"Die Menschen sind einfach die Situation in den letzten Jahren leid"

Christoph Schlee im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.02.2009
Der Sprecher des Netzwerkes Grundeinkommen, Christoph Schlee, hat die Forderung nach einer Sicherung der finanziellen Basis bekräftigt. "Wir sind nicht mehr so sehr, wie vielleicht frühere Generationen, bereit, uns sozusagen von Ämtern, von Bürokratien, aber auch von Vorgesetzten in einer Firma irgendwie einfach nur sagen zu lassen, was wir zu tun haben", sagte Schlee.
Joachim Scholl: Im Studio begrüße ich jetzt den Filmemacher Christoph Schlee. Er ist engagiert im sogenannten Netzwerk Grundeinkommen. Guten Tag, Herr Schlee!

Christoph Schlee: Ja, guten Tag, das stimmt.

Scholl: Über 50.000 Bürger haben ihre Unterschrift unter diese Petition gesetzt, das ist ein sensationeller Zulauf, wir haben es gerade gehört. In der Regel erreichen Petitionen höchstens ein paar Tausend Unterstützer. Wie erklären Sie sich dieses Rieseninteresse?

Schlee: Ja, man kann einfach sagen, die Menschen sind einfach die Situation in den letzten Jahren leid, Hartz IV ist 2005 eingeführt worden mit den klaren Vorgaben, da in kurzer Zeit anderthalb Millionen Arbeitslose abzubauen. Das hat sich ja nun als Täuschung herausgestellt. Viele Menschen stehen da in den Ämtern und wollen eigentlich was tun, sind guten Mutes, haben Lust, sich zu engagieren, sind fleißig, aber kriegen einfach in den Ämtern nicht das, was sie brauchen. Und das Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit, da ganz unbürokratisch Abhilfe zu schaffen. Da gibt man dem Menschen was in die Hand, und sie können eigentlich die Dinge machen, die sie sowieso schon gerne machen wollen, die auch der Gesellschaft was bringen.

Scholl: Nun ist die Idee vom Grundeinkommen ja nicht neu. Seit Jahren kommt das Thema immer mal wieder auf, und vom thüringischen Ministerpräsidenten etwa, Dieter Althaus, der fordert ein Bürgergeld. In der FDP wird darüber genauso diskutiert wie in der Linkspartei. Und ein unermüdlicher Streiter für ein solches Einkommen, den kennen wir, den Drogeriemarkt-Chef Götz Werner. Großes, zentrales Argument, Herr Schlee, ist immer der Bürokratieabbau. Andere sprechen davon, dass ein Grundeinkommen weit eher, ja, unseren tatsächlichen Zustand der Gesellschaft reflektiert, nämlich dass eben Arbeit nicht mehr für alle da sein kann. Was ist für Sie das entscheidende Argument?

Schlee: Ja, ich denke, das sind schon ganz wichtige Stichworte. Ich glaube, die Forderung nach dem Grundeinkommen entspricht eigentlich so ein bisschen der Situation der Menschen heute. Wir sind nicht mehr so sehr, wie vielleicht frühere Generationen, bereit, uns sozusagen von Ämtern, von Bürokratien, aber auch von Vorgesetzten in einer Firma irgendwie einfach nur sagen zu lassen, was wir zu tun haben.

Wir wollen bei der Arbeit, die wir tagtäglich machen, auch bei dem Engagement für unsere Mitmenschen, eigentlich immer mehr auch selber mit entscheiden, wir wollen selber mitbestimmen, wir wollen uns selber einbringen, wir wollen uns nicht einfach nur irgendwie irgendeinen Job geben lassen, wie das zum Teil der Fall ist, wenn eben Hunderte von Künstlern in Callcentern sitzen. Das kann ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Und ich glaube, das Grundeinkommen bietet die Chance, dass der Einzelne viel mehr selber die Möglichkeiten ergreift, selber die Freiheiten nutzt, selber sozusagen wie so ein Vorschuss auf spätere Tätigkeiten eigentlich aktiv werden kann.

Scholl: Noch mal ganz deutlich, also Grundeinkommen hieße praktisch, 1500 Euro auf die Hand, jeder, das heißt aber auch keine Transferleistungen mehr, also kein Hartz IV, keine Sozialhilfe, kein Wohngeld, sondern damit ist alles abgefangen. Die entscheidende Frage ist ja, reicht die Einsparung aber für eine wirklich vollständige, flächendeckende Finanzierung?

Schlee: Ja, da gibt es ja eine ganze Menge Experten, die das durchgerechnet haben. Solche Leute wie zum Beispiell Thomas Straubhaar vom Hamburger Wirtschaftsinstitut HWWI oder auch das sicherlich nicht linke, die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, die haben diese Bürgergeldvorschläge, die auf dem Tisch liegen, von beispielsweise Ministerpräsident Althaus mal durchgerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man das machen kann.

Die Höhe allerdings ist umstritten. Ob man wirklich 1500 Euro auf einen Schlag zahlen kann, das halte ich eher für zweifelhaft, da geht es eher um Zahlen von rund 800 Euro. Aber es geht auch gar nicht nur um die Höhe. Natürlich ist es schön, wenn man ein hohes Grundeinkommen bekommen kann, was wirklich existenzsichernd ist, und ein bisschen mehr zahlen kann. Aber entscheidend ist, glaube ich, dass die Menschen eigentlich freigesetzt werden, dass sie die Möglichkeit ergreifen, selber was zu tun. Denn wir glauben, und ich denke, das ist realistisch, dass eben die meisten Menschen nicht einfach vorm Fernseher hocken bleiben wollen, sondern dass eigentlich jeder Mensch was tun will.

Scholl: Da sind wir bei den Konsequenzen. Also was würde das denn für unsere Gesellschaft bedeuten? Sie sagen, es setzt Kreativität frei, andere sagen, Geld fürs Nichtstun, das fördert nur die individuelle Faulheit, keiner strengt sich mehr an, keiner will auch mehr bei der Müllabfuhr arbeiten und so.

Schlee: Das ist ein Argument, was manchmal vorgebracht wird, das stimmt. Aber man muss natürlich sagen, diejenigen Jobs, die eben nicht mehr getan werden wollen mit dem Grundeinkommen, wenn die Leute nun sagen, wir wollen das nicht tun, dann muss man diese Jobs eben entsprechend ausstatten. Das Grundeinkommen führt letztendlich dazu, dass wirklich unangenehme Jobs bei der Müllabfuhr oder vielleicht auch, manch einer mag sagen in der Altenpflege oder in anderen Bereichen, wo ja letztendlich wichtige, aber schwierige Arbeit gefordert ist, da muss man dann eben einfach mehr Geld bezahlen. Und das halte ich für richtig, dass die schwierigen Arbeiten auch entsprechend ausgestattet werden. Das Grundeinkommen würde das beflügeln.

Scholl: Sie sind Freiberufler, Herr Schlee, was würden Sie denn persönlich tun mit einem Grundeinkommen, würde sich Ihr Leben ändern?

Schlee: Also ich persönlich bräuchte nicht mehr so viel Filme zu machen, zu denen ich vielleicht keine Lust habe. Ich könnte mich mehr auf langfristige Projekte verlegen. Ich mache aber sowieso schon sehr viel im Bereich Engagement, setze mich dafür ein, dass die Gesellschaft sich verändert, humaner wird und im Sozialbereich mehr passiert. Das würde ich mehr machen können, da würde ich ein bisschen entspannter rangehen können als jetzt.

Scholl: Jetzt mit dieser Petition und angesichts des großen Interesses, wie schätzen Sie das ein, haben sich die Chancen denn für ein Grundeinkommen verbessert? Wir hatten die Diskussion in den letzten Jahren immer mal wieder, aber wirklich eine richtige Debatte über eine Einführung kam ja eigentlich nicht zustande, wenn man ehrlich ist.

Schlee: Man muss ja der Ehrlichkeit halber mal sagen, dass die Grundeinkommensdiskussion nicht erst mit Susanne Wiest losgegangen ist. Also wir vom "Netzwerk Grundeinkommen" machen das ja seit zwei, drei Jahren, seit 2004 zumindest, dass wir intensiv über das Thema diskutieren. Und es wird auch nicht nur im Internet diskutiert, wie wir in dem Beitrag gehört haben, sondern es gibt sehr viele Initiativen, über 30 in Deutschland, die regional das Grundeinkommen befördern. Insofern glaube ich nicht, dass diese Petition jetzt alles von vornherein ändert. Es gibt einfach einen großen Drive in Richtung Grundeinkommen. Die Petition macht sichtbar, wie viele Menschen in kurzer Zeit da zu mobilisieren sind. Und ich glaube, die Tendenz wird sich auch gerade in so einem politischen Wahljahr wie jetzt absolut fortsetzen.

Scholl: Wie stark sind denn dann wirklich so die Signale aus der Politik, die man so empfängt? Ich meine, Sie hier im "Netzwerk Grundeinkommen", Sie müssten da ja ganz besondere Antennen für haben?

Schlee: Das kann man schon sagen. Also wir haben bei uns ja auch einen ganz reifen Politvertreter in unseren Initiativen regional, aber auch gute Kontakte in Berlin. Und wir wissen, die Grünen haben ja auf dem letzten Parteitag ungefähr zur Hälfte für ein Grundeinkommen votiert, das ist ja schon eine ganz erstaunliche Zahl. In allen Landesverbänden gibt es da sehr große Stimmen.

Je näher man an die Basis kommt, desto mehr Menschen engagieren sich dafür. Bei der Linken sind die Diskussionen auch sehr heftig, da gibt es Katja Kipping, die da sehr viel in der Richtung unternimmt. Sie hat noch keine Mehrheit, aber sie ist dabei, sie zu erstreiten. Und in anderen Parteien, in der CDU, haben wir Herrn Althaus, aber auch andere Kräfte, die sich … Es gibt eine Arbeitsgruppe in der CDU, die Frau Merkel eingesetzt hat, die dieses Thema diskutiert. Also man kann schon sagen, selbst in der SPD gibt es jetzt vereinzelt Stimmen, die SPD tut sich ein bisschen schwer, aber die Diskussion ist in vollem Gange.

Scholl: Ein Grundeinkommen für alle. Eine neue Petition findet großen Zulauf und befeuert eine, ja, schon traditionelle Diskussion fast. Wir bedanken uns bei Christoph Schlee vom "Netzwerk Grundeinkommen". Schönen Dank für das Gespräch, Herr Schlee!

Schlee: Alles klar, tschüss!