Die Saalschlacht um Hernani

Von Eberhard Spreng · 25.02.2010
An der Uraufführung von Victor Hugos "Hernani oder die kastilische Ehre" schieden sich die Geister. Die Anhänger des Ancien Régime und die jungen Romantiker lieferten sich vor 180 Jahren eine Saalschlacht, die die Julirevolution von 1830 auf künstlerischem Gebiet vorwegnehmen sollte.
"25. Februar 1830! Dieses Datum wird für immer am Anfang unserer Geschichte eingeschrieben bleiben! Dieser Abend hat unser Leben entschieden! Damals empfingen wir einen Anstoß, der uns nach all den Jahren immer noch nach vorne treibt und der uns bis ans Ende unserer Laufbahn bringen wird."

Der Mann, der diesen emphatischen Ausspruch tat, war gerade einmal 19 Jahre alt, als er in der Pariser Comédie Francaise die Uraufführung von Victor Hugos "Hernani oder die kastilische Ehre" erlebte. Es war Théophile Gautier, den dann eine lebenslange Freundschaft mit dem großen Romancier, Dichter und Dramatiker Victor Hugo verband. Und er war nur einer von vielen jungen Dichtern, Malern und Komponisten, die an diesem Tag schon Stunden vor dem Beginn der Aufführung in das Traditionstheater gekommen waren.

Gérard de Nerval, Hector Berlioz und viele andere waren da, um den Vorreiter des neuen romantischen Dramas in einer Saalschlacht zu unterstützen, die in die Geschichte der französischen Kultur als "La Bataille d'Hernani", die Schlacht um Hernani, eingegangen ist, eine Schlacht übrigens, die nicht nur am Premierenabend ausgetragen wurde, wie Victor Hugo zehn Tage danach vermerkte.

"Das Publikum pfeift jeden Abend nach jedem Vers: Ein unglaublicher Krach, das Parkett buht, die Logen brechen in Gelächter aus. Die Schauspieler sind verwirrt und feindlich gesinnt, die meisten machen sich lustig, über das, was sie zu sprechen haben."

Victor Hugo hatte es gewagt, mit seinem leidenschaftlichen Stück um die von drei Männern begehrte Doña Sol und ihrem Geliebten Hernani, einem Räuber nach Schillerschem Vorbild, das am französischen Theater bislang übliche klassische Drama zu durchbrechen, einen von Boileau zur Zeit des Sonnenkönigs kanonisierten Stil.

Waren sogar noch die Revolutionäre von 1789 und vor allem die Künstler der Napolepon-Zeit antiken Darstellungsidealen gefolgt, suchte die neue Revolte nun eine Befreiung aus einer als Gefängnis empfundenen Verhaftung in klassischen Vorbildern. Und Hugos frechste Tat war neben der Verletzung etablierter Genregrenzen der Bruch mit der aristotelischen Einheit von Zeit, Raum und Handlung, die er schon im berühmten programmatischen Vorwort zu seinem Stück "Cromwell" begründet hatte.

"Die Einheit der Zeit ist nicht solider als die des Ortes. Eine mit Gewalt in einen 24-Stunden-Rahmen gebrachte Handlung ist genauso lächerlich wie eine in ein Vestibül eingezwängte. Das heißt doch Menschen und Dinge verstümmeln, die Geschichte zur Grimasse verzerren. So kommen die Dogmatiker zu ihrem üblichen Ergebnis: Was in der Chronik lebendig war, ist in der Tragödie tot. Und deshalb enthält der Käfig der Einheit von Raum, Zeit und Handlung oft genug nur ein Skelett."

Verfechter der klassischen Schule mussten das als Provokation empfinden. Und die jungen Künstler, die sich im Herbst 1829 im "Cénacle romantique" bei der Lektüre für das neue Stück des erst 27-jährigen Erfolgsautors begeistert hatten, spürten, dass es im Streit mit den Traditionalisten um dieses Stück den entscheidenden Kulturkampf geben müsste.

Théophile Gautier hat sie, diese "Jeune France", dieses junge Frankreich, in seinem Text "Histoire du Romantisme" beschrieben.

"Man hat sich darin gefallen, in den Gazetten und Karikaturblättern diese jungen Leute - alle aus gutem Hause, ausgebildet, gut erzogen und versessen auf Kunst und Poesie - als eine Horde abstoßender Nichtsnutze darzustellen. Aber das waren nicht die Hunnen Attilas, die da vor der Comédie Française ihr Zeltlager aufgeschlagen hatten, sondern die Ritter der Zukunft, die Spitze des Geistes, die Verteidiger der freien Kunst: Und schön waren sie, frei und jung."

Gautier selbst erschien übrigens mit einem knallroten Wams im Theater, wohl wissend, dass er damit die Spießer im Publikum der Comédie Française provozieren würde.

"Es genügte schon, ein Blick auf dieses Publikum zu werfen, um zu begreifen, dass es sich hier nicht um eine normale Aufführung handelt, sondern dass da zwei Systeme, zwei Parteien, zwei Armeen, ja zwei Zivilisationen anwesend waren, die sich herzlich verabscheuten."

Da saßen sich also die Anhänger des Ancien Régime und die jungen Romantiker gegenüber und wussten noch nicht, dass ihre Saalschlacht die Julirevolution von 1830 auf künstlerischem Gebiet vorwegnehmen sollte. Ein politisch talentloser König Charles X. hatte als Führer der extremen Rechten, der Ultra-Royalisten die Restauration forciert und auch Victor Hugo, wiewohl ursprünglich selbst ein Royalist, ins liberale Lager wechseln lassen.

Trotz erbitterten Widerstandes konnten die Konservativen Victor Hugos theaterästhetische Revolution nicht verhindern, und den Sieg in der Schlacht um Hernani trugen deshalb die jungen Romantiker davon.