Die starke Hand des Stadions

Filmemacher Jakob Preuss im Gespräch mit Marietta Schwarz · 22.06.2012
Er ist Besitzer des ukrainischen Fußballklubs Schachtar Donezk und milliardenschwer: der Oligarch Rinat Achmetow. In seinem Dokumentarfilm "The Other Chelsea" beleuchtet Jakob Preuss den bizarren Weg dieses Superreichen in einem armen Land.
Marietta Schwarz: Ja, welche Interessen hat Achmetow? Vielleicht hat Jakob Preuss eine Antwort auf diese Frage, er hat sich in seinem preisgekrönten Dokumentarfilm "The Other Chelsea" auch mit Rinat Achmetow beschäftigt – ein Film über den Fußballverein Schachtjor Donezk über die Menschen im ehemaligen Kohlerevier, diejenigen, die nicht mehr so viel haben, aber auch über diejenigen wie Achmetow, die sehr reich geworden sind. Herzlich Willkommen im Studio!

Jakob Preuss: Hallo!

Schwarz: Ja, Jakob Preuss, was in Ihrem Film rüberkommt: Das Fußballstadion ist so etwas wie das Bindeglied zwischen den ehemaligen Kohlebrüdern und einem Oligarchen wie Rinat Achmetow. Inwiefern?

Preuss: Genau, also Rinat Achmetow ist ja einer der Oligarchen, der einen Fußballklub hat, Schachtjor Donezk. Muss man vielleicht wissen, dass er gezögert hat, diesen Klub zu übernehmen 1995, denn sein Vorgänger – der war einer wirklich der ersten, der diese Mode, kann man ja schon fast sagen, dass reiche Männer sich da also Fußballklubs zulegen und das so ein bisschen als ihr Spielzeug und Aushängeschild benutzen ,– das war Bragin, der wurde auch Oleg der Grieche genannt, auf den wurden drei Attentate verübt und das dritte war dann erfolgreich, das war während eines Spiels, im Fußballstadion explodierte eine Bombe in der VIP-Lounge. Achmetow kam an diesem Tag 15 Minuten zu spät, das hat ihm vielleicht das Leben gerettet. Er hatte danach große Angst, diesen Klub zu übernehmen. Vielleicht eine kleine Anekdote: Seine Paranoia, bei einem Spiel ums Leben zu kommen, ist immer noch so groß, dass er bei der Eröffnung des neuen Stadions, was er jetzt gebaut hat, wo jetzt wir EM-Spiele drin sehen können, Sniper drum herum positioniert hatte, und als wir aus einem Hochhaus also diese Eröffnungsfeier drehen wollten, kam plötzlich jemand vom Sicherheitsschutz und sagte, ach, ein Glück, dass ich euch hier sehe, dann sage ich den Snipern lieber mal, dass das rote Lämpchen eine Kamera ist und nicht was anderes.

Schwarz: Aber warum muss denn ein Oligarch Angst haben vor einem Anschlag im Fußballstadion?

Preuss: Also das war in den 90ern halt wirklich eine gefährliche Sache, Geschäfte in der Ukraine zu machen. Das ist jetzt eigentlich nicht mehr so und das hat sich auch geändert, also Achmetow ist auch immer noch relativ publikumsscheu, aber in den 90er-Jahren kam es halt zu Mafiakriegen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wo es eigentlich nur darum ging: Wer kann sich das unter den Nagel reißen? Da gibt es ganz spektakuläre Mordgeschichten, in Donezk, wo mein Film ja auch spielt, ganz besonders, weil da halt die Industrie angesiedelt ist. Der Gouverneur wurde von falschen Polizisten erschossen. Man will das Timoschenko ja jetzt auch mit anhängen. Achmetow war da mitten drin und das prägt so jemanden natürlich sehr.

Schwarz: Was hat er denn in der Stadt Donezk bewirkt, Rinat Achmetow? Er hat dieses Stadion gebaut.

Preuss: Ja, Rinat Achmetow ist sicherlich einer – und das muss man ihm auch vielleicht zugute halten –, der seine Region liebt, der ist ein absoluter Lokalpatriot, der kommt aus dem Donbass, kommt auch aus eher ärmlichen Verhältnissen, und er macht einiges. Er hat zum Beispiel auch die Moschee weiterfinanziert, das hatte sein Vorgänger angefangen, er hat dieses Stadion gebaut, das ist sicherlich das Sichtbarste, dieses wahnsinnige Hotel, was er da gebaut hat auch für die Mannschaften, er tut auch was für Schulen und so weiter. Er ist jemand, der sich sehr nach Westen ausrichtet und da versucht, viel zu lernen, wie man sein Image da vielleicht besser darstellen kann.

Schwarz: Also ein Guter?

Preuss: Na ja, ich glaube, man kann das nicht so schwarz und weiß sehen. Also sagen wir mal so: Es gibt sicherlich wesentlich Schlimmere. Also Achmetow ist kein Scharfmacher, auch in der politischen Arena, er ist halt jemand, der nicht wie Abramowitsch – deswegen habe ich meinen Film "The Other Chelsea" genannt – nach London geht und da wilde Feste feiert und Yachten auf der Cote d'Azur liegen hat. Abramowitsch musste man ja wirklich zwingen, Putin hat ihn ja mehr oder minder dazu gezwungen, da auch Verantwortung in seinem Land zu übernehmen. Achmetow ist jemand, der will, dass das Donbass bekannt wird und dass das positiv bekannt wird. Aber wie gesagt: Man kommt nicht drumhin, dass er aus einem kriminellen Milieu, aus einem Bandenkriegsmilieu kommt. Und insgesamt würde ich nicht sagen, dass er ein Guter ist, aber es ist in seiner Situation denke ich, kann man es halt nicht so schwarz-weiß sehen. Besser fürs Land wäre, wenn diese Oligarchie endlich ein Ende nehmen würde.

Schwarz: Wir sprechen über die Ostukraine, das Donezk-Becken, ein riesiges Kohlerevier, zumindest früher war das so. Das sind Leute, die eher janukowitsch- und russlandfreundlich sind und der Orangenen Revolution vielleicht eher kritisch gegenüberstehen. Wie stehen die denn zu Rinat Achmetow?

Preuss: Also ich glaube, viele verbindet so eine Hassliebe, aber er ist insgesamt beliebt, weil man ihn vergleicht mit den Politikern, und das ist leider auch nicht ganz zu trennen, das haben wir ja auch eben gehört: Die Politik wird beherrscht von der Wirtschaft, Rinat Achmetow ist auch Parlamentarier. Das hat er allerdings erst ... nach der Orangenen Revolution hat er sich da rein wählen lassen, das ist für ihn in der Tat kein Problem, er kriegt da natürlich einen sicheren Listenplatz, wenn er den braucht. Er ist nie zu einer Parlamentssitzung gegangen, sagt er auch ganz offen, weil er sich eigentlich von der Politik distanzieren will, die in der Ukraine leider als eine Farce, als ein Zirkus gilt, was auch mehr oder minder stimmt, und er hat sich eigentlich immer dieses Image des Machers, der nicht viel redet, der aber was tut, der Arbeitsplätze schafft. Und das rechnen ihm viele halt hoch an, dass er da in der Region geblieben ist. Es stimmt auch, dass die Leute, die für ihn arbeiten, relativ anständig bezahlt werden. Aber es ist auch eine andere Sache – und das ist im ganzen postsowjetischen Raum so –, dass man an Demokratie nicht glaubt, sondern an die starke Hand, an den starken Führer, an die Leute, die es schaffen, das zu machen, was sie sich vorgenommen haben.

Schwarz: Also auch an einen Oligarchen zum Beispiel.

Preuss: Genau. Man sagt da auch einfach: Ganz egal, wie er es geschafft hat – er hat das geschafft, was er sich vorgenommen hat. Solche Leute brauchen wir. Also selbst die Kohlekumpel in diesem Schacht, wo ich da gedreht habe, die eigentlich ja diese Leuten hassen müssten, die auf ihren Rücken so wahnsinnig viel Geld gemacht haben und es auch irgendwo zulassen, dass da in solchen Zuständen Menschen arbeiten müssen, die sagen: Wenn er den Schacht kaufen würde, dann würde es hier wieder bergauf gehen.

Schwarz: Jakob Preuss, haben Sie eine Erklärung: Warum Investitionen in den Fußball? Ist das reine Leidenschaft oder doch auch der Versuch von Machtgewinn?

Preuss: Ja, ich glaube, es ist gar nicht so Machtgewinn, sicherlich Imagegewinn, aber ich glaube, auch da muss man sich jede einzelne Figur einzeln angucken. Achmetow ist absolut fußballbegeistert wirklich mittlerweile, der geht ja auch zu jedem Ligaspiel da hin, also die ukrainische Liga ist nicht so besonders spannend, und er ist da also wirklich jedes Wochenende da, jedenfalls bei Heimspielen. Jetzt sind andere Oligarchen nachgezogen, es gibt in Rachiw einen, der hat nur 3 Milliarden, nicht 16 Milliarden, aber reicht dann auch, um ein schönes Stadion zu bauen. Der sagt ganz offen, er hat sich eigentlich früher nicht so für Fußball interessiert, der macht das halt so, weil er will, dass in seiner Stadt auch ein guter Verein ist, und Fußball ist jetzt so diese Spielwiese geworden. Für Achmetow ist es ganz eindeutig aber natürlich auch eine Selbstbeweihräucherung. Also ein Freund von mir war Fotograf bei der Stadioneröffnung und hat da also auch in der VIP-Box bei ihm richtig fotografiert, da saß er wohl wie ein kleines Kind, und dann sind da 50.000 Leute in diesem Stadion und er spricht und ihm wird zugejubelt. Und Fußball ist ja so schön banal, also Fußball ist Fußball, und natürlich ist das für diese Leute eine Möglichkeit, ganz abseits von Politik, ganz abseits von Moral, ganz abseits von irgendwas – da ist man dann der Gute, weil halt die Mannschaft gewinnt.

Schwarz: Der Filmemacher Jakob Preuss über ukrainische Oligarchen und ihre Verbindung zum Fußball. Danke schön!

Preuss: Bitte sehr!

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