"Die reichen Industrieländer haben die größere Verantwortung"

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Christopher Ricke · 08.12.2009
Der Wirtschafts- und Gesellschaftsethiker Friedhelm Hengsbach hält Appelle an die persönliche Verantwortung angesichts des Klimawandels für unzureichend. Deshalb müssten sich die Nationalstaaten beim UNO-Treffen in Kopenhagen auf allgemein verbindliche Regeln einigen, sagte Hengsbach.
Christopher Ricke: Das Ringen hat längst begonnen, das Ringen um CO2-Ziele, um Verschmutzungsrechte, um Hilfszahlungen. Es ist der gemeinsame Kampf um die Rettung des Weltklimas, der Klimagipfel in Kopenhagen. Die Rahmenbedingungen müssen die Mächtigen schaffen, die gesetzlichen Regeln müssen dann eingehalten und kontrolliert werden.

Es muss aber auch Akzeptanz geschaffen werden in Industrieländern wie in Deutschland, in denen so manche Bequemlichkeit zu Umweltschäden führt und in Zukunft wohl unterlassen werden muss. – Ich spreche mit dem Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach. Er ist ein prominenter Wirtschafts- und Sozialethiker. Guten Morgen, Professor Hengsbach.

Friedhelm Hengsbach: Guten Morgen, Herr Ricke. Ich grüße Sie.

Ricke: Wir diskutieren jetzt in Kopenhagen über tatsächlich die Rettung der Welt, und das wird etwas zu tun haben mit dem Verändern von Verhalten. Wir werden in Europa als große CO2-Emittenten uns sehr gehörig umstellen müssen. Es geht wahrscheinlich nicht nur mit Gebäudedämmung und mehr Energieeffizienz, es geht vielleicht auch um weniger Konsum, um weniger individuelle Mobilität, zumindest auf der Grundlage fossiler Energieträger. Glauben Sie, dass die Gesellschaft bereit ist, hier etwas inne zu halten und umzusteuern?

Hengsbach: Ich denke, das ist ein ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite sieht ja die Mehrheit der Bevölkerung, dass tatsächlich etwas geschehen muss und dass wir nicht einfach weiter so machen können wie wir bisher in unserem Konsumverhalten, auch in der Anwendung von fossilen Energien und dann auch in der Art und Weise, wie wir mobil sind.

Andererseits persönlich jetzt Konsequenzen zu ziehen, beispielsweise ob ich mit dem Auto fahre, oder ob ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutze oder in welchem Ausmaß ich also jetzt in meinem Konsumverhalten eher auf ökologisch verträgliche Waren umsteige, ob ich in meinen Ernährungsweise auf diese Probleme mich einstelle, das ist dann eine andere Frage, und da spielt es einmal von der Einkommenssituation her selbstverständlich, aber auch von der gleichsam sehr konservativen Einstellung gegenüber zum Teil Ernährungsgewohnheiten eine große Rolle, ob ich da dann wirklich diese Konsequenz ziehen kann.

Ricke: Was muss geschehen? Muss die Politik die Menschen überzeugen, muss die Politik die berühmten sogenannten Rahmenbedingungen, also Regeln, neu definieren und wie gelingt das, dass die Menschen freiwillig mitgehen?

Hengsbach: Ich bin der Meinung, dass Appelle an persönliche Verantwortung oder auch an die Verantwortung von Nationen allein nicht ausreichen, dass diejenigen Kräfte, die die Macht haben, diese Umweltzerstörung in ihre Produktionsprozesse einzubeziehen, tatsächlich zu einer Veränderung ihres Verhaltens und auch ihrer Entscheidungen gezwungen werden. Das geht nur, indem also die kollektiven Akteure - und das sind die Nationalstaaten gegenwärtig überwiegend - zu allgemein verbindlichen Regeln kommen.

Allerdings ist es erst mal schwierig, unter 180 Nationen eine verständigungsorientierte Entscheidung zu treffen. Zum anderen ist es dann noch mal schwierig, konfrontativ gleichsam von staatlicher oder international-staatlicher Seite auf die ökonomischen Eliten Einfluss zu nehmen. Das geht anscheinend nur in einer Kooperation, in einer privaten und öffentlichen Kooperation, und das macht die Sache so schwierig, obwohl es unbedingt notwendig ist, dass erstens allgemein verbindliche Regeln zumindest mal als Signale verabschiedet werden, um daraus dann entsprechend auch persönliches und individuelles Verhalten zu induzieren.

Ricke: Wir brauchen in einer veränderten Gesellschaft, zumindest in einer Demokratie die Unterstützung der Mehrheit. Die Menschen müssen überzeugt werden.

Und es gibt eine ganz spannende Geschichte, die ich wissenschaftlich jetzt nicht belegen kann, aber es gibt wohl Menschen, die einen Glücksindex entwickelt haben und festgestellt haben, dass die Menschen in Brasilien durchschnittlich glücklicher sind als in Europa, obwohl sie weniger besitzen, weniger mobil sind, weniger Fleisch essen, weniger verbrauchen. Ist das eine Richtung, in die wir nachdenken müssen?

Hengsbach: Auf der einen Seite ist es natürlich so, dass der Lebensstandard auf der gesamten Welt definiert wird durch das, was die reifen und reichen Industrienationen erreicht haben. Insofern ist der Maßstab, was den privaten Autoverkehr angeht, oder was den Lebensstandard angeht, schon das, was hier üblich ist. Insofern haben gerade die reichen Industrieländer die größere Verantwortung, dass sie die Leiden, die sie ja selbst erfahren durch die Umweltzerstörung, auch durch die gesundheitlichen Folgen, die wir an Kindern oft schon wahrnehmen, durch die starke Umweltzerstörung, dass die hier bei uns erst mal erkannt werden und dass die eingedämmt werden und dass wir auch den Teil des Lebensstils, der an dieser Umweltzerstörung Anteil hat und der dafür die Ursache ist, dass wir den systematisch aufgeben.

Also wir haben die größere Verantwortung, also die reichen Industrieländer haben die größere Verantwortung, und damit sind sie befugt und vor allen Dingen auch beauftragt, sie haben das Mandat, Maßstäbe zu setzen, an denen sich die, wie wir immer sagen, rückständigen oder aufstrebenden Länder dann orientieren können.

Ricke: Wenn wir über etwas Zurückhaltung, über etwas mehr Bescheidenheit – den Begriff Demut will ich gar nicht benutzen – diskutieren, wie geht das einher mit der Regierungspartei FDP, die sagt, Wachstum, Wachstum, Wachstum führt uns aus der Krise? Kann man Bescheidenheit und Wachstum verbinden?

Hengsbach: Ich denke, wir müssen den Wachstumsbegriff neu definieren und nicht nur unter der Rücksicht, dass er im ganzen und auf Dauer mit der ökologischen Nachhaltigkeit verträglich ist. Das wäre sicher mal die erste Definition, dass wir keine Güter, keine Waren und keine Dienstleistungen auf der einen Seite nachfragen und auf der anderen Seite vor allen Dingen herstellen, die dem Grundsatz der ökologischen Nachhaltigkeit nicht entsprechen. Das ist natürlich schwierig, weil jeder sagen wird, langfristig sind wir alle tot.

Also: Die Unternehmen orientieren sich an kurzfristigen Gewinnzielen und die Politik orientiert sich in der Regel jetzt wieder an kurzfristigen Wachstumszielen. Und das müsste eben halt durch das Bewusstsein, das in der Bevölkerung ja bereits auch vorhanden ist, aufgebrochen werden, dass die Langfristigkeit auf der einen Seite im ökologischen Bereich eine größere Rolle spielt bei der Definition dessen, was hergestellt werden kann, aber zum anderen auch die Frage der Verteilung.

Wenn die Finanzkrise unter anderem dadurch verursacht worden ist, dass die Differenzen in der Einkommens- und Vermögensverteilung derartig zugenommen haben in den letzten Jahren, dass immer mehr frei verfügbares Einkommen und Vermögen auf den Finanzmärkten geparkt oder jedenfalls angelegt werden kann, dann müsste es dazu kommen, dass eine ausgewogenere Einkommens- und Vermögensverteilung durchgesetzt wird, durch Steuerpolitik oder durch Einkommenspolitik, damit auch diejenigen Bevölkerungsgruppen, die von ihrem Einkommen gegenwärtig nicht in erster Linie ökologische Orientierung beim Einkauf verwirklichen können, dass auch die dann in die Lage versetzt werden, wie das bisher die höheren Einkommensschichten praktizieren, ökologische Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich stärker in ihre Kaufentscheidungen und auch in ihre Anlageentscheidungen einzubeziehen.

Ricke: Der Wirtschafts- und Gesellschaftsethiker Professor Friedhelm Hengsbach. Vielen Dank, Pater Hengsbach.

Hengsbach: Bitteschön.