Die Sängerin Valeria Tron

"Die Musik hat mir das Leben gerettet"

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So klingt Okzitanien: Die Sängerin Valeria Tron © Claudio Massarente
Von Thorsten Bednarz · 10.12.2015
Die italienische Sängerin Valeria Tron pflegt die Sprache Okzitaniens. Sie lebt in einem Alpendorf mit acht Einwohnern, die rauhe Umwelt prägt ihre Lieder, schärft das Bewusstsein für diese Kultur: Nicht auf Okzitanisch zu singen käme ihr wie ein Verrat vor.
Okzitanien zieht sich von einigen kleinen Alpentälern an der italienisch-französischen Grenze über den Süden Frankreichs - das Languedoc hat seine Bezeichnung von einem Ausdruck für die okzitanische Sprache - bis hin nach Katalanien in den Norden Spaniens.
Aus den okzitanischen Alpendörfern wandern die meisten jungen Menschen in die Städte ab, auf der Suche nach bezahlter Arbeit. Vor allem die Alten bleiben in den Dörfern, und mit ihnen werden, so ist zumindest für den italienischen Teil Okzitaniens zu befürchten, Sprache und Kultur aussterben
Die italienische Sängerin Valeria Tron gehört zu einer Reihe junger Künstler, die in den letzten Jahren versuchen, eine Gegenbewegung aufzubauen. In ihrem Dorf leben gerade noch acht Menschen, ihr Sohn ist der einzige in seiner Schule, der die alte okzitanische Sprache, die dort Patois genannt wird, überhaupt noch versteht und spricht.
Weit und breit kein Geschäft
Valeria Tron hat sich ganz der Erhaltung dieser Kultur und dieser Lebensart verschrieben, auch wenn diese ungemein hart ist; sie selbst lebt im Winter meist auch in der Stadt, denn in den Alpendörfern auf 2000 Meter höhe ist man dann vom Rest der Welt abgeschnitten. Doch auch im Sommer überlegt man sich, was man wirklich braucht – es gibt weit und breit kein Geschäft, auch die letzte Trattoria hat vor Jahren schon geschlossen.
Man hört diese Lebenswirklichkeit in den Liedern von Valeria Tron. Sie sind eher getragen, doch als Sängerin blüht die eher verschlossene Musikerin richtig auf.
Ihre Musik produziert und verlegt Valeria Tron selbst, sie ist als Mensch und Künstlerin sehr eigenwillig. Dennoch haben ihre Tourneen sie bereits bis nach Südafrika und nach Kuba geführt, auch wenn dort niemand ihre Texte versteht. Von der Bühne herunter kann sie sich sehr gut präsentieren, selbst wenn ihre Musik dann immer noch etwas widerborstig wirkt, denn es ist keine einfache Musik.
Der Vater trank und war gewalttätig
Valeria Tron fing schon mit elf Jahren an, erste eigene Songs zu schreiben, vorher hat sie immer bei den alten Leuten in ihrem Dorf gesessen und hat sich die alten Lieder vorsingen, die alten Legenden erzählen lassen. Das war auch eine Flucht aus der häuslichen Situation – der Vater trank, war gewalttätig, aber sie liebte ihn auch abgöttisch.
Valeria Tron: "Die Musik hat mir buchstäblich das Leben gerettet, ebenso wie die Möglichkeit, in Situationen zu leben, die anderen als leer erscheinen und die für mich ungemein reich an Erfahrungen sind. Ich hatte keine einfache Kindheit und die Kunst und die Musik, das waren meine Möglichkeiten, mit Schmerz und Trauer umzugehen. Das waren und sind noch immer meine Fluchtpunkte. Darüber hinaus habe ich es auch gelernt, mich an der Schönheit der kleinsten Dinge zu freuen. Das geht leider verloren. Heute muss immer alles groß sein, weite Horizonte, Geschwindigkeit ... Für mich hat alles seine eigene Zeit."
Selbst wenn sie in einer anderen Sprache mehr Menschen erreichen könnte - nicht auf Okzitanisch zu singen käme ihr wie ein Verrat vor – diese Sprache, sagt sie, gehöre zu dieser Gegend, in einer anderen Sprache darüber zu singen wäre falsch. Patois ist für Valeria Tron viel präziser, die italienische Alternative klingt oft viel härter: Sonnenaufgang etwa heißt auf Patois so viel wie "die Ankunft des Tages" – auf Italienisch einfach nur "alba".
Geschichte vom Tod ihres Vaters
Das erinnert ein bisschen an den Roman "Fräulein Smilla und ihr Gefühl für Schnee", in dem es um die 80 verschiedenen Worte geht, die die Inuit für Schnee haben. Dieser Vergleich gefällt Valeria Tron sehr und veranlasst sie, die Geschichte vom Tod ihres Vaters zu erzählen:
"Mein Vater starb am 1. Februar 2009. Und draußen lagen fast drei Meter Schnee. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, eine Bahre ins Haus zu bringen. Ich wohne da etwas außerhalb des Dorfes. Man kam nicht durch. Das klingt völlig absurd in heutigen Zeiten, ich weiß! Als ich nach Hause kam, hatte er einen Herzinfarkt. Er hatte die Treppenstufe verfehlt und lag am Boden. Drinnen lag scheinbar alles in Asche, es war stockdunkel und draußen dagegen war alles so weiß, dass es dir den Atem nahm. Auf der einen Seite das Bewusstsein um den unerbittlichen Tod und auf der anderen Seite eine ganz unberührte Straße. Es war wie ein Gebet, das irgendwo aus diesem Widerspruch zwischen Schwarz und Weiß aufstieg. In diesem Lied spricht mein Vater noch einmal mit mir. Und er sagte mir: Wenn du das Leben von hier oben aus dem Himmel siehst, dann ist das alles nur ein winziger Farbklecks. Und so ist unser ganzes Leben! In den Bergen musst Du Dich sowohl an das Leben als auch an den Tod gewöhnen und beidem mit der gleichen Intensität und der gleichen Vergebung begegnen."
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