Die Ruhe vor dem Sturm

Von Susanne Arlt · 23.12.2012
Stress vor Weihnachten – irgendwie fällt einem da sofort die Bahn ein. Überfüllte Züge, genervtes Personal. Lautsprecherdurchsagen auf zugigen Bahnsteigen, in denen es schon von vornherein heißt: Wir danken für ihr Verständnis! Wie gehen die MitarbeiterInnen mit dieser Herausforderung um?
"Schönen guten Tag, kann ich helfen?"

Sven Lange beugt sich zu der jungen Mutter hinab. Der zwei Meter Mann strahlt wohl so etwas wie Vertrauen aus, denn die junge Frau lächelt und wirkt erleichtert. Lange trägt die Farben der Deutschen Bahn. Eine dunkelblaue Jacke, ein knallrote Mütze.

"Ja ich glaube schon, beim Einsteigen. ... Sind Sie zufällig vielleicht angemeldet?"

Bevor die junge Frau antworten kann, holt Sven Lange schon ein bedrucktes Blatt Papier aus seiner Jackentasche. Das ist unsere so genannte Merktafel, erklärt er. Darauf stehen all die Kunden, die sich zuvor bei der Bahn gemeldet und um Hilfe gebeten haben. Kunden wie diese junge Mutter. Sie hat im Internet von dem Angebot gelesen und will gleich nach Stuttgart reisen, die Feiertage mit Ihren Eltern in Stuttgart verbringen.

"Ich habe angerufen, und um Hilfe gebeten. Mein Kind ist erst fünf Monate und das ist der erste Ausflug größerer Art."

Der Dienst ist kostenlos. Gehört zum Service der Bahn. Je besser sich der Kunde aufgehoben fühlt, desto weniger ist er gestresst lautet das Credo. Der so genannte Mobilitätsservice wird von immer mehr Kunden genutzt. Allein 3.000 Frauen und Männer arbeiten für den Servicebereich. Sven Lange ist einer von ihnen.

"Wenn ich woanders bin und da Hilfe brauche, freue ich mich auch, wenn jemand vor Ort ist und mir hilft."

Ja, super, kommen Sie selber nach oben oder wollen Sie begleitet werden? ... Ich weiß nicht ist da ne Rolltreppe? ... Wir haben sogar einen Fahrstuhl. ... Ja dann kann ich auch alleine... Der wäre im nächsten Tunnel. Sie haben dann Wagen 24, das wäre ungefähr im Abschnitt C. Und da würde ich dann hochkommen. ... Okay.

Der Berliner Ostbahnhof. In der modernen, gläsernen Empfangshalle fällt der Blick sofort auf die große, dunkelblaue Anzeigentafel. Zwölf regionale und nationale Zugverbindungen sind dort angezeigt. Bislang ohne Verspätungen, sagt Kundenservicemanagerin Susanne Wedemeier, seufzt erleichtert.

"Also wir hatten gerade heute wieder ein Problem, dass ein Zug, der aus der Abstellanlage Rummelsburg kommen sollte, der hatte nachher insgesamt eine Stunde Verspätung. Wir haben erst die Meldung bekommen, der hat zehn Minuten Verspätung, dann hat der Techniker das anscheinend doch nicht so gut hinbekommen, 45 Minuten, 60 Minuten. Da war ich dann natürlich auch hier vorne mit an der Front, habe hier eben mitgeholfen und die Leute beruhigt."

Wie oft es an diesem Tag noch heißt: Der ICE von hier nach dort hat leider Verspätung, wir danken für ihr Verständnis ... mag die Pressestelle nicht verraten. Susanne Wedemeier zeigt nur auf das Kundenservicecenter. Es ist das Herzstück des Bahnhofs. Tresen, Wände, Fußboden – alles dunkelblau getäfelt. Blau strahlt Ruhe, Vertrauen und Sehnsucht aus, behaupten Farbexperten. Nur drei Kunden warten vor dem Infopoint. Wenig Andrang, so kurz vor Weihnachten, sagt Wedemeier. Noch ist die Lage entspannt. Das kann sich aber jeden Moment ändern.

"Hier kommt es wirklich immer auf die betriebliche Lage drauf an. Das kann wirklich sein, dass ich einen ganzen Tag eine ruhige Schicht habe, wo ich wirklich gucke, ob die Aushänge alle in Ordnung sind, das ist dann schon mit das Stressigste. Und dann können manchmal von einer Sekunde zur anderen ganz dolle Sachen passieren. Ist manchmal wie wenn man Domino spielt, die Steinchen fallen dann alle hintereinander weg um."

Gleis sieben, Einfahrt ICE 693 nach Stuttgart ... Vorsicht bei der Einfahrt!

Eine Etage höher steht Sven Lange auf dem Bahnsteig sieben, hält Ausschau nach der jungen Mutter mit dem Kinderwagen. Etwa 70 Reisegäste warten auf den ICE nach Stuttgart. Sven Lange hat die Mutter entdeckt, steuert auf sie zu, nimmt ihr den schweren Kinderwagen aus der Hand und hievt ihn in das Abteil, zeigt mit dem Daumen nach links.

Und dann da lang ... Dankeschön, wunderbar, Tschüss!

Nicht immer sind die Kunden der Bahn so freundlich und dankbar wie diese junge Frau. Beleidigungen, Drohungen, Schläge – alles schon vorgekommen, erzählt Sven Lange. Deshalb besucht auch er zweimal im Jahr ein Deeskalationstraining.

"Ich wurde mal von einem Rollstuhlfahrer mit einem Urinbeutel beworfen. Das war so das Unangenehmste, über das man noch jahrelang nachdenkt."

Na wunderschönen guten Abend, ist alles in Ordnung bei dir?

Zugchefin Doreen Punkt sitzt im Mitarbeiterkabuff im ICE von Berlin nach Bonn. Obwohl der Zug am Ostbahnhof eingesetzt wird, hat er schon ein paar Minuten Verspätung.

Prima, dann melde ich uns fertig, ne. ... Nein, in Wolfsburg halten wir nicht. Ebenfalls - genau, wir begleiten dich bis Hannover. So jetzt muss ich mich mal um die wichtigen Sachen kümmern, kleinen Moment.

Moment bitte, läuft raus... alles klar!

Die Zugchefin klappt ihr mobiles Telefon auf. Jede neue Information aus der Verkehrsleitung läuft dort auf. Haben unsere Kunden Fragen, wollen sie sofort eine Antwort von uns, sagt Doreen Punkt. Sie weiß aus Erfahrung: auch die unangenehmen Antworten bauen Stress ab. Beim Kunden und bei ihr. Die zierliche, kleine Frau steigt aus, läuft auf dem Bahnsteig Richtung Zugmitte, gibt dann das Signal für die Abfahrt. Hechtet zurück in das Abteil. Ihre Wangen sind leicht gerötet.

"In Stress nicht, in Eile. Pünktliche Abfahrt ist eigentlich alles, obwohl wir schon fünf Minuten drüber sind, aber wir sind ja be-müht das rauszuholen."

Gemeinsam mit den Bahnfahrern steht sie jetzt in einem Gang im Stau. Doreen Punkt hat keine Zeit zu verlieren. Sie will zurück zu ihrem Mitarbeiterraum, dort warten die Kolleginnen auf ihren Einsatzbefehl. Der Raum liegt drei Wagen weiter. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen, entscheidet dann, da muss sie schneller durch.

Entschuldigung, ich müsste mich mal dringend durchdrängeln hier... we-ter, weiter, weiter ... ich drängel nur verbal... sie wollen ja auch noch, ... jetzt muss erst ich ... Mami, ich komme mal rein hier ... Gespräche ... weiterlaufen!

Zwischendurch macht sie eine kurze Ansage, erzählt wohin die Reise geht und wie groß bislang die Verspätung ist. Und bleibt zuversichtlich. Die acht Minuten holen wir ganz sicher wieder rein, sagt sie. Dann läuft sie weiter Richtung Mitarbeiterraum. Auf dem Weg dorthin erfährt sie, dass die Kühlung im Bordrestaurant ausgefallen ist, nur ein Teil der kulinarischen Notfallpakete geliefert wurde und die Stewardess für die erste Klasse nicht erschienen ist. Doreen Punkt disponiert im Kopf schon mal um, versucht ein Lächeln. Nun scheint es, als sei sie doch etwas im Stress.
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