Die Oper aller Opern

Von Frieder Reininghaus · 29.10.2012
Der größte Frauenverführer Don Giovannni hat viele Bereiche der Kunst beflügelt. So auch in Lorenzo da Pontes und Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Don Giovanni". Zum ersten Mal wurde sie am 29. Oktober 1787 im Prager Ständetheater aufgeführt und sollte das wirksamste und vitalste Bühnenwerk zum Don-Juan-Mythos werden.
In Miloš Formans Verfilmung von Peter Shaffers Bühnenstück "Amadeu" beschäftigt sich eine Episode mit der Oper Don Giovanni. Der in der Nähe von Prag geborene US-amerikanische Regisseur richtete sein Augenmerk da auf den Komtur, den Vater der vom Titelhelden mutmaßlich mit List und Gewalt verführten Donna Anna. Im anschließenden nächtlichen Zweikampf ersticht der "sehr leichtfertige junge Edelmann" den Repräsentanten der althergebrachten Staats- und Familienordnung. Die Kamera beobachtete aus der Perspektive des am Dirigentenpult stehenden Komponisten Mozart, wie die Figur des Komturs, der am Ende als rächender "steinerner Gast" wiederkehrt, in die von Vater Leopold Mozart übergeht.

Nach zweimaliger Terminverschiebung wurde das dramma giocoso am 29. Oktober 1787 im Fürstlich Nostizschen Theater, dem Prager Ständetheater, uraufgeführt. Dass es etwas mit den Biografien der beiden Autoren zu tun hatte, plauderte Lorenzo da Ponte aus: Der Librettist schrieb Don Giovanni parallel zu Operntexten für Martín y Soler und Antonio Salieri. Von zweierlei wurde er in seiner Euphorie stimuliert: von

"einer Flasche Tokaier zur Rechten und einer Schachtel Sevilla-Tabak zur Linken", "

vor allem aber von

""einem schönen sechzehnjährigen Mädchen – ich hätte sie nur wie eine Tochter lieben sollen. Das Mädchen war bei diesen drei Opern meine Muse und blieb es hernach bei allen Versen, die ich im Verlauf sechs weiterer Jahre schrieb."

Während Abbé da Ponte sich in seinen autobiografischen Mitteilungen zu einer gewissen sexuellen Verlässlichkeit bekannte, gibt es plausible Hinweise dafür, dass Mozart, der seine Ehefrau Konstanze nach Prag mitgenommen hatte, während der Endproben dem Don Giovanni nachzueifern trachtete. Wobei wir uns bezüglich der Erfolge so wenig verbürgen können wie Leporello bei seinem Dienstherrn.

Die "Eskapaden" blieben nicht ohne Folgen. Mozart starb vier Jahre nach der Prager Exkursion an den Folgen einer von ihm selbst verabreichten Quecksilbertherapie. Was Wunder, dass bald darauf auch psychoanalytisch genährte Betrachtungen zum Don Giovanni-Komplex einsetzten.

Der Berliner Jurist, Schriftsteller, Zeichner und Musiker E.Th.A. Hoffmann, Syphilitiker wie Mozart, charakterisierte in seiner 1814 veröffentlichten Novelle Don Juan als "Oper aller Opern". Er unterstellte, dass es der große Verführer grundsätzlich meinte mit dem von ihm entwickelten Prinzip, das die "göttliche Ordnung" herausforderte. Der junge Lord wollte und nahm sich

"schon auf Erden das, was bloß als himmlische Verheißung in unserer Brust wohnt. Vom schönen Weibe zum schönern rastlos fliehend; bis zum Überdruss, bis zur zerstörenden Trunkenheit ihrer Reize mit der glühendsten Inbrunst genießend; immer in der Wahl sich betrogen glaubend, immer hoffend, das Ideal endlicher Befriedigung zu finden, musste doch Juan zuletzt alles irdische Leben matt und flach finden". "

Er sei daher zum Menschenverächter geworden, dem ein Leben nicht viel zählt; vor allem aber zum Gesinnungstäter:

""Jeder Genuss des Weibes war nun nicht mehr Befriedigung seiner Sinnlichkeit, sondern frevelnder Hohn gegen die Natur und den Schöpfer."

Er treibt es zu weit und wollte, wie Hoffmanns Erzählung fein beobachtete, am Ende

""auch wirklich immer mehr aus dem Leben, aber nur um hinabzustürzen in den Orkus"."

Der Don Giovanni, den da Ponte und Mozart nach bewährten Vorbildern durchs höllische Feuer auf den langen Lebensweg schickten, hat sich als das wirksamste und vitalste Bühnenwerk zum Don Juan-Mythos behauptet – über mehr als 200 Jahre hinweg.