Die Physik des Kochens

Von Anke Petermann · 11.07.2005
In einigen Ländern hat sich die so genannte Molekulargastronomie inzwischen etabliert. Sie steht Star-Köchen und Ernährungswissenschaftlern beim Kochen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Seite. Einer der Vorreiter in Deutschland ist Thomas Vilgis, Professor der theoretischen Physik am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung.
Das Experiment mit Eiklar und Mixer gelingt:

"Was ich hier mache, ist natürlich, wirklich direkt in die Proteine des Eiklars einzugreifen und sie sozusagen mechanisch zu entfalten, und der Eiweiß-Schaum hier ist relativ stabil ..."

Thomas Vilgis schlägt Eiweiss steif – und das gehört für ihn nicht einfach zum Vorbereiten des Spargel-Soufflés, das er gemeinsam mit einer Assistentin gerade kocht. Üblicherweise sitzt Vilgis als theoretischer Physiker am Schreibtisch und brütet über Molekül-Modellen. Wenn er sporadisch den Bleistift gegen den Kochlöffel tauscht, nutzt er das vor allem, um aktuelle Trends in der Erforschung weicher Materie verständlich zu erklären. Dazu gehören unter anderem Polymere, also die Verbindungen sehr großer Moleküle, und Gele. "Alles was wir essen, ist weiche Materie", sagt der habilitierte Physiker. Wie sich Nahrungsrohstoffe bei der Zubereitung verändern – das will Vilgis herausfinden. Er deutet auf den frisch geschlagenen Eischnee:

"Schäume - die kennt man sehr gut von der Phänomenologie, warum die stabil sind, weiß man auch, weil das Eiweiße sind, die diese Schaumbläschen stabilisieren, aber das führt natürlich jetzt, wenn man weitergeht, in ein aktuelles Forschungsgebiet, denn dass diese Eiweiße an diese Wasser-Luft-Grenze gehen, hat etwas zu tun mit der Primärstruktur von Proteinen, die bestimmt ist durch die Abfolge von bestimmten Aminosäuren ..."

So kompliziert sich die physikalischen Zusammenhänge anhören, so einfach sind sie zu verstehen, wenn man sich ihnen vom Kochtopf her nähert. Doch die Molekulargastronomie ist am Mainzer Max-Planck-Institut noch keine etablierte Forschungsrichtung. Über High-Tech-Geräte wie Filtrationsmaschinen verfügt Thomas Vilgis nicht. Die zum "Labor" umfunktionierte Mitarbeiterküche sichert keine idealen Versuchsbedingungen, der Forscher wird hier mit Pleiten und Pannen konfrontiert, wie sie auch im normalen Haushalt passieren. Zuerst geht die Spargelmasse, die Thomas Vilgis samt Eischnee in Souffléförmchen gegeben hatte, im Backofen sehr schön auf. Aber dann ...

"Ha - da sieht man jetzt, das ist jetzt ganz interessant..."

Ein Blick in den Ofen, und der Laie sieht - ein zusammengefallenes Soufflé. Der Fachmann hingegen erkennt:

" ... ein kollabiertes Netzwerk aus Albumin-Proteinen, also Teile davon sehen jetzt aus wie ein pochiertes Ei, das heißt praktisch, dass diese ganze Schaumstruktur durch diesen fehlenden Temperaturgradienten kollabiert ist und einfach diese Eiweißmoleküle, diese Proteine, sich zusammenlagern und dann völlig gerinnen - und das sieht man hier auch auf dem Boden dieses Soufflé-Förmchens."

Dass das Experiment Spargel-Soufflé misslingt, liegt daran, dass der Institutsherd kein taugliches Labor-Gerät für molekulargastronomische Experimente ist. Er stellt kein stabiles Gefälle her zwischen starker Unterhitze und schwächerer Oberhitze, sondern verströmt ab einer bestimmten Temperatur Heißluft - der Tod eines zart-schaumigen Auflaufs. Doch Thomas Vilgis trägt’s mit Fassung. Schließlich verschafft auch das Scheitern wissenschaftliche Einsichten. Und es geht dem Mainzer Physiker nicht in erster Linie darum, kulinarische Hochgenüsse hervorzubringen. Sein Haupt-Anliegen ist es, in der breiten Öffentlichkeit ein besseres Verständnis für naturwissenschaftliche Vorgänge nicht nur in der Küche zu schaffen. Dua Arti, Postdoktorandin aus Indien, assistiert Thomas Vilgis zeitweise bei seinen Kochexperimenten und sieht in der Molekulargastronomie einen guten Weg, die sperrige Wissenschaft Physik populärer zu machen.

"Die meisten Leute haben richtig Angst vor Physik, weil sie sofort an komplizierte Gleichungen denken. Deshalb meine ich, dies hier ist eine gute Methode zu zeigen, wie viel Physik wir im Alltag brauchen. Und wenn man es sieht, versteht man es einfach besser, als wenn man Gleichungen löst. Es ist zugänglicher für die Leute."

Es ist nicht nur interessant, sondern auch ganz praktisch, etwas über Physik in der Küche zu erfahren – jedenfalls für diejenigen, die gerne kochen und auch gelegentlich kreativ experimentieren, meint Thomas Vilgis.

"Karamellisierungsexperimente zum Beispiel – wenn man weiß, was im Zucker vorgeht, kann man mehr mit dem Zucker anfangen, als wenn man nicht weiß, was mit dem Zucker vorgeht. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass der Zucker bei 170 Grad nicht schmilzt, aber schon teilweise erweicht, dann weiß ich, dass ich nur bis 170 Grad gehen muss, um mit dem Zucker bestimmte Dinge anstellen zu können, die ich nicht anstellen kann, wenn ich ihn komplett aufschmelzen würde."

Und so kann der Hobbykoch von der Wissenschaft profitieren – und vielleicht in ferner Zukunft auch die Schulen. Denn der Physikunterricht könnte an Attraktivität enorm gewinnen, dürften die Schüler im Labor Zucker karamellisieren und Desserts herstellen...