Die Rente ist nicht sicher

Von Mathias Greffrath · 20.09.2013
Das Umlage-Renten-System ist marode, weil es immer weniger Normalarbeitsverhältnisse mit Beitragspflicht gibt. Und die kapitalgedeckte Riesterei war ein Flop, sagt der Journalist Mathias Greffrath. Er fordert eine steuerfinanzierte Universal-Rente, in die alle einzahlen.
Rechnet sich die Rente mit 67 oder 69? Wie kalkulieren wir die Rentenpunkte für Mütter, die vor 1992 ihre Kinder bekommen haben? Gibt es eine Garantierente nach 30 Arbeitsjahren, oder erst nach 40? All das ist sehr komplex und deshalb war die Zukunft der Rente nicht wirklich ein Thema in diesem Wahlkampf.

Der neue Bundestag aber muss das Rentensystems endlich umbauen. Denn es ist absehbar, dass wir ohne Änderungen in große Probleme geraten. Das Umlage-Renten-System ist marode, weil es immer weniger Normalarbeitsverhältnisse mit Beitragspflicht gibt; und die kapitalgedeckte Riesterei war ein Flop – außer für die Finanzinstitute.

In schöner Regelmäßigkeit erscheinen Vorschläge, wie die Lücken im Rentensystem zu stopfen seien. Meist mit dem Resultat, dass sie neue Löcher aufreißen. Die Rente mit 67 oder 69 ist dafür ein Beispiel. Die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland ist seit Jahren gleich und sinkt tendenziell eher als dass sie steigt. Das heißt: Für jeden älteren Arbeitnehmer, der länger arbeitet, arbeitet ein jüngerer weniger. Die Rente mit 67 oder 69 ist ein absurdes Nullsummenspiel. Wenn nicht schlimmer, denn durch die Niedriglöhne von heute sinken die Rentenansprüche von morgen. Was ab 2030 das System entlastet und damit rententechnisch versierte Zyniker erfreut.

Steuerfinanzierte Universal-Rente, in die ALLE einzahlen
Die Zukunftsprojektionen von Rentenrechnern greifen um Jahrzehnte voraus – und sie blenden viele Variablen aus – zum Beispiel tendenziell sinkende Wachstumsraten und weitere Wirtschaftskrisen (hatten wir nicht gerade eine?). Und der Blick in die Vergangenheit zeigt uns: Wer vor hundert Jahren solche, Jahrzehnte vorausgreifende Prognosen angestellt hätte, der hätte zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise nicht eingerechnet – aber auch nicht die grandiose Nachkriegskonjunktur.

Aber diese Skepsis ist kein Plädoyer für Untätigkeit. Längere Lebenszeit, sinkende Kinderzahlen, europäische Integration und der Weltmarkt werden den Druck auf die Sozialsysteme verstärken. Kleinere Justierungen können da nicht helfen. Sie verhindern eher die Diskussion über eine Reform, die wirklich neuen Grund legen würde: die Umstellung nämlich auf eine steuerfinanzierte Universal-Rente, für die alle Bürger einzahlen, also auch Beamte, Selbständige, Unternehmer, Erben, und das entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, also mit progressiv steigenden Beiträgen.

In einem solchen Rentensystem würden die starken Schultern wirklich mehr tragen als die schwachen, es wäre also ein "Solidarsystem", das diesen Namen verdiente. Vor allem würde es die ungerechte doppelte Belastung von Familien beseitigen. Denn die zahlen Sozialbeiträge und ziehen gleichzeitig unter finanziellen Opfern Kinder auf, die später für die Rente der nächsten Altengeneration arbeiten werden. Das Verfassungsgericht hat in einer Reihe von Urteilen dem Gesetzgeber aufgetragen, diese Ungleichverteilung der Lasten zu korrigieren. Bis heute blieben die Mahnungen des Gerichts folgenlos.

Verhinderungslobbys: Selbstständige, Besserverdiener, Kinderlose
Das hat mit Sicherheit etwas mit der Vielzahl von Verhinderungslobbys zu tun: der Beamten, der Selbständigen, der Versicherungen, der Besserverdiener, der Kinderlosen. Denn sie alle würden bei einem solchen mutigen Systemwechsel ein wenig draufzahlen. Ohne ihn aber sind der Abstieg in Altersarmut, weitere Polarisierung der Lebenslagen und Kinderelend vorgezeichnet – und die Gefahr wächst, dass die Hüter des Grundgesetzes eines Tages das ganze System als verfassungswidrig verurteilen.

Die Indolenz der Parlamentarier bleibt also schwer verständlich. Hoffen sie immer noch auf eine Wiederkehr des guten alten Wachstums, das den Streit um die Verteilung der Lasten überflüssig machte? Haben diejenigen recht, die dem medienfixierten Parlamentarismus ohnehin keine starken Entscheidungen mehr zutrauen? Oder sollte es daran liegen, dass rund 40 Prozent der Volksvertreter und 70 Prozent der Journalisten kinderlos sind, und deshalb kein Interesse an Zukunft haben? Man möchte nicht glauben, dass es so einfach ist. So vulgärmaterialistisch einfach.

Mathias Greffrath, Soziologe und Journalist, Jahrgang 1945, arbeitet für DIE ZEIT, die taz und ARD-Anstalten über die kulturellen und sozialen Folgen der Globalisierung, die Zukunft der Aufklärung und über Theater. Letzte Veröffentlichungen u.a.: "Montaigne – Leben in Zwischenzeiten" und das Theaterstück "Windows – oder müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?". Mathias Greffrath lebt in Berlin.
Mathias Greffrath
Mathias Greffrath© Klaus Kallabis
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