Die Navajo-Indianer

Von Jan Tussing · 27.02.2012
Die Navajo-Indianer in Nord-Arizona nennen sich selbst "Diné". Der Name Navajo stammt noch von den Spaniern. Wegen der Armut sind viele Jüngere in die Städte gezogen, doch immer mehr besinnen sich auf ihre indianische Identität, zum Beispiel im Rahmen sozialer Programme und Hilfsangebote.
Fast die Hälfte der Navajo-Indianer lebt unterhalb der Armutsgrenze. Auf dem Reservat gibt es meist kein Wasser,- oder Stromanschluss. Zum nächsten Geschäft muss man meilenweit mit dem Auto fahren – und das Benzin ist teuer. Im Schnitt verdient ein Navajo nur 1300 Dollar im Jahr. Das reicht weder für Essen, noch fürs Leben. Die Menschen sind auf Hilfsorganisationen angewiesen.

Bis heute leben die Indianer im Reservat strikt getrennt vom Rest der USA. Gesellschaftlich und politisch. Sie haben ihre eigenen Gesetze, ihre eigene Polizei, und sie zahlen auch keine Steuern. Daher sind soziale Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser auch fast nicht vorhanden. Die Navajos leben in den USA wie Fremde in einem Paralleluniversum. Viele Amerikaner wissen nichts über die Ureinwohner, viele interessiert es auch nicht. Es gibt so gut wie keinen gemeinsamen Austausch. Und das obwohl die US-Regierung über Jahrhunderte versucht hat, Indianer zu assimilieren und ihre Kultur auszulöschen. Mary hat es am eigenen Leib erfahren müssen.

"Ich bin in ein Internat gegangen wo mir verboten wurde meine Sprache zu sprechen, ansonsten wurde mir ein Stück Seife in den Mund gedrückt. Und das ist gerade mal 30 Jahre her. Wenn ich mich falsch benommen habe, - die Schulbehörden sind dem Bureau für indianische Angelegenheiten unterstellt - dann wurde ich verprügelt. Verprügelt! In einer Schule, so etwas gibt es nirgendwo heutzutage in der westlichen Welt. Und dennoch, an unseren Internaten ist so etwas passiert."

Kein Wunder ist das Misstrauen der amerikanischen Ureinwohner gegenüber den staatlichen Behörden immer noch sehr groß. Die Indianer wurden auf Reservate verfrachtet, und dort oft von christlichen Organisationen missioniert und assimiliert.

"Wir hatten keine staatlichen Schulen auf dem Reservat, die gibt es erst seit 15 Jahren. Davor gab es nur Internate, die von der US Regierung kontrolliert wurden. Heute schaue ich zurück und ich weiß. Ihr Zweck war nicht, mich zu unterrichten, sondern sie hatten den einzigen Zweck mich zu assimilieren, mich von meiner Navajo Kultur zu entfernen. Sie wollten mich weiß machen."

Die Kultur der Navajo ist seit Jahrzehnten vom Verfall betroffen. Die brutale Behandlung der Indianer und das Trauma der Zwangsassimilierung haben sich in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt. Armut, Alkoholismus und häusliche Gewalt grassieren in vielen Dörfern noch immer. Schlechte Ernährung, Übergewichtigkeit und Diabetes gefährden die Gesundheit der Menschen. Es fehlt an allem, vor allem an Arbeit. Viele Navajo verlassen daher das Reservat. Und durch die Abwanderung in die Städte haben sich Familien entfremdet.

Enkelkinder verstehen heute ihre Großeltern nicht mehr, denn Navajo ist dabei auszusterben. Die Rituale und die Musik wurden nicht weitergegeben. Lange Zeit wurde befürchtet, die Kultur und die Sprache der Navajo könnte aussterben. Aber seit ein paar Jahren zeichnet sich ein Erwachen der Identität ab. Und viele junge Indianer, die Enkel der Stammesältesten besinnen sich auf die Kultur ihrer Vorfahren.

Native Voice, die Stimme der Ureinwohner Amerikas ist das Lokalradio für Indianer in Arizona und New Mexico und gehört zu einem Verbund aus mehreren Lokalradios für die einzelnen Stämme in den USA.

Zu hören sind Nachrichten, Berichte aus aller Welt. Oder auch Werbespots gegen Crystal Meth, eine Droge, die viele indianische Jugendliche nehmen. Es ist ein Aufruf an die Eltern, mit ihren Kindern zu sprechen, Traditionen zu bewahren und die Kultur zu bewahren.

Die Identität der Navajo und auch anderer Stämme im Südwesten der USA wurde stark auf die Probe gestellt. Und angesichts der Armut, und der Trostlosigkeit auf den Reservaten war die Kultur dem Untergang geweiht. Gibt es die Kultur der Indianer überhaupt noch? Joe Cantana käme nie auf die Idee, daran zu zweifeln. Der junge Mann ist Navajo und Chefredakteur der einzigen Studentenzeitung für Indianer in den USA.

"Der amerikanische Komiker Chris Rock, sagte einmal, er habe schon Eisbären auf Dreirädern gesehen, aber noch nie zwei Indianer in einem Restaurant. Wie ist das möglich? In unserer heutigen Gesellschaft."

Joe Catana managt das Studentenmagazin Red Ink, rote Tinte. Er schreibt über alltägliche Themen – aus indianischer Sicht.

"Sind die Indianer wirklich alle weg? Bei Sonnenuntergang auf einem Pferd der Sonne entgegen geritten wie John Wayne? Das ist schwer zu glauben."

Catana bedauert, dass die Kultur der Indianer in der amerikanischen Gesellschaft keine Rolle spielt. Die Assimilierung der Indianer innerhalb der US Gesellschaft habe fast zu einem Verschwinden der Kultur geführt. Zur Auflösung der Gemeinschaft. Red Ink will daher die Identität gerade junger Indianer fördern.

"Wir haben gerade unsere 20-jährige Jubiläumsausgabe herausgegeben. Unser Thema war Erneuerung. Wir schauen auf die Zukunft der Indianer aus der Perspektive der Ureinwohner. Wie sehen die nächsten zehn, 20 Jahre aus, was Bildung, Business und Finanzen angeht. Es geht um Justiz, Gerichte und Gesetze der Indianer, um den Erhalt unserer Sprache. Wir wollen nicht mehr wissen, was andere Leute uns zu sagen haben, sondern unsere eigenen Antworten finden. Was bringt die Zukunft für unsere Gemeinden?"

Im Südwesten der USA leben rund 300.000 Navajo auf einem autonomen Gebiet von der Größe Bayerns. Aber Schüler in Arizona lernen nichts über die Kultur der Indianer, über die Ureinwohner in ihrem eigenen Bundesstaat. Die Geschichte in ihren Schulbüchern beginnt mit der Besiedlung Amerikas durch die Europäer. Indianische Kultur wird von Politikern in Arizona immer noch komplett ignoriert. Joe Catana gibt den amerikanischen Medien eine Teilschuld.

"Es gibt Journalisten, die sich weigern, über Indianer zu berichten, weil die Zuschauer sich nicht mehr dafür interessieren. Die Berichte seien zu langweilig. Red Ink will das ändern. Junge Indianer haben eine Meinung, zur Politik oder Wirtschaft. Warum werden wir nicht gefragt, warum gehen Reporter immer sofort zu Nicht-Indianern? Wir sind auch besorgt, wenn unsere Geschwister nach Afghanistan gehen, oder Irak. Wir wollen unsere Soldaten auch wieder zu Hause sehen. Aber unsere Sichtweise interessiert nicht."

Hat indianische Kultur in den USA noch Platz? Keine Frage, natürlich glaubt der eloquente Journalist. Für ihn gibt es ein Erwachen der indianischen Identität. April zum Beispiel, die junge Frau studiert die Kultur und Sprache der Navajo am Diné-College in Nordarizona.

"Ich habe einen Bachelor von einer anderen Uni aber ich bin jetzt wieder zurück ans Diné College, um über meine eigene Sprache und Kultur zu erfahren."

Das Diné College war die erste Universität in den USA, wo Indianer ihre Kultur studieren konnten. Heute gibt es 37 indianische Unis. LaFrenda Frank wirbt Studenten an, auf der Suche nach ihrer Identität:

"Sprache ist der Klebstoff unserer Identität, sagt LaFrenda Frank vom Diné College. Sprache ist sehr wichtig bei den Liedern, den Gebeten und den Zeremonien. Wenn du in deiner eigenen Sprache reden kannst, dann ist das sehr machtvoll und heilig. Wenn wir unsere Sprache vergessen, dann werden wir wie jeder andere auch, Teil der Masse, deswegen ist Sprache so wichtig."

April hat Navajo nie gelernt. Aber die junge Frau merkt, dass ihr als Indianerin die Sprache fehlt. Und damit liegt sie bei jungen Indianern voll im Trend. Das Diné College hat wachsenden Zulauf.

"Ich belege Kurse im ganzheitlichen Heilen der Navajo. Da geht es um die unterschiedlichen Zeremonien der Navajos, und die werden von einem Navajo-Praktiker unterrichtet."

Der andere Kurs, den sie mag heißt Navajo Natur,- und Kräuterkunde. Da geht es um den medizinischen Gebrauch von Pflanzen. Das Interesse an der Kultur der Diné - der Navajo - nimmt langsam wieder zu. Junge Indianer besinnen sich auf ihre Identität. Sie merken, sie haben etwas zu bieten und melden sich mit wachsendem Selbstbewusstsein zu Wort.

Können die Wunden verheilen? Kann heute zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte eine Brücke geschlagen werden zwischen den Ureinwohnern und den restlichen Amerikanern? Das Adoptionsprogramm für Navajo-Stammesälteste spielt hier ein wichtiges Element. "Adopt a native Elder" - Kümmere dich um einen alten Menschen und lerne von ihm – seiner Kultur, seinen Traditionen und seiner Weltanschauung. Respekt ist das Schlüsselwort.

"Ich glaube die Diné-Menschen sind gegenüber dem Programm sehr aufgeschlossen, und meiner Meinung nach ist das "Adopt a native elder"-Programm deshalb so wichtig, weil wir unsere Versprechen einhalten. In der Geschichte der USA hat die Regierung den Ureinwohnern immer wieder Versprechungen gemacht. 486 Verträge! - aber nicht einer wurde eingehalten. Wenn wir die gleiche Vertragsbrüche mit einem anderen Land hätten, zum Beispiel Deutschland, dann gäbe es einen riesigen Aufschrei."

Fintje, und die vielen anderen freiwilligen Helfer des Programms kommen schon seit Jahren nach Lleupp. Die gebürtige Holländerin kümmert sich ganz persönlich um das Wohlergehen ihrer adoptierten Stammesältesten. Daraus ist eine enge Freundschaft gewachsen.

#"Ich bin mit meiner Stammesältesten zusammen auf dem Reservat geblieben. Und sie hat kein fließendes Wasser. Ich hatte kein anderes Wasser als den Kanister im Auto. Den haben wir am Morgen dann genommen, um unsere Hände zu waschen und die Zähne zu putzen. Und dann sind wir zu einer Tankstelle gefahren und haben uns dort geduscht. Das ist der Alltag."

Fintje ist für den heutigen Tag sehr dankbar, denn die Begegnungen mit den Navajo ist für sie vor allem eine große persönliche Bereicherung.

"Es ist unmöglich hier zu sein und nicht verwandelt zurückzukommen. Du lernst mit viel weniger auszukommen. Wenn ich was kaufen gehe, sag ich mir immer, das brauche ich doch gar nicht, noch ein paar Schuhe oder eine Jacke, Stattdessen kaufe ich für das Reservat."

Trotz der bitteren Armut haben auch die Stammesältesten ihre Geschenke verteilt. Sie kommen mit kleinen Schritten auf ihre Helfer zu und hängen ihnen Ketten um den Hals. Kostbare, dekorative Indianerketten aus wertvollen Türkisen. Sie haben Teppiche geknüpft und Schmuck angefertigt. Das Navajo-Handwerk ist schließlich weltberühmt.

"Immer wieder sind wir betroffen angesichts ihrer Großzügigkeit. All die Dinge, die sie geben, wenn man weiß wie wenig sie besitzen, und dass sie nur nehmen, was sie wirklich brauchen. Wenn sie mal einen Wunsch aussprechen, dann weil sie etwas wirklich brauchen, aber sie sind sehr stolze unabhängige Menschen, voller Würde und ich bin immer zu Tränen gerührt, wenn sie uns beschenken, all die Ketten die Türkise, die ich trage sind von meiner Alten, und sie hat nichts. Du lernst hier wirklich Menschlichkeit."

Das Hilfsprogramm für die Stammesältesten, adopt a native elder – ist ein wichtiger Teil, um den von Armut betroffenen Alten einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. Weder der Bundesstaat Arizona, noch die US-Regierung in Washington sehen sich für die Versorgung der Ureinwohner Amerikas verantwortlich. Es gibt keine ausreichende medizinische Versorgung, noch werden Gelder in die soziale Infrastruktur investiert. Auf dem Reservat der Navajo sieht es teilweise aus wie in der Dritten Welt. Die Kultur der Indianer ist für die meisten US-Amerikaner heute oft noch genauso fremd wie vor 100 Jahren. Umso bedeutender sind die Hilfsaktion der kleinen privaten Organisationen, die mit viel Menschlichkeit und kleinen Mitteln Großes bewirken.
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