Die seltsame Nähe von Journalisten und Politikern

Von Stephan Hebel · 04.02.2013
Kontakte zwischen Politikern und Journalisten sind wichtig, ohne Frage. Wenn solche Kontakte aber nächtens an einer Bar gepflegt werden, ist eine Grenze überschritten, meint Stephan Hebel. Journalisten sollten ihre Nähe zu den Mächtigen hinterfragen, denn eine Demokratie braucht unabhängige Medien.
Es wäre fast lustig, wäre die Sache nicht so ernst: Ausgerechnet Rainer Brüderle wurde zum Anlass einer Debatte über den angemessenen Umgang zwischen Männern und Frauen. Am Beispiel des alternden FDP-Politikers über moderne Geschlechterverhältnisse zu diskutieren, das war und ist in etwa so, als erwartete man von Brüderles Partei einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit.

Aber die Diskussion kann nichts für ihren Auslöser, und notwendig ist sie allemal. Brüderle ist ja offensichtlich kein Einzelfall, auch wenn Geschlechtsgenossen, die nicht ganz so körbchengrößenfixiert sein mögen, subtiler vorgehen als er.

Ziemlich schnell und vollkommen zu Recht ging die Debatte nicht nur über die Person Brüderle hinaus, sondern auch über das Verhältnis zwischen Politikern und Journalistinnen. Das ist einerseits gut so: Die tägliche Belästigung in der Bahn oder am Arbeitsplatz wurde zum Thema, und das bestätigte den Befund eines immer noch verbreiteten Problems.

Aber andererseits tat sich dadurch eine Lücke auf: Erstaunlich kurz kam die Diskussion über das Umfeld, in dem der Politiker der stern-Journalistin begegnete.

Für alle Beteiligten schien es selbstverständlich zu sein, dass das gemeinsame Erheben von Weingläsern zu den Aufgaben politischer Journalisten gehört. Wenn jemand überhaupt darüber sprach oder schrieb, wie zum Beispiel die Spiegel-Kollegin Annett Meiritz, dann mit positivem Unterton. Zitat: "Kontakte sind elementar für unseren Job. Deshalb stellen wir Frauen uns abends mit an die Hotelbar." Zitat Ende.

Recht hat sie, könnte man sagen, wenn man die bestehenden Verhältnisse im Polit-Journalismus akzeptiert. Dann liegt es auf der Hand, dass den Frauen dasselbe möglich sein muss wie den männlichen Kollegen. Und zwar ohne sexuelle Belästigung.

Aber muss er wirklich so funktionieren, der Journalismus? Ist es wirklich ein erstrebenswertes Ziel, bei jedem Parteiabend die Grenze rituell zu überschreiten, die Politik und Medien trennt? Tut es der kritischen Beobachtung der politischen Akteure gut, ein paar Mal im Jahr gegenseitig den guten Kumpel zu heucheln? Oder schlimmer noch: der gute Kumpel wirklich zu sein, mit allen Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben?

Ja, es ist ein Skandal, dass manche männlichen Politiker die Begegnungsorte mit Medien als Kontakthof zur sexuellen Anbahnung missverstehen. Allerdings: Als Kontakthof funktionieren diese Begegnungsorte ohnehin, das ist geradezu ihr fragwürdiger Zweck. Auch wenn die scheinvertraulichen Bargespräche frei wären von jedem sexuellen Übergriff – ein Platz für Deals der unappetitlichen Art sind sie allemal.

Wer erlebt hat, wie der ganze Trupp wie auf Kommando des anwesenden Politikers über abwesende Parteifreunde die Augen rollt; wer das opportunistisch gekünstelte Lachen über abgestandene Witze im Ohr hat; wer gar einmal nachts mitgebuhlt hat um die Aufmerksamkeit des Ministers oder Parteichefs, um vielleicht bei Tageslicht von ihm mit Informationen versorgt zu werden; wer all das kennt, sollte sich fragen, ob das Wächteramt der Presse nicht auch anders auszuüben wäre.

Nichts gegen Hintergrund-Gespräche, nichts gegen ein gutes Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten. Aber wer sagt eigentlich, dass so etwas nicht tagsüber geht, nicht nüchtern und nicht in einer angemessenen Arbeits-Umgebung? Das muss doch nicht gleich "aseptisch" werden, wie Spiegel-Autorin Meiritz behauptet!

Wer es für selbstverständlich hält, die Distanz zwischen Politik und Presse immer wieder symbolisch aufzuheben, der bringt diese Distanz auch real in Gefahr. Mit allen Folgen für eine Demokratie, die unabhängige Medien so dringend braucht wie eh und je.

Die Bargespräche beim Parteitag wären also auch dann ein Problem, wenn es sexuelle Belästigungen dort überhaupt nicht gäbe. Das rechtfertigt Brüderles Verhalten keineswegs. Aber wir Journalisten, männlich oder weiblich, wären gut beraten, den Anlass zu nutzen und endlich die eigene Nähe zur Macht zu hinterfragen.


Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau