"Die Situation ist schon sehr bedrohlich"

Hermann Hötker im Gespräch mit Ulrike Timm · 13.05.2011
Immer mehr Feld- und Wiesenvögel sind durch die Intensivierung der Landwirtschaft bedroht. Das gilt auch für die Feldlerche, deren Bestand in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent zurückgegangen ist. Der Naturschutzbund NABU fordert daher mehr Schutzräume für bedrohte Vögel.
Ulrike Timm: Bei Bauer Lütke Brintrup geht es der Feldlerche gut, aber ob das ausreicht und was man sonst noch für Feldlerchen tun kann, das erfahren wir jetzt von Hermann Hötker, er leitet das Michael-Otto-Institut des NABU in Schleswig-Holstein und ist Fachmann für Wiesenvögel. Schönen guten Tag!

Hermann Hötker: Schönen guten Tag!

Timm: Herr Hötker, das ist ja eine gemeinsame Aktion von NABU und vom Bauernverband, die Lerchenfenster, das ist wirklich nicht selbstverständlich, dass die zusammen was machen. Gibt es denn genug Bauern wie Henrik Lütke Brintrup, die Lerchenfenster in ihren Äckern lassen?

Hötker: Sagen wir mal so, es war ein sehr gelungener Start, wir sind zufrieden mit der Beteiligung. Um der Lerche allerdings dann wirklich zu helfen und ihre Bestände zu steigern, müssen noch wesentlich mehr Bauern mitmachen. Wir gehen aber davon aus, dass sich da so ein Schneeballprinzip entwickelt, einzelne Landwirte legen die Fenster an, andere sehen, dass das eine gute Sache ist und machen dann in den nächsten Jahren weiter mit. das ist zumindest unsere Hoffnung.

Timm: Merken Sie denn schon was? Gibt es jetzt schon mehr Lerchen als vorher?

Hötker: Mehr Lerchen als vorher gibt es sicherlich nicht. Wir merken aber an den Fenstern, dass diese Fenster vor allem in der zweiten Hälfte der Brutzeit sehr bevorzugt aufgesucht werden von den Feldlerchen. Das heißt, diese Fenster sind offensichtlich wirksam.

Timm: Nun ist der Lerchenbestand um ein gutes Drittel zurückgegangen in den letzten zehn Jahren, aber rund zwei Drittel aller Wiesenvögel überhaupt stehen auf der Liste der bedrohten Arten – nicht nur die Feldlerche. Das kann auch nicht nur an Brutplätzen liegen. Warum werden diese Vogelarten immer weniger?

Hötker: Es liegt in den meisten Fällen daran, dass die Brutbedingungen hier schlecht sind, was in den allermeisten Fällen mit der Intensivierung der Landwirtschaft zu tun hat. Besonders bei den Wiesenvögeln, die sie ja eben schon angesprochen haben, ist es schlicht und einfach so, dass vielfach Wiesen umgebrochen werden, zu Äckern gemacht werden, und damit für diese Wiesenvögel als Lebensraum verschwinden. Aber auch dort, wo Wiesen erhalten sind, werden diese häufig entwässert, es werden besonders feuchte Stellen zugeschüttet, es wird sehr früh gemäht, es wird häufig gedüngt, so dass die Kiebitze zum Beispiel – das ist eine dieser Vogelarten – schon ab Mai gar nicht mehr über die Flächen laufen können, weil das Gras einfach viel zu dicht gewachsen ist. Wenn sie doch Erfolg haben sollten, passiert es dann häufig, dass bei der frühen Maht – Mitte Mai geht das in Norddeutschland los, Süddeutschland noch früher – die Jungen einfach unter das Mähwerk kommen.

Timm: Lassen Sie uns das mal ein bisschen auseinanderdröseln, es ist sehr viel. Also, man entwässert die Felder, man gräbt sie um, man intensiviert eine Landwirtschaft, so dass einfach die Brutplätze nicht mehr da sind. Aber stellen wir uns jetzt vor, diese Wiesenvögel brüten. Dann heißt es trotzdem, dass die Vogeleltern ihre Jungen nicht mehr satt kriegen, weil soviel Pestizide in der Luft sind. Wie genau hängt das zusammen? Die fangen doch Mücken.

Hötker: Die fangen Mücken, aber nicht nur, die meisten Vögel, gerade die Bodenbrüter, ernähren sich von Insekten, die sie entweder vom Boden ablesen, manchmal erstochern oder auf Pflanzen ablesen, und viele dieser Insekten werden durch Pestizide getötet – zum Teil eben absichtlich, weil es auch Schadinsekten sind –, und dann reicht die Nahrung für die Jungen nicht mehr. Selbst Arten, die als Altvögel Körner fressen, wie zum Beispiel Rebhühner, sind als Küken auf Insekten angewiesen und leiden dann sehr stark unter diesem Pestizideinsatz.

Timm: Welche Wiesenvögel sind denn besonders bedroht? Welche werden wir nicht mehr hören und sehen?

Hötker: Es sind mehrere Arten, zum Beispiel die Uferschnepfe und der große Brachvogel sind mittlerweile so bedroht, dass sie bereits auf der weltweiten Vorwarnliste der bedrohten Tiere firmieren, das ist eine Liste, auf der sonst Arten wie der Sibirische Tiger oder der Große Panda. Das heißt, die Situation ist durchaus schon sehr bedrohlich.

Timm: Wann haben Sie als NABU-Fachmann für Wiesenvögel Ihre letzte Uferschnepfe gesehen?

Hötker: Das ist glücklicherweise noch nicht so lange her, das war gestern Abend. Diese Uferschnepfen halten sich noch in einigen speziell dafür ausgewiesenen Schutzgebieten, in denen auch Landwirtschaft stattfindet. Wenn ich also jetzt ein bisschen negativ über die Landwirtschaft rede, heißt das nicht, dass die Landwirtschaft nicht auch ihren Beitrag zum Naturschutz leistet, aber dort findet die Landwirtschaft sozusagen im Sinne des Naturschutzes statt. Dort weiden einige Kühe, der Wasserstand ist angehoben, und die Dichte der Kühe, die Mahtzeitpunkte sind auf die Bedürfnisse der Uferschnepfen abgestimmt. Das kann man natürlich nur in einigen Reservaten machen.

Timm: Das heißt, das sind dann so kleine Oasen in der Brachlandwüste, die durch eine zu intensive Landwirtschaft entsteht.

Hötker: Das kann man so sagen, ja.

Timm: Herr Hötker, mitunter schrammen ja auch Naturschutz- und Umweltpolitik ganz frontal zusammen, Stichwort Biodiesel. Mit der Biomasseförderung will man von Seiten der Bundesregierung Klimaziele erreichen, die Rechnung heißt: Wenn wir hier ordentlich Biomasse produzieren, dann kostet das weniger Regenwälder. Diese Rechnung mag ja auch stimmen, geht aber nach Ihrer Meinung trotzdem nicht auf. Warum?

Hötker: Die Produktion von Strom, vor allem aus Biomasse, fördert im Wesentlichen durch den großflächigen Anbau von Mais, der im Augenblick das profitabelste Substrat zur Erzeugung von Bio- oder Agrargas ist, die kostet einfach sehr viel Fläche. Fläche, die sonst zur Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung stand, aber auch Fläche von Grenzertragsstandorten, sogenannten, das heißt, Standorten, auf denen aus natürlichen Bedingungen – weil es zu feucht war oder zu trocken war oder zu viele Steine drauf waren – nicht so intensiv bewirtschaftet werden konnten. Und das waren genau die Punkte oder die Standorte, an denen Arten wie Uferschnepfen, Braunkehlchen und andere bedrohte Vogelarten vorkommen konnten. Die werden heutzutage auch genutzt, weil mit dem Maisanbau ganz einfach ein neuer Spieler im System ist, der sehr viel Platz braucht, und dieser Platz geht zulasten der für den Naturschutz wichtigen Flächen, der wichtigen Lebensräume.

Timm: Nun gehen immer mehr Imker in die Städte, sogar in die Großstädte, weil sie sagen: Parks und Gärten, die sind artenreich, da haben die Bienen vielfältige Auswahl – gut für den Honig. Werden die Vögel es ihnen nachmachen, das heißt, die Lerche singt dann im Stadtpark, aber nicht mehr auf dem Land, weil sie im Stadtpark die besseren Möglichkeiten hat?

Hötker: Leider nicht, zum Teil beobachten wir auch, dass viele Vogelarten sich vornehmlich in die Städte umsiedeln, aber die offen brütenden Vogelarten wie Lerchen oder Uferschnepfen, die brauchen einfach so viel freie Landschaft, dass sie in der Stadt nicht glücklich werden, die brauchen tatsächlich die offene Landschaft, die eben in Städten auch in Parks nicht zu finden sein wird.

Timm: Danke an Hermann Hötker! Er leitet das Michael-Otto-Institut des NABU in Schleswig-Holstein und ist Fachmann für Wiesenvögel.


Links auf dradio.de:

"Aktuell" vom 09.05.2011: Da fliegen sie wieder! - Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 9. bis 14. Mai

Thema: Niemand soll die Lerchen stören - Wie ein Bauer auf einem Feld im Münsterland aktiven Vogelschutz betreibt
Mehr zum Thema