Die neue Außenpolitik der Türkei

Von Hakan Turan · 07.12.2011
Die Politiker der türkischen Regierung strotzen vor Stolz und Selbstbewusstsein. Unbeschadet der Weltwirtschaftskrise ist die Türkei zur 17.-größten Volkswirtschaft angewachsen. Und sie gilt vielen als Beleg, dass sich der Islam mit der Demokratie vereinbaren lässt.
Solchermaßen erfolgreich inspiriert sie die Revolutionäre in den arabischen Ländern - also in den Ländern, in denen der türkische Premierminister laut einer Studie der Maryland University von 2010 der beliebteste Politiker ist.

Doch nicht jeden erfreut das neue Selbstbewusstsein Ankaras. Innenpolitisch gesehen, stocken die rechtsstaatlichen Reformen des EU-Anwärters. Außenpolitisch betrachtet, leistet es sich ein historisches Zerwürfnis mit dem langjährigen Partner Israel und stellt sich im Nahostkonflikt demonstrativ an die Seite der Palästinenser und Araber.

Manche Beobachter meinen darin zu erkennen, dass die Türkei ihre traditionelle Westbindung nach und nach zugunsten einer neo-osmanischen Politik aufgebe. Für die EU sei eine solche Türkei jedenfalls keine Option mehr. Dieses Szenario stellt jedoch eine allzu grobe Vereinfachung dar. Denn die Araber wünschen sich sicher nicht, erneut durch Türken bevormundet zu werden, nachdem sie sich vor einhundert Jahren von den Osmanen befreit haben. Der türkische Präsident Abdullah Gül wiederum vergleicht das Verhältnis zu den arabischen Ländern diplomatisch geschickt mit dem losen Bund des Commonwealth of Nations.

Das Interesse an den Arabern ist auch kein Bestandteil einer Zuwendung zum politischen Islam. Vielmehr empfahl Premier Erdoğan den Völkern Tunesiens, Libyens und Ägyptens erst kürzlich, einen säkularen Staat wie die Türkei zu gründen - bedeutende Worte, die ihn letztlich auch selbst verpflichten. Diese Botschaft war sicherlich nicht nur an die Araber, sondern auch an die westliche Welt gerichtet.

Und auch wenn Erdoğan sich der westlichen Welt noch so machtbewusst präsentiert: Faktisch ist und bleibt die Türkei von Europa abhängig. Denn nach wie vor hält das Bemühen um einen EU-Beitritt die Reformen am Laufen. Und Ankara gibt das auch offen zu. Auf dem Weg in die EU hätte das Land am Bosporus in den letzten zehn Jahren mehr Demokratie und Aufschwung erlebt als in den vierzig Jahren zuvor, schreibt beispielsweise das neue EU-Ministerium in einer Broschüre. Es bliebe jedoch noch sehr viel zu tun, um allen türkischen Bürgern den Lebensstandard der EU-Bürger zu sichern. Auch das sind klare Worte.

Und das Problem dahinter ist ernst. Der aktuelle Human Developement Index beispielsweise setzt die Türkei, wie gesagt die 17.-größte Volkswirtschaft der Welt, auf einen ernüchternden Platz 92 unter 187 erfassten Ländern. Eine solche Türkei kann der EU nicht den Rücken kehren, wenn sie ihr ehrgeiziges Ziel erreichen will, zu einem Vorzeigeland für Orient und Okzident zu werden.

Die EU wiederum hat es in der Hand, die türkische Regierung zu einem rascheren Reformtempo zu drängen. Selbst wenn die Türkei nie beitreten sollte, ist es im Interesse aller Seiten, dass sie die politischen und wirtschaftlichen Kriterien der EU erfüllt, zugleich aber als Vorbild und Mittler in der islamischen Welt angesehen wird. Dazu müssten türkische Politiker freilich lernen auf nationalistische Sprüche zu verzichten, und sich stattdessen einer diplomatischen Sprache zu bedienen.

Insgesamt hat das jüngste Interesse Ankaras an den islamischen Ländern im Mittelmeerraum die türkische Rolle an der Südostflanke Europas wie auch in der Nato neu definiert. Wer jedoch befürchtet, dabei wende sich die Türkei vom europäischen Kontinent ab, verkennt, dass die politische wie staatstheoretische Orientierung gen Westen weiterhin ein zentrales Motiv der türkischen Politik geblieben ist.

Diese Westorientierung ist von vitaler Bedeutung für den auferstandenen Mann am Bosporus - einem Mann, der euphorisiert ist von dem Gefühl die moderne Demokratie, ein zeitgemäßes Islamverständnis und den freien Markt unter eigener Regie erfolgreich zusammenzuführen.

Hakan Turan, Physiker , Lehrer, Blogger, Jahrgang 1979, studierte Diplom-Physik, Mathematik und Philosophie in Stuttgart und Tübingen, ging in den Schuldienst und arbeitet derzeit als Studienrat in Stuttgart.

Er engagiert sich für die Themen "Integration" und "interkulturelle Öffnung", unter anderem im Stuttgarter Projekt "Migranten machen Schule". Als Autor schreibt er für Lehrerzeitschriften und verfasst Essays über "Islam und Moderne" auf seinem Blog Andalusian-Blog
Hakan Turan
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