"Die Menschen erwarten, dass Politik auch klar Stellung bezieht"

Tanja Gönner im Gespräch mit Ute Welty · 02.09.2010
Baden-Württembergs Umweltministerrin Tanja Gönner begrüßt eine baldige Entscheidung der Bundesregierung in der Energiepolitik - sie rechne mit einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken "in einem Bereich zwischen den zehn und 15 Jahren".
Ute Welty: Von manchen Diskussionen hat man etwas länger, so zum Beispiel auch von der über Brennelementesteuer und AKW-Laufzeiten. In weiser Voraussicht hat die Bundesregierung entschieden, erst mal nichts zu entscheiden, bis Ende des Monats das Energiekonzept in seiner strahlenden Gesamtschönheit beschlossen wird. Das alles schaut sich an aus ein paar Hundert Kilometern Entfernung die baden-württembergische Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Verkehr – guten Morgen, Tanja Gönner!

Tanja Gönner: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: In Berlin wie in Stuttgart regieren schwarz-gelbe Koalitionen, die in Berlin kann sich nicht dazu durchringen, die verlängerten Laufzeiten der AKW klar zu definieren, Sie in Stuttgart beziehen sehr viel deutlicher Position. Wie erklären Sie den Unterschied?

Gönner: Wir haben in Stuttgart eigentlich seit vielen Jahren immer klar Position bezogen - und wir haben damit keine schlechten Erfahrungen gemacht. Klar ist, dass das Thema natürlich emotional sehr stark besetzt ist, dass es auch die Möglichkeit gibt, dagegen Front zu machen. Auf der anderen Seite nehmen wir in Baden-Württemberg wahr, dass die Menschen erwarten, dass Politik auch klar Stellung bezieht und dass wir eben nicht immer zuerst schauen, wie sind Stimmungslagen, sondern die Frage ist, was ist eigentlich notwendig. Und Baden-Württemberg ist das Industrieland Nummer eins in Deutschland, und 50 Prozent unseres Strombedarfs wird im Übrigen über die Kernenergie produziert. Wir sind heute schon eines der Importländer in Deutschland, und deswegen haben wir dort immer klar Position bezogen.

Welty: Aber bundespolitisch wird die Verwirrung doch jeden Tag größer. Mal sind es zehn bis 15 Jahre, dann gilt dieser Zeitkorridor nur unter einem fachlichen Aspekt, was immer das sein mag, dann kommt ein Gutachten – und wenn man die Interpretationen des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesumweltministers verfolgt, dann kann es nicht sein, dass die beiden dasselbe gelesen haben. Ist das wirklich ein guter Weg, den Ihr Ministerpräsident, den Stefan Mappus erkennen will?

Gönner: Ich glaube schon. Wir nähern uns der Entscheidung, und ich will nicht leugnen, dass nachdem wir jetzt fast neun oder zehn Monate darüber diskutiert haben, man sich auch freut, wenn man sich einer Entscheidung nähert. Mein Eindruck ist, dass sagen wir mal, wenn man das Gutachten liest und wenn man versucht, es auch unvoreingenommen zu lesen, dass man merkt, dass es irgendwo in diesem Bereich laufen wird. Ich glaube, dass die Kanzlerin, auch wenn sie darauf hinweist, dass es fachlich begründet zehn bis 15 Jahre ist, irgendwo in einem Bereich zwischen den zehn und 15 Jahren ankommt. Und ich sehe deswegen durchaus auch das, was unser Ministerpräsident Stefan Mappus sagt, nämlich dass man jetzt auf einem guten Weg ist, diese lange Debatte, diese nicht nur erfreuliche Debatte tatsächlich auch einem Ende zuzuführen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen in Deutschland erwarten, dass eine Regierung Entscheidungen fällt.

Welty: Auf der anderen Seite ist die baden-württembergische CDU eine der letzten Vertreterinnen der reinen Lehre im Sinne von pro Laufzeitverlängerung. Die CDU in Niedersachsen hält sich zurück wie auch die CDU in Hamburg, und aus dem Saarland kommt sogar ein klares Nein. Gibt Ihnen das zu denken?

Gönner: Ich habe ja vorher schon dargestellt, Baden-Württemberg hat heute 50 Prozent seines Stromanteils aus der Kernenergie, Baden-Württemberg hat gemeinsam mit Bayern den geringsten CO2-Ausstoß in Deutschland, was das Thema der Produktion von Strom angeht, und insofern glaube ich, aus diesem Punkt heraus kann man nachvollziehen, warum wir diese Position haben. Auf der anderen Seite gilt aber auch, dass aus Baden-Württemberg heraus das Modell Abschöpfung der Gewinne von Laufzeiten entwickelt worden ist, um hier eben voranzukommen bei den Erneuerbaren.

Welty: Es gibt genügend Experten, die sagen, Atomstrom oder Verlängerung der Laufzeiten der AKW behindern den Ausbau regenerativer Energien, weil Atomstrom zum Beispiel eine wesentliche Voraussetzung nicht erfüllt: Atomstrom ist nicht flexibel abrufbar, denn ein AKW kennt im Prinzip nur an oder aus.

Gönner: Ich glaube, es gibt genauso viele Experten, die das Gegenteil beweisen. Wir haben in Baden-Württemberg derzeit ein Kernkraftwerk laufen, das 30 Prozent produziert, das zeigt, dass auch dies möglich ist. Es ist also falsch zu sagen, ein Kernkraftwerk kenne nur voll oder gar nicht. Und darüber hinaus sagen genau dieselben Experten, dass das nur Gaskraftwerke können. Nur wenn Sie in Deutschland schauen, dann ist die Anzahl der Gaskraftwerke, die das kann, bisher sehr, sehr gering. Und ich finde, dass das immer ein Streit ist, der uns nicht weiterhilft, weil zum Schluss ist es so, dass die Industrie den Strom braucht für ihre Produktion, dass aber auch ich als Verbraucher ganz gern, wenn ich den Lichtschalter betätige, Licht hätte und nicht das Problem habe, dass man mir mitteilt, gerade jetzt ist Stromausfall.

Welty: Wenn das alles so unproblematisch ist mit der Atomkraft, warum lassen Sie dann nicht in Baden-Württemberg nach einem Standort für ein Endlager suchen?

Gönner: Auch diese Frage wurde sehr häufig schon gestellt, und es gibt eine Untersuchung des Bundesamtes für Geologie und Rohstoffe. Das Ergebnis lautet, dass am besten geeignet – wenn man überhaupt von am besten geeignet sprechen kann – Salz ist bei Abwägung all der notwendigen Dinge, darüber hinaus auch die Frage der Mächtigkeit von Tongesteinen wichtig ist und auch dort Baden-Württemberg jetzt nicht ganz oben steht. Und deswegen hilft auch an dem Punkt, finde ich, immer eine gewisse Gelassenheit.

Welty: Die jüngste Umfrage des "Stern" sieht Rot-Grün in Baden-Württemberg deutlich vor Schwarz-Gelb. Minimieren Sie Ihre Chancen zusätzlich, Umweltministerin des Landes zu bleiben, wenn Sie sich weiter für Laufzeitverlängerungen einsetzen?

Gönner: Zum einen ist das für uns etwas, diese Umfragen, die wir natürlich auch entsprechend zur Kenntnis nehmen, wir wissen aber auch, dass Umfragen Momentaufnahmen sind. Zum Zweiten geht es uns um die Sache. Wir sind dort immer dafür eingetreten, und ich glaube, Parteien tun auch gut daran, wenn sie nicht nur im Populismus arbeiten, sondern sich gut überlegen, wie ist das eigentlich machbar, Versorgungssicherheit, die Frage der Wirtschaftlichkeit, also kann es sich jeder leisten, kann sich im Übrigen auch der Hartz-IV-Empfänger dauerhaft die Energiepreise leisten und wie sieht die Klimafreundlichkeit aus. Und das ist das, was uns bewegt, und ich habe bisher festgestellt, dass wenn man bereit ist, hinzustehen und zu erklären – und genau das tun wir auch. Wir nehmen sie ernst, aber wir wollen uns auch nicht nervös machen lassen von diesen Umfragen.

Welty: Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner im Deutschlandradio Kultur. Ich danke für's Gespräch!

Gönner: Gern geschehen!
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