Die politische Moral von Sanktionen

Von Gesine Palmer · 28.02.2013
Sie wollten den Streit um die iranische Nutzung der Kernenergie diplomatisch zu lösen. Dazu machten die fünf Vetomächte im Weltsicherheitsrat, die EU und Deutschland dem Iran im kasachischen Almaty ein neues Angebot. Angeblich ist der Westen bereit, seine Sanktionen zu lockern – ein Zugeständnis, das Gesine Palmer für vernünftig und moralisch geboten hielte.
Sanktionen gelten in der Politik als ein Mittel, Interessen ohne den Einsatz des Militärs durchzusetzen. Und gerade darum geraten sie moralisch in Verruf oder verfehlen politisch ihr Ziel. Denn die fundamentale Botschaft aller Sanktionen lautet: Ich bin stärker als du. Ich will von dir, dass du das anerkennst. Ich will, dass du dich meinem Willen beugst und tust, was ich von dir verlange. Wie du das findest, interessiert mich nicht.

Wenn es so geht, wie die Befürworter von Sanktionen z. B. gegen den Iran hoffen, lastet die Bevölkerung ihr zunehmendes Leiden dem Regime an, schafft den Aufstand von unten und installiert eine neue Regierung, die dann auf Atomwaffen bereitwillig verzichtet und demokratisch ist. Nichts deutet gegenwärtig darauf hin, dass dieser Fall eintreten kann oder wird.

Wer nun fragt, warum Sanktionen nicht greifen, muss sich ihre doppelte Botschaft bewusst machen. Einerseits wollen sie zu den Normen moderner Gesellschaften erziehen, die Jürgen Habermas 1997 als die Erwartung der Mitglieder, "dass sie fair und gewaltlos miteinander kooperieren können", definierte.

Andererseits hat man aber, indem man Sanktionen verhängt, die Betroffenen von dieser besten Erwartung bereits ausgeschlossen. Sie haben nicht mehr mitzusprechen. Ihre Beschreibung der Lage hat verloren. Ihre Werte haben verloren. Und ihre Handlungsfähigkeit ist im selben Maße beschnitten, wie sie an Verhandlungen über ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr beteiligt sind.

Sanktionen erreichen oft das Gegenteil
Macht man sich das klar, kann man sich eigentlich nur noch wundern, wenn auf Seiten derer, die Sanktionen verhängen, im Kleinen wie im Mittleren wie im Großen, wieder einmal das große Staunen darüber ausbricht, welchen Hass die Maßnahmen bei den von ihnen Betroffenen hervorrufen. Man wollte ja eigentlich das Gegenteil erreichen, nämlich Einsicht.

Schon auf der Faktenebene, vor allen moralischen Überlegungen, kann das nicht gelingen, wie der Kommunikationstheoretiker und Psychoanalytiker Paul Watzlawick erklärt: In sogenannten Non-Contingency-Versuchen geben Versuchspersonen, wenn sie weniger als 25 Prozent Zustimmung von demjenigen, der ihnen eine Aufgabe stellt, erfahren, ihre Lösungsbemühungen auf.

Das gilt bereits bei Versuchen, an denen sich Menschen freiwillig beteiligen, um eine Forschungsarbeit zu unterstützen. Um wie viel weniger werden Menschen oder menschliche Gemeinschaften geneigt sein, beliebige Aufgaben zu lösen, wenn sie nicht einmal eingewilligt haben, die Rolle derjenigen zu spielen, denen andere Aufgaben stellen?

Für die internationale Politik ist daraus zu lernen: Die Sanktion trifft die Bevölkerung eines Landes genauso wie oder härter als das gemeinte Regime. Es wird sich aber niemand von der Herrschaft der eigenen Tyrannen befreien, um sich dann einer fremden Herrschaft gegenüber "einsichtig" zu zeigen.

Keine Kooperation aus Sanktionen
Wer die Macht hat, zu disziplinieren, sagt damit, dass er auch die Macht hätte, zu fördern. Wer selbst seine Macht gebraucht, um das Verhalten anderer zu ändern, indem er sie unter Druck setzt, ihre Rechte mindert, ihnen gar direkt oder indirekt Gewalt antut, zeigt sich eben weder fair noch kooperativ und ist insofern nicht glaubwürdig.

Wer aus verfeindeten Staaten kooperierende machen will, sollte darum nicht auf Isolation setzen. Zu prüfen wäre in jedem einzelnen Fall, ob nicht die Kooperation bei offen ausgehandelten Bedingungen mehr Chancen hätte, als man ihr bisher zutraut. Gegen den grundlosen Hass der anderen kann man manchmal nichts machen. Aber man kann sich weigern, ihm noch eigene Gründe hinzu zu geben.

Bleibt die Frage, wie man Bevölkerungen fremder Staaten ohne den Einsatz von Krieg und ohne den Einsatz von Sanktionen gegen ihre Tyrannen stärken und mögliche Nachfolgeregierungen für gedeihliche Kooperation gewinnen kann. Selbstdisziplin, Anerkennung anderer als gleichwertige Partner und glaubwürdige Rechtfertigung, warum man wie mit Tyrannen verhandelt, werden ihre Wirkung nicht verfehlen.


Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und Allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
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