"Die Revolution ist in Ägypten noch nicht beendet"

Asiem El Difraoui im Gespräch mit André Hatting · 19.04.2011
Auch wenn jetzt gegen Ägyptens Ex-Präsident Hosni Mubarak ermittelt werde, ist nicht sicher, ob es wirklich zum Prozess gegen ihn kommen wird, meint Asiem El Difraoui von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit dem Militärrat seien immer noch Leute an der Macht, die dem Regime sehr treu waren, gibt der Nahost-Experte zu bedenken.
André Hatting: Also salopp könnte man sagen: Pech gehabt! Denn anders als der ehemalige tunesische Staatschef Ben Ali, der sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat, ist Ägyptens Präsident Mubarak nach dem Umsturz im Land geblieben. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft, ihm soll der Prozess gemacht werden, das verlangen die Menschen auf der Straße. Hauptpunkte der Anklage sind: Korruption und Gewalt gegen die eigene Bevölkerung.

Zum Prozessauftakt meldete sich Mubarak erst mal krank, heute soll es weitergehen, wenn es sein Gesundheitszustand erlaubt. Am Telefon ist nun Asiem El Difraoui, Herr El Difraoui ist Nahostexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Morgen, Herr El Difraoui!

Asiem El Difraoui: Ja schönen guten Morgen!

Hatting: Mubarak kommt im eigenen Land vors Gericht. Glauben Sie an einen fairen Prozess?

El Difraoui: Ja noch ist er nicht vor Gericht, noch ist er in Untersuchungshaft und es wurde ein Verfahren gegen ihn aufgenommen. Und es heißt, er sollte erst mal vernommen werden, bei der Vernehmung war er krank, er hatte wohl einen leichten Herzinfarkt, ist jetzt in einer Krankenhausklinik, und jetzt wollen die Richter erst mal mit ihm reden und mit seinen Söhnen vor allen Dingen auch reden.

Mubarak selber steht wegen Korruptionsverdacht und wegen Gewaltvergehen noch nicht unter Anklage, aber gegen ihn wird ermittelt. Vor allem gegen die Söhne wird es wahrscheinlich große Korruptionsprozesse geben, weil die sollen sich echt entschieden bereichert haben. Die ganze Familie Mubaraks ist im Moment extrem deprimiert. Der Thronfolgersohn Gamal, der in Kairo im Gefängnis sitzt, soll irgendwie die Hälfte seines Gewichtes verloren haben und extrem deprimiert sein und sich Sorgen machen.

Aber ob es wirklich zu einem Prozess gegen den Vater Mubarak kommen kann, ist noch unklar, weil sein Gesundheitszustand ist extrem schlecht und diese Ermittlungen können noch lange, lange andauern.

Hatting: Glauben Sie denn, Herr El Difraoui, dass es nur wegen des Gesundheitszustandes möglicherweise zu keinem Prozess kommt?

El Difraoui: Oder wegen einem Ermittlungsstand oder vielleicht möchte man auch gar nicht das ganze System Mubarak so öffentlich in Ägypten offenbaren, weil es sind ja immer noch Leute, die dem Regime sehr treu waren, an der Macht. Die Militärs selber, die ihn ja verhaftet haben lassen und die Übergangsregierung stellen oder die Übergangsmacht im Moment sind, weiß ich auch eng mit Mubarak verbandelt.

Vielleicht war es einfach ein geschickter Schachzug, ihn festnehmen zu lassen und wegen seines schlechten Gesundheitszustandes, und vielleicht erledigt sich das Ganze von selber, weil er sonst so vielleicht in einem Jahr oder zwei Jahren, wenn die Ermittlung abgeschlossen ist, tot ist, oder wegen seines schlechten Gesundheitszustandes überhaupt nicht wirklich angeklagt werden kann.

Hatting: Würde das denn der Bevölkerung reichen? Es war ja der Druck der Straße, der erst mal dafür gesorgt hat, dass Mubarak einem Verfahren unterstellt wird.

El Difraoui: Nein, die Bevölkerung möchte natürlich ... Der Druck der Straße ist im Moment enorm hoch noch weiterhin. Die haben ja nicht nur den Mubarak-Clan festgenommen, sondern auch den ehemaligen Premierminister. Es würde der Straße nicht reichen, wenn langfristig mit dem System nicht aufgearbeitet werden würde. Aber wie sich die Geschichte da ausspielen wird, weiß natürlich kein Mensch.

Aber es ist natürlich im Moment so, dass der Druck der Straße schon nachgelassen hat, weil das Unvorstellbare ist geschehen: Die Mubaraks sind im Gefängnis, gegen sie wird ermittelt, gleichzeitig wurden zum Beispiel aber auch alle Provinzgouverneure, die Mubarak noch ernannt hatte, entlassen, durch neue ersetzt. Dem Druck der Straße wurde zumindest im Moment nachgegeben und damit der öffentlichen Meinung ein großer Gefallen getan; wie es jetzt genau weitergeht, was in den nächsten Monaten passieren wird, das steht noch aus.

Hatting: Eigentlich müssten ja, Sie haben das angedeutet, alle ehemaligen Regierungsmitglieder vor Gericht, weil alle irgendwie in die Korruption verstrickt waren. Das gilt auch für die ausländischen Firmen. Jetzt wurde ein Fall bekannt, in dem ein deutscher Geschäftsmann offensichtlich gemeinsame Sache gemacht hat mit dem ehemaligen Regime. Es gab keine Ausschreibung, er hat den Zuschlag erhalten. Wie geht man mit den ausländischen Firmen um, die ja auch in die Korruption verstrickt waren?

El Difraoui: Da kann ich nichts genau drüber sagen, aber man kann davon ausgehen, dass die meisten Firmen, die in Ägypten Geschäfte gemacht haben, Bakschisch, das heißt Bestechungsgelder, irgendwo bezahlt haben. Es werden wahrscheinlich große Ausnahmen sein, die das nicht gemacht haben. Wie man damit umgehen wird, das muss man Ägypten und auch der deutschen Justiz überlassen.

Hatting: Man hört immer wieder von religiösen Spannungen. Also erst am Sonntag hat die Muslimbruderschaft eine Blockade gemacht, weil sie gegen die Ernennung eines koptischen Christen ist. Und erst vor einer Woche gab es auf dem Tahrir-Platz die schwersten Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften seit dem Sturz des Machthabers, dabei wurde mindestens ein Mensch getötet. Man hat nicht den Eindruck, dass zwei Monate nach der Revolte das Land wirklich zur Ruhe kommt, wie sehen Sie das?

El Difraoui: Es ist sehr erstaunlich, dass nach 40 Jahren oder 35 Jahren oder insgesamt auch über 40 Jahren Diktatur, wenn man Nasser, Sadat und Mubarak zusammenrechnet, dass so was gewaltfrei abgeht. In Ägypten ist es ja im Vergleich zu Libyen wirklich relativ gewaltfrei. Der ganze Weg zur Demokratie ist ein langer, steiniger Weg, bei dem es sehr, sehr viele Schwierigkeiten geben wird, konfessionelle Zusammenstöße, da ging es jetzt genau um die Ernennung zum ersten Mal in der ägyptischen Geschichte eines christlichen Gouverneurs, wogegen radikale Moslems protestiert haben.

Ich finde, es geht im Moment sehr, sehr friedlich ab, wenn man sich überlegt, welche historischen Umwälzungen das waren, und dass dieses 80-Millionen-Land jetzt zum ersten Mal auf einem wirklich steinigen Weg zu mehr Mitbestimmung und Demokratie ist, ist es, finde ich, noch relativ friedlich. Aber dass das Ganze überhaupt nicht einfach sein wird, ist jetzt auch schon klar. Wir werden da noch einiges sehen.

Hatting: Im Augenblick herrscht ja nicht die Opposition, sondern der Militärrat. Wie ist denn die Zusammenarbeit mit der Demokratiebewegung?

El Difraoui: Frage ist, wer ist also erst mal die Demokratiebewegung? Der Militärrat möchte natürlich auch immer nach wie vor noch den privilegierten Status des Militärs retten. Aber gleichzeitig scheint mir doch, dass auch dieser Militärrat ja schon extrem nachgegeben hat und wirklich probiert, sich so schnell wie möglich ja auch von dieser Macht zu entfernen und die Verantwortung anderen Leuten zu übergeben, um selber das Militär nicht in Gefahr zu bringen. Das heißt, wenn das Militär selber noch weiter regiert, wird es sich ja auch selber kompromittieren.

Die Militärs haben entschieden nachgegeben, die haben ihre Regierungspartei aufgelöst, wie gesagt, die Mubaraks inhaftiert, zumindest scheint der Militärrat etwas darauf zu hören, was die Straße will, was das Volk will, und was auch die Revolutionskräfte wollen. Die Revolution ist in Ägypten noch nicht beendet, es wird sehr viel zu tun geben. Es ist der Anfang eines Umbruchs und wie gesagt, ein langer, steiniger Weg, auf dem wir noch viele Überraschungen – ich hoffe, nicht die schlimmsten – erleben werden.

Hatting: Ja, Bundesaußenminister Guido Westerwelle ist zum zweiten Mal nach dem Umsturz nach Kairo gereist. Wie wichtig ist die Rolle des Westens?

El Difraoui: Ich glaube, der Westen muss jetzt gerade bei diesem steinigen und schwierigen Weg herausfinden, wer sind die demokratischen Kräfte in Ägypten, wen kann man unterstützen, natürlich auch wirtschaftlich unterstützen. Der Schlachtruf der Revolution war, das Volk will den Sturz der Regierung: Um zu verhindern, dass das Volk irgendwann schreit, wir wollen Brot, das Volk will Brot, und dann, weil es einfach verzweifelt ist, von radikalen Kräften ausgenutzt wird, sollten wir halt wirklich natürlich alle Kräfte des demokratischen Wandels unterstützen, und zwar schnell, aber auch dafür sorgen, dass diese ganze unzufriedene Jugend, die diese Revolution herbeigeführt hat, zumindest auch in einer Form wirtschaftlich überleben kann und merkt, dass sich was ändert.

Hatting: Asiem El Difraoui war das, El Difraoui ist Nahostexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr El Difraoui, ich danke für das Gespräch!

El Difraoui: Danke, danke!

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