige Willie Mala von den Anangu. Uluru wird aus Respekt nicht einmal überflogen. Aber auch wenn es nur Aberglaube ist: Dass es Unglück bringen soll, die wichtigste Kultstätte der Aborigines zu entehren, das hat sich auch schon bei deutschen Reisegruppen herumgesprochen. Für Karl und Harald kommt jedenfalls kein Mini-Ayers Rock in die Tüte.

Alle zurückgesandten Steine, Felsbrocken und jede Handvoll Sand werden von den Stammesälteren der Anangu genau untersucht und dann feierlich an ihren heiligen Berg zurückgebracht. Es heißt: Der Ayers Rock wäre sogar vom Mond aus zu sehen. Doch weil immer wieder Touristen blindlings Australiens Wahrzeichen plündern, glauben die Ureinwohner, dass Weiße Uluru nicht einmal wahrnehmen können, selbst wenn sie direkt davor stehen.