"Die Revolution im Kopf" von Gerd Kempermann

Von nachwachsenden Nervenzellen im Hippocampus

Menschliches Gehirn
Computergrafik des menschlichen Gehirns mit dem rot markierten Hippocampus. © imago/Science Photo Library
Von Michael Lange · 30.12.2016
Jeder Mensch hat rund 100 Milliarden Nervenzellen. Viele gehen im Laufe des Lebens durch zu viel Alkohol oder zu wenig Bewegung zugrunde. Neurowissenschaftler Gerd Kempermann beschreibt in "Die Revolution im Kopf", welcher Teil im Gehirn erfolgreich dagegen hält.
Hundert Milliarden Nervenzellen mit Billionen Kontakten im Gehirn jedes Menschen bilden gemeinsam ein undurchschaubares Netzwerk. Sie ermöglichen Wahrnehmung, Gedächtnis und Bewusstsein. Dass Nervenzellen nicht nur zugrunde gehen, sondern auch nachwachsen können, haben Neurowissenschaftler in 50 Jahren intensiver Forschung zweifelsfrei nachweisen können.
Der Dresdner Neurowissenschaftler Gerd Kempermann war an diesen Arbeiten beteiligt. Als Insider gewährt er einen Blick in ein Forschungsfeld, das trotz aller Bemühungen noch viele offene Fragen für die Wissenschaft bereithält. Bemüht um Verständlichkeit, aber ohne auf Details zu verzichten, schildert er die Hintergründe einer jahrzehntelangen Debatte unter Fachleuten. Das macht den Einstieg in das Buch nicht einfach, aber wer dranbleibt, versteht schließlich, warum das wissenschaftlich komplexe Thema jeden betrifft.

Gehirnstruktur wie ein Seepferdchen

Dabei existieren nachwachsende Nervenzellen nur in bestimmten Bereichen des Gehirns. Zu ihnen gehört der Hippocampus: Das Tor zum Gedächtnis. Diese Gehirnstruktur, die aussieht wie ein Seepferdchen, besitzt eigene Stammzellen. Sie bringen immer dann neue Nervenzellen hervor, wenn das Gehirn gefordert ist. Mäuse, die in einer abwechslungsreichen Umgebung leben, bilden im Hippocampus mehr neue Nervenzellen, als Tiere, die sich wochenlang in ihrem öden Käfig langweilen. Gerd Kempermann widmet sich ausführlich verschiedenen teils widersprüchlichen Forschungsergebnissen, um sie dann anschaulich zu interpretieren und auf den Menschen zu übertragen.

Nachwachsende Nervenzellen sorgen für Flexibilität

Dabei wird klar: Unser Gehirn ist kein fest verdrahteter Computer, der schnell und effizient immer gleiche Aufgaben erledigt. Vielmehr ist das Gehirn sowohl Akteur als auch Produkt einer lebenslangen persönlichen Entwicklung. Die nachwachsenden Nervenzellen im Hippocampus sorgen für Flexibilität. Sie passen unser Gehirn immer wieder neuen Lebensumständen an und machten so die Evolution der Säugetiere und insbesondere des Menschen zu einer Erfolgsgeschichte.
Durch lebenslanges Lernen, Musizieren oder regelmäßige Bewegung lässt sich das Wachstum der Nervenzellen im Hippocampus ankurbeln. Krankheiten wie Depression oder Demenz hingegen wirken negativ auf die Produktion neuer Nervenzellen in dieser Gehirnregion. Und das hat Folgen. Letztlich führt die mehr oder weniger aktive Zellteilung im Hippocampus zur Entwicklung einer Persönlichkeit. Und so liefert Gerd Kempermann nach einigen wissenschaftlich spannenden Umwegen viele gute Gründe für ein aktives, abwechslungsreiches Leben.

Gerd Kempermann: "Die Revolution im Kopf, Wie neue Nervenzellen unser Gehirn ein Leben lang jung halten"
Droemer, München 2016
320 Seiten, 22,99 Euro

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