Die Primadonna im Kulturausschuss

Von Vera Block · 20.02.2013
Swetlana Sacharowa ist ein Star der internationalen Ballett-Szene. Sie gilt als eine der drei besten Tänzerinnen der Welt, sie ist Primaballerina des Bolschoi-Theaters und Étoile an der Scala in Mailand. Und dann mischt die junge Mutter auch noch in der Politik mit.
"Um ehrlich zu sein, mag ich es nicht, wenn ich ruhig bin. Das verwirrt mich. Ich bin vor jeder Vorstellung sehr nervös...Ich brauche diese Anspannung. Wenn ich die Bühne betrete, verschwindet die Nervosität."

Noch hat sie gar nicht getanzt. Swetlana Sacharowa schreitet langsam zur Mitte der Bühne. Bleibt stehen und lüftet ihren Schleier. Der Saal explodiert.

Ohne Maske wäre sie unscheinbar. Dünn, spitze Schulterblätter, hervorstehende Schlüsselbein-Knochen. Haare in der Farbe nasser Kieselsteine. Ein eher breites Gesicht. Spitzes Kinn, nicht allzu großer Mund. Wenn aber das alles hinter der Bühnenschminke verschwindet und Swetlana Sacharowa sich in einer Arabesque aufbaut, ist SIE da – die große Prima.

Swetlana Sacharowa ist Ballerina geworden, weil Mama das so wollte. Ihre Mutter durfte selbst in der kleinen westukrainischen Provinzstadt Lutzk nicht Tanz studieren. Ihren Traum sollte dann die Tochter leben.

Mit zehn fing Sacharowa an, mit 13 wollte sie Ballerina werden, mit 17 wurde sie Solistin am Mariinskij Ballett, mit 24 Prima am Bolschoi. Und etwas später: Étoile, der Star an der Scala in Mailand. Warum ausgerechnet die Italiener ganz verrückt nach Sacharowas kühler Eleganz und sportlich-gymnastisch anmutender Technik sind – das kann die Tänzerin selbst nicht erklären. Aber sie genießt es, in der italienischen Vogue porträtiert zu werden und von den Bühnenarbeitern mit herzlichem Ciao begrüßt zu werden.

"Es gab einen Vorfall, der mich sehr beeindruckt hat. Ich hatte eine einzige Bühnenprobe vor dem Auftritt und mir fehlte die Zeit. In Italien ist die Bühnenarbeit am Theater gewerkschaftlich streng reglementiert – wie lange eine Probe dauert und so was. Arbeiter, die nach mir auf der Bühne zu tun hatten, standen schon in den Startlöchern. Meine Dolmetscherin hat um einen kleinen Aufschub gebeten. Und sie alle haben Platz gemacht und haben eine ganze halbe Stunde lang leise gewartet, bis ich mit der Probe fertig war. Später erklärte man mir, dass es eine einmalige Ausnahme war. Das war für mich ein besonderes Zeichen der Sympathie."

Ballerina in Italien, Politikerin in Russland
Während Sacharowa sich in an der Scala feiern lässt, betritt sie in Russland eine neue Bühne. 2007 ging die Bolschoi-Solistin in die große Politik. Sie kandidierte für die Duma und wurde Abgeordnete der Partei Jedinaja Rossija, Putins Einiges Russland.

"Das ist doch die Partei des Präsidenten. Ich kannte viele, die für 'Einiges Russland' aktiv waren und es gibt viele Künstler, die diese Partei unterstützen. Es war also eine ziemlich einfache Entscheidung."

Bis 2011 mischte Sacharowa als Mitglied das Kulturausschusses und Deputatin aktiv in der Politik mit. Schwerpunkte: Theaterförderung in der Provinz und Wehrdienst-Aufschub für junge Künstler.

"Als ich anfing, dachte ich, alles, was ich sage, wird gemacht. Bei weitem nicht! Alles Politik! Ich habe gelernt, als Politikerin mit anderen Politikern zu kommunizieren... Aber als meine Tochter geboren wurde, habe ich verstanden, dass ich als aktive Tänzerin meine politische Karriere vorerst nicht weiter verfolgen möchte."

Sacharowa ist jetzt 33. Anfang Februar hat sie den zweiten Geburtstag ihrer Tochter gefeiert. Mit ihrem Mann, dem Violinisten Vadim Repin, führt die Ballerina eine Beziehung voller logistischer Herausforderungen. Nach vier Jahren Ehe stellt sie mit gewissem Stolz fest, die beiden würden sich öfter sehen als anfangs gedacht.

"Vadim reist zu Konzerten mehr als ich. Ich verreise seltener, aber wenn es länger als eine Woche dauert, fahren meine Mutter und meine Tochter mit. Und Vadim versucht uns in dieser Stadt zu besuchen."

"Klassik ist zeitlos"
Verzichten kommt also nicht infrage. Auch das mit der Politik konnte sie dann doch nicht ganz lassen. Seit September ist Sacharowa wieder Mitglied im Kulturrat des Präsidenten. Und auch beim Tanzen will sie alles – auch das Moderne, Abstrakte, was den Tänzerinnen der russischen Schule nicht leicht fällt. Sie tanzt wie ein Roboter, versucht sich an Akrobatik. Und kommt zu der Erkenntnis:

"Das klassische Ballett ist das Schwierigste. Je mehr du modern tanzt, um so einfacher wird es. Hast du eine Choreografie ein paar mal getanzt, brauchst du nicht mehr viel proben. Wenn du aber Klassik tanzt, musst du jedes Mal aufs Neue an der Technik feilen und am Charakter arbeiten. Die moderne Choreografie ist heute vielleicht interessant und morgen eventuell schon langweilig. Die Klassik ist aber zeitlos."

Swetlana Sacharowa will keine Bewegungsabfolgen, sondern Charaktere tanzen. Und so runzelt sie die Stirn, hebt die Augenbrauen und kräuselt die Lippen, wenn sie als der schwarzer Schwan die Bühne betritt.

"Der schwarze Schwan Odile gelingt mir oft spannender. Sie ist konkreter, verständlicher. Aber es ist schwerer, die weiße Odette zu tanzen. Der weiße Schwan Odette ist ein schutzloses Lebewesen voller Reinheit. Und Reinheit ist sehr schwer dem Publikum zum vermitteln. Es ist immer einfacher, vor allem für eine Frau, die Hinterlist zu zeigen... dieses Miststück-artige...Das steckt in uns drin…"
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