Die SPD und ihr Verhältnis zur Religion

Diffuse Abwehr gegen Glauben

Die SPD-Politikerin Kerstin Griese, Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales.
Kerstin Griese, die Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen- und Religionsgemeinschaften. © dpa/Jonas Güttler
Von Matthias Bertsch · 13.12.2015
Die SPD hat traditionell einen eher religionskritischen Ansatz: Über das Verhältnis der Sozialdemokratie zu religiösen Gruppen hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ein Arbeitspapier veröffentlicht.
Brauchen wir in Deutschland mehr oder weniger Religion, wenn zunehmend Menschen aus stärker religiös geprägten Gesellschaften zu uns kommen? Für Kerstin Griese ist die Frage klar: Auf die Ressource Religion als Quelle des gesellschaftlichen Engagements kann und darf der Staat nicht verzichten, so die Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen- und Religionsgemeinschaften.
Kerstin Griese: "Die Frage, um die es ja geht, ist, dass die Trennung von Staat und Kirche in unserem Land sehr gut geregelt ist, dass der Staat neutral ist, aber auch in einer Form einer fördernden Neutralität, Religionsfreiheit heißt nicht nur Freiheit von Religion sondern auch Freiheit zu Religion, d.h. der Staat fördert auch, dass es Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt."
Auch der Landesvorsitzende der SPD, Jan Stöß, hält die Neutralität des Staates für zentral, doch sein Verständnis von Neutralität ist ein anderes.
Jan Stöß: "Meine Grundüberzeugung ist: Religion ist Privatsache und deswegen ist es nach unserer Verfassung und Rechtsordnung auch nicht die Aufgabe des Staates, Religion zu fördern oder von vornherein wohlwollend gegenüber der Religion gegenüber zu sein, sondern er schuldet das gleiche Wohlwollen den Menschen, die gar nichts glauben wollen, die sagen, wir sind Atheisten, wir sind Laizisten, oder wir können mit diesen jenseitigen Glaubenserwägungen gar nichts anfangen."
Stöß ist mit seiner Überzeugung nicht allein. Erst vor kurzem haben sich bei einer Umfrage der Landes-SPD über 80 Prozent der Parteimitglieder für die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes ausgesprochen, das das Tragen religiöser Kleidungsstücke und Symbole im Staatsdienst untersagt. Konkret geht es dabei vor allem um das Kopftuchverbot für Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen und damit um den Islam. Für Wolfgang Thierse, überzeugter Katholik und Mitverfasser des SPD-Papiers zu Religion, Demokratie und Vielfalt, ein klarer Ausdruck tief sitzender Ängste.
Wolfgang Thierse: "Diese Ängste vor einer fremden Religion sind umso stärker, als man selber keine genaueren, intimeren Kenntnisse von Religion überhaupt hat oder nicht selber in einer eigenen Religion lebt. Dann wüsste man ja etwas von Religion, dann hätte man ein gefühlsmäßiges Verhältnis, da das aber vielen Einheimischen verloren gegangen ist, entsteht daraus eine diffuse Abwehr von Religion überhaupt und sie richtet sich jetzt besonders gegen diese starke, so gefährlich erscheinende Religion des Islam."
SPDler fühlen sich fremd im eigenen Land - wie die Pegida
Jan Stöß: "Das ist genau meine Befürchtung, dass jetzt probiert wird, über den Umweg, der großen Herausforderung der Integration von Menschen mit muslimischem Glaubenshintergrund zu sagen, alle, die hier schon leben, müssen jetzt auch religiös werden, damit wir uns überhaupt auf der gleichen Ebene verstehen. Das ist überhaupt nicht der Weg, der mir da schlüssig erscheint, sondern ich finde, da wo der Staat sich manifestiert, der sollte sich eigentlich aus der Religion raushalten und er sollte auch nicht den Ehrgeiz haben, zu fördern, dass jetzt alle besonders religiös werden."
Was aber tun, wenn mit den Zuwanderern auch die Religion wieder eine größere Rolle in der Gesellschaft spielt? Dass es für die Kinder und Enkel der so genannten Gastarbeiter auch einen muslimischen Religionsunterricht geben muss, ist inzwischen weitgehend Konsens in der Bundesrepublik – unter anderem deshalb wurde das Fache islamische Theologie an deutschen Universitäten eingerichtet. Doch die große Zahl an Flüchtlingen, die seit dem Sommer dieses Jahres in Deutschland Schutz suchen, stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen.
Wolfgang Thierse: "Dann könnte Integration heißen, eine doppelte Aufgabe. Erstens: Die zu uns Kommenden sollen im fremden Land heimisch werden können, und die andere Seite: Die Einheimischen sollen nicht fremd werden im eigenen Land. Die zweite Seite ist nicht ganz unwichtig, wenn das Zusammenleben gelingen soll."
Fremd im eigenen Land: Dieses Gefühl ist wohl nicht auf Pegida-Anhänger begrenzt, sondern dürfte auch unter Mitgliedern der SPD und der christlichen Kirchen weitverbreitet sein – ebenso wie bei den Angehörigen der jüdischen Gemeinden. Deren Sorge vor antisemitischen Einstellungen bei vielen Flüchtlingen hat der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erst vor kurzem angesprochen. Zu Recht, so der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats, und Mitglied der Berliner SPD, Stephan Kramer.
Stephan Kramer: "Viele Menschen in den jüdischen Gemeinden haben Angst, ich glaube im übrigen nicht weniger Angst als viele Menschen in der deutschen Gesellschaft, die sich fragen: Wie kommen wir mit einer so großen Zahl an Menschen, die aus völlig anderen Kultur- und Religionskreisen, aus anderen Gesellschaften kommen, wie kriegen wir das hin, das ist ne Frage, die uns alle beschäftigt."
Christliche Kirchen haben kein Monopol mehr in Deutschland
Zusätzliche Brisanz hat die Frage durch die Anschläge in Paris vor einem Monat erhalten, das wurde auf der Konferenz "Religion, Demokratie und Vielfalt in Deutschland. Nachdenken über Religionspolitik" im Jüdischen Museum in Berlin deutlich, auf der das Arbeitspapier vorgestellt wurde. Es sei kein Zufall, dass die Attentate in Frankreich verübt worden seien, fasste die Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese die Diskussion nach der Veranstaltung zusammen.
Kerstin Griese: "Heute war eher die Auffassung, dass ein strikter Laizismus wie zum Beispiel in Frankreich, wo Religion aus dem öffentlichen Leben komplett verdrängt wird, eher der Nährboden für Extremismus ist, als das Verhältnis von Kirchen, Staat und Religionsgemeinschaften in Deutschland."
Doch Jan Stöß von der Berliner SPD widerspricht auch hier:
"Es ist ziemlich fahrlässig zu behaupten, die hätten aus Gründen der staatlichen Laizität in Frankreich stattfinden können, bei uns aber nicht, ich glaube keineswegs, dass unsere Gesellschaft dagegen immun wäre, und noch weniger bin ich davon überzeugt, dass eine religiös geprägte Gesellschaft eher immun dagegen ist, dass junge Menschen solchen Irrlehren nachlaufen, als wenn man darauf Wert legt, dass die Gesellschaft frei und offen bleibt und dieses Prinzip auch verteidigt."
Der Streit um die Bedeutung der Religion für das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft ist also alles andere als erledigt. Nur in einem sind sich Befürworter und Gegner eines "Mehr-Religion-in-Deutschland" einig: Die großen Religionsgemeinschaften müssen trotz aller Unterschiede in der Organisationsform rechtlich gleich behandelt werden. Die Zeiten, in denen die christlichen Kirchen eine Art Monopol auf die Religion in Deutschland hatten, sind wohl endgültig vorbei.
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