Die neue Helena

Von Christian Gampert · 09.06.2010
Peter Handke hat "Helena" von Euripides neu übersetzt. Das Stück feierte im Rahmen der Wiener Festwochen Premiere.
Helena, so dachten wir bisher, war eine relativ attraktive Frau und ein loses Vögelchen, allerlei Verführungen durch junge Männer nicht abgeneigt – durch sie wurde der größte Kriegszug der Antike in Gang gesetzt, jedenfalls in der Fassung des Homer.

Entschuldigend konnte höchstens angeführt werden, dass sie, die Schöne, völlig unbeteiligt in einen Streit der Göttinnen geraten war, von denen eine, die Aphrodite, sie dem Paris als Preis versprach für den Fall, dass er als Schönheits-Juror für sie stimmte – Helena war eine Art Bestechungsgeld.

Allerdings hatte Helena auch Gefallen am Fremdgehen gefunden, denn, aus dem öden Sparta entführt, schien es ihr in Troja bei dem neuen Liebhaber Paris durchaus zu gefallen; der Krieg war lästige Begleiterscheinung. Das Klischee vom langweiligen Ehemann Menelaos und seiner erotisch aktiven Gattin hält sich bis zu Jacques Offenbachs "Die schöne Helena", die 1864 die Pariser Gesellschaft parodierte.

Nun aber ist alles anders, denn Peter Handke, auch er ein erfahrener Liebhaber und Ehemann, der einst den "Kurzen Brief zum langen Abschied" schrieb, Peter Handke hat Euripides gelesen. Und dort eine ganz andere Helena entdeckt.

Bei Euripides ist Helena nie in Troja angekommen – von Paris entführt wurde lediglich ein Helena-Phantom, ein "lebend Gebilde aus Ätherstoff"; die wahre Helena landete in Ägypten. Hera nämlich, die Göttermutter und Schutzherrin der Ehe, ließ die wirkliche Helena auf eine ägyptische Insel bringen, wo sie am Hof des braven Proteus Schutz fand. Erst als dieser stirbt, gerät die ausgesprochen sittsame Helena in Schwierigkeiten: Der Sohn des Toten, Theoklymenos, bedrängt sie und will sie für sein Bett. Der sei "wild auf sie", heißt es in der Übersetzung des Peter Handke, der auf der Schule Griechisch gelernt hat.

In dieser Situation taucht, bei Euripides, Helenas Gatte Menelaos in Ägypten auf, auf der Rückfahrt vom Trojanischen Krieg. Ein Ehepaar muss sich neu kennenlernen. Was wird passieren? Wir erfahren es – in Wien, im Burgtheater.

Die Premierenkritik von Michael Laages zu Handkes Neuübersetzung von "Helena" können Sie als MP3-Audio hören.
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