"Die Schutzbedürftigkeit der Menschen steht im Vordergrund"

22.07.2008
In der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak plädiert der NRW-Integrationsminister Armin Laschet für eine differenzierte Lösung. Zwar sei es wichtig, vor allem verfolgte Minderheiten wie Christen aufzunehmen, entscheidend sei aber der humanitäre Aspekt. Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister in Brüssel über die Aufnahme von Irakern.
Leonie March: Fast fünf Millionen Iraker sind auf der Flucht. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen haben in ruhigeren Regionen des eigenen Landes Zuflucht gesucht. Die anderen in den Nachbarstaaten, insbesondere Syrien und dem Libanon, die damit langsam an ihre Grenzen stoßen. Deshalb hat das UN-Flüchtlingshilfswerk dringend an andere Staaten appelliert, Iraker aufzunehmen. Übermorgen beraten die europäischen Innenminister darüber. In Deutschland wird unterdessen darüber gestritten, welchen der Vertriebenen hier Schutz gewährt werden soll. Ein Streit zwischen den Bundesländern, denn die Unterbringung von Flüchtlingen ist in Deutschland Ländersache. In Nordrhein-Westfalen ist der CDU-Politiker Armin Laschet Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Guten Morgen, Herr Laschet!

Armin Laschet: Guten Morgen!

March: Bundesinnenminister Schäuble hat ja zu Beginn der Debatte vorgeschlagen, vorrangig christliche Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen und wird dabei von Bayern unterstützt. Was halten Sie davon?

Laschet: Also, ich habe gehört, was Wolfgang Schäuble in den letzten Tagen jetzt auch gesagt hat vor diesem Gipfel und halte diese Position für richtig, dass man die verfolgten Minderheiten im Irak aufnimmt, also diesen Begriff Christen etwas weiter definiert. Christen haben es besonders schwer im Irak zurzeit. Aber auch andere Minderheiten werden verfolgt, und dass man das ausdehnt und sagt, jeder, der wirklich verfolgt ist, der ausgewählt wird, der soll hier nach Deutschland kommen und aufgenommen werden.

March: Das heißt, grundsätzlich sollte die Schutzbedürftigkeit der Menschen im Vordergrund stehen und nicht die religiöse Orientierung.

Laschet: Ja, ich denke ja. Und das ist ja auch schwer feststellbar. Es wird ja sicher keine Taufregister im Irak geben. Also, wer ist dort genau Christ, ist nicht so leicht festzustellen. Aber wer hat als Minderheit, auch als religiöse Minderheit, Verfolgung zu erleiden, das kann man schon präziser definieren in Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshochkommissar. Und ich denke, dass jetzt dort eine gute Regelung angeregt ist. Muslimische Flüchtlinge, die unter dem irakischen Regime leiden, auch da stimme ich Wolfgang Schäuble zu, sollten, wenn man schon eine solidarische Aktion mehrerer Länder macht, dann auch in muslimischen Ländern eher aufgenommen werden. Ich glaube, das gehört mit zur internationalen Arbeitsteilung.

March: Nun haben die Nachbarländer, die muslimischen Nachbarländer, aber ja schon jede Menge Flüchtlinge aufgenommen.

Laschet: Ja, aber ich denke, man kann ja gemeinsam definieren, wer übernimmt welche Flüchtlinge. Es können auch Flüchtlinge sein, die ja bereits in den Nachbarländern sind. Das ist ja Bestandteil dieses europäischen Planes für die europäische Ratssitzung.

March: Umstritten ist ja auch, ob Deutschland Iraker aufnehmen sollte, die in Nachbarstaaten geflüchtet sind, nach Syrien oder in den Libanon. Wie stehen Sie dazu?

Laschet: Also, ich halte das als Bestandteil einer Gesamtlösung für denkbar. Die Bundesrepublik muss selbst definieren, wer die Flüchtlinge sein können, die nach Deutschland kommen können. Aber ich denke, der Verfolgungsgrad ist das Entscheidende, um hier zu helfen. Und es ist entscheidend, dass wir eine europäische Lösung bekommen, dass auch die anderen europäischen Mitgliedstaaten ebenfalls ihren Beitrag leisten.

March: Noch mal kurz zu Deutschland. Niedersachsen fürchtet ja in diesem Punkt, also Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten aufzunehmen, um die innere Sicherheit, denn auf diesem Wege könnten Terroristen eingeschleust werden. Sehen Sie die Gefahr auch?

Laschet: Also, man muss das im Einzelfall genau natürlich prüfen. Man kann jetzt nicht jeden leichtfertig hier aufnehmen. Aber ich sehe eher den humanitären Aspekt im Vordergrund. Die Menschen, um die es da geht, haben selbst unter dem Regime gelitten. Ich denke, dass man genau hinschaut, ob da Aktivitäten terroristischer Art bekannt sind. Aber ich würde diese terroristische Gefahr im Moment nicht überbetonen. Es geht darum, hier eine humanitäre Hilfsleistung zu machen. Und nicht jeder, der verfolgt ist, ist ein Terrorist.

March: Vom Treffen der europäischen Innenminister übermorgen in Brüssel werden ja keine verbindlichen Zusagen erwartet, sondern nur ein allgemeiner Appell, mehr Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. Finden Sie das bedauerlich?

Laschet: Also das wird letztlich nicht auf europäischer Ebene verpflichtend vereinbart werden können. Man wird eine Größenordnung festlegen können, aber die Entscheidung ist letztlich eine Entscheidung der Mitgliedstaaten. Darauf hat Deutschland ja auch immer in Europa gepocht, sodass Europa hier nicht verbindlich festlegen kann, wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Ich finde es aber wichtig, dass alle europäischen Mitgliedsstaaten sich da verpflichten, dass es nicht nur ein deutscher Alleingang ist, sondern dass jeder seinen Teil da trägt, und auch die neuen Mitgliedsstaaten, die ja jetzt heute Demokratien sind, in Mittel- und Osteuropa tun gut daran, sich an dieser Aktion ebenfalls zu beteiligen.

March: Wie viele Flüchtlinge aus dem Irak könnte Deutschland, und könnte Ihr Land, Nordrhein-Westfalen, denn noch aufnehmen?

Laschet: Also, ich schätze mal, dass zirka 5000 Flüchtlinge aufgenommen werden können. Die Lage bei den Flüchtlingen, die wir zurzeit aufnehmen, ist ja sehr entspannt. Wir haben die niedrigste Asylbewerberrate seit Jahren gehabt im letzten Jahr. Und Nordrhein-Westfalen kalkulieren wir mit zirka 1000 Flüchtlingen …

March: Jetzt sind Sie leider nicht mehr zu verstehen, Herr Laschet. Ich hoffe, die Leitung steht jetzt wieder. Armin Laschet war das. Leider ist die Leitung jetzt unterbrochen worden. Er war im Auto unterwegs in Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker ist Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen. Ich bitte um Entschuldigung für diese etwas ruppige Unterbrechung unseres Gesprächs.