Die neuen Alternativen

Das gefährliche Re-Branding der Rechten

Bis zu 2500 Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) bei einer Demonstration in Berlin
Die Alternative Liste war gestern, heute gibt es die Alternative für Deutschland. © Imago
Von Sieglinde Geisel · 21.03.2017
Sie trugen lila Latzhosen und strickten im Bundestag - die Alternativen, die in den 1980er-Jahren von links gegen die etablierten Parteien antraten. Heute hat der Begriff "alternativ" die Seiten gewechselt - auch solche Gruppen, wie etwa die "Identitären", ordnen sich ihm zu.
Wer sich als alternativ bezeichnet, will anders sein als die anderen. Früher war die Alternative links: anders als der Kapitalismus, anders als die Nazi-Väter, anders als das Establishment. Man war für die Umwelt, den Frieden und die Armen. Es war die Zeit von Räucherstäbchen, Bioladen, Henna. Später kam TINA: "There is no alternative", behauptete Margaret Thatcher. In Deutschland erfand man die Wortkeule "alternativlos". Das "Unwort des Jahres" 2010 wird quer durch die Parteien benutzt, um unliebsame Diskussionen im Keim zu ersticken.
In der Politik ist das Wort "alternativ" ein Kampfbegriff, eingesetzt wird er auf allen möglichen Schlachtfeldern. Bis vor wenigen Jahren beanspruchten die Linken die Alternative für sich, doch nun haben die Rechten den Begriff gekapert. Die "Alternative Liste" war gestern, heute haben wir die "Alternative für Deutschland".

Die neue Alternative maskiert alten Rassismus

Begonnen hat dieser Trend in den USA. Der Begriff "alternative right" wird Richard Spencer zugeschrieben, einem heute 38-jährigen Literaturwissenschaftler und Think-Tank-Betreiber. Der ging im Jahr 2010 mit einer Website online, die mittlerweile "altright.com" heißt. Für diese vermeintlich neutrale Selbstbezeichnung gibt es allerdings unheilige Gründe. Der amerikanischen Neuen Rechten geht es nämlich nicht mehr um die Hierarchie des Geldes, sondern um die Hierarchie der Rasse.
Der weiße Mann sieht sich auf dem absteigenden Ast: Es drohe ein "weißer Genozid" durch Migration. Um diesen zu verhindern, müssten die USA ein "Ethno-Staat" werden. So etwas nannte man früher Rassismus – und von genau diesem Wort sind Begriffe wie "Ethno-Staat" gesäubert. Wie bei "Alternative" handelt es sich auch bei "Kulturalisten" und "Identitären" um Tarnbegriffe. Was ließe sich gegen Kultur oder Identität schon sagen? Die Rechten haben sich damit sogar das linke Prinzip der Political Correctness zu eigen gemacht, gegen das sie offiziell so volltönend zu Felde ziehen.

Wer sich als Alternative anpreist, muss keine Inhalte haben

Dass sich rechte Revolutionäre linker Begriffe bedienen, ist zwar nichts Neues: Mit den Nationalsozialisten kam der Sozialismus auf einmal von rechts. Doch kaum ein Begriff eignet sich für das politische Re-Branding besser als "Alternative". Denn eine Alternative hat keinen Inhalt. Wer sich dieses Wort auf die Fahnen schreibt, sagt damit einzig, dass er nicht einverstanden ist, womit auch immer. Eine Alternative ist kein Programm, sondern nur ein: "So nicht!"
Früher wollten die Linken, dass alles anders wird, heute sind es die Rechten. Die Linken wiederum sehen sich auf einmal in der Rolle der Konservativen, der Bewahrenden, jetzt sind sie es, die von "Werten" sprechen. So haben alle die Plätze gewechselt: Die Eliten sind links, die Revolutionäre rechts, und die Alternativen von gestern müssen feststellen, das man sie auf das Abstellgleis des Gutmenschentums manövriert hat.
Dieser ganze Sprachzauber lenkt davon ab, dass die Alternativen von heute durchaus ein Programm haben, und zwar ein mörderisches. Ihre Alternative zum Status Quo einer globalisierten Welt ist der Ausschluss aller Menschen, die anders sind als sie selbst.

Sieglinde Geisel, 1965 im schweizerischen Rüti/ZH geboren. Sie arbeitet für verschiedene Medien als Literaturkritikerin, Essayistin und Reporterin und betreibt das Blog "tell review - literatur und zeitgenossenschaft". Buchpublikationen: "Irrfahrer und Weltenbummler. Wie das Reisen uns verändert" (2008) und "Nur im Weltall ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille" (2010).

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