Die Magier aus dem Morgenland

Von Gerd Brendel · 27.09.2008
Der Glaube an den einen Gott verbindet die Zaratustra-Anhänger mit Juden, Christen und Muslimen. Und wie die drei Weltreligionen kennen auch die Zarathustrier ein heiliges Buch: Die Avesta, mit den Gebeten und Hymnen Zarathustras. Heute leben die 120.000 Anhänger des Zarathustra oder Zarthosht, wie sie sich nennen, über die ganze Welt verstreut.
Frühlingsanfang in Bombay. In Dadar, dem bürgerlichen Norden der indischen Millionenmetropole feiern die Parsen Newroz. Parsen - so werden die Nachkommen der Anhänger Zarathustras nach ihrem Heimatland Persienin Indien genannt, , und Newroz ist ihr Neujahrsfest. 5000 von ihnen haben sich an diesem Abend auf dem Kricketfeld des Dadar- Parsi- Colony- Sportclubs versammelt. Der Kinderchor auf der Bühne singt ein frommes Lied, in dem es um die drei zentralen Gebote ihrer Religion geht:

"Unsere Religion gründet auf guten Gedanken, guten Worten, guten Taten."

Das dreifache Gebot, gute Gedanken, gute Worten, gute Taten, geht zurück auf das bekannteste Gebet des Religionsgründers , wie es noch heute von seinen frommen Anhängern auf der ganzen Welt fünfmal am Tag gesprochen wird:

"Ich gelobe alles was zu denken ist, gut zu denken, alles,was zu sagen ist, gut zu sagen, alles , was getan werden muss gut zu tun. Ich gelobe, alles, was übel gedacht und übel gesagt und übel getan wird, zu unterlassen."

Über das Leben seines Autors ist so gut wie nichts bekannt: Selbst sein Geburtsdatum ist umstritten: Der Legende nach wurde Zarathustra zwischen 1700 und 1400 vor Christus in der Provinz Chorasan im Norden Irans geboren. Der auf ihn zurückgehende Name für den höchsten Schöpfergott Ahura Mazda findet sich allerdings erst in Inschriften aus der Zeit Darius I. , der um 500 vor Christus das persische Reich regierte. Zarathustras Lehrtexte allerdings haben die Jahrtausende überdauert: An ihre Grundgedanken, dass Gott gütig ist, und wir Menschen als seine Werkzeuge gegen das Böse kämpfen können, erinnern sich seine Anhänger bis heute, wenn sie um "gute Gedanken" bitten.

"Der Prophet Zarathustra war der erste monotheistische Religionsstifter, der erste, der einen eindeutigen ethischen Dualismus von Gut und Böse verkündete,"

erklärt Ramiyar Karanjia, den alle nur liebevoll mit : "Dr Dasturji Sahib", "Unser Herr Doktor Hochwürden" ansprechen.

der Erste, der den Glauben an die Seele verkündete, einen göttlichen Funken in jedem Menschen, und der ein Leben nach dem Tod predigte und ein göttliches Gericht mit Himmel und Hölle.

Dasturji Ramiyar leitet das Priesterseminar der Parsen ein paar Ecken vom Sportclub entfernt.

Am Montag nach der Neujahrsfeier brüten hier die 30 Jungen über den alten Texten. Im Nachbarraum steht "rituelles Feuer anzünden" auf dem Stundenplan.

"Hier sieht es genauso aus, wie in einem Feuertempel, nur dass hier das Feuer nicht brennt. Im Hauptraum hängen die Bild des Propheten und von ein paar Wohltätern der Gemeinde. In einer Ecke ist das Feuer, das fünfmal täglich neu angefacht wird. Der Priester spricht dazu Gebete und läutet eine Glocke."

Die Feuertempel mit ihren Säulen und der Farwar, einer Art Schutzengel-Figur, halb Mensch, halb Vogel über dem Eingang erinnern an das antike Persepolis. Sie gehören zum Stadtbild Bombays wie die Art Deco Häuser an der Strandpromenade oder der neogotische Hauptbahnhof "Victoria Terminal" . Der Zutritt ist nur Parsen gestattet, aber hier am Modell im Priester-Internat zeigt Dasturji Karanjia auch Nicht-Parsen, wie das Feuer rund um die Uhr unterhalten wird und räumt mit alten Vorurteilen auf: Die Zarathustrier verehren das Feuer, aber sie beten es nicht an:

"Das Feuer ist lebendig und steht symbolisch für Gottes Eigenschaften: Wie Ahura Mazda spendet es Licht, gibt Leben, schenkt Energie und Wärme. Das Feuer ist so allgegenwärtig wie Gott. Deswegen darf das Feuer im Tempel nie erlöschen und deswegen verehren wir es als Gottes Bild und als Gottes Sohn."
Priester darf nur werden, wer aus einer von 80 Priesterfamilien stammt und männlich ist. Ihre Stammbäume führen die Priesterfamilien auf die ersten Religionsflüchtlinge zurück, die um 600 nach Christus vor den islamischen Invasoren aus dem Iran an die indische Küste flohen. Der Subkontinent blieb bis ins 20. Jahrhundert für viele iranische Zarathustrier das wichtigste Asylland.

Ortswechsel: 2000 Kilometer weiter westlich im südiranischen Kerman liegt das Gemeindezentrum der "Zartoshti" wie die Anhänger Zarathustras hier genannt werden , versteckt hinter einer großen Mauer: In der Gegend von Kerman leben die meisten der circa 33.000 iranischen Zarthoshti. Einer von ihnen ist der Mobed, oder Priester Mehran Rebi. Stolz führt er die Besucher über das Gelände mit Feuertempel, Versammlungsräumen und dem einzigen Zarathustra-Museum des Landes. Von den Wänden schauen ernste Männer und Frauen auf die Besucher herab.

"Auf den Bildern sieht man den Abgeordneten Dr. Kerustru im ersten iranischen Parlament. Das hier ist Dr. Farhang, der erste Apotheker der Stadt und das sind die Klassenbilder der ersten Mädchenschule von Kerman."

Erinnerungen an eine Vergangenheit, von der nicht mehr viel übrig ist. Besonders die Mädchen-Schulen der Zartoshti waren vorbildlich, bis zur iranischen Revolution. Immerhin, wie den armenischen Christen und den Juden steht auch den Zartoschti als anerkannter religiöser Minderheit ein Parlamentssitz zu. An der alltäglichen Diskriminierung ändert das allerdings wenig. Schon unter dem Schah wurde den Zartoshti verboten, ihre Toten traditionell unter freiem Himmel auf den sogenannten "Türmen des Schweigens” zu bestatten. Jetzt bestimmen die Mullahs auch über das Leben der Nicht-Muslime im Iran.

"Jede Minderheit hat ihre Probleme. Auf dem Arbeitsmarkt werden zum Beispiel immer Muslime bevorzugt. Der höhere Staatsdienst ist für uns verboten. Wir dürfen Wein trinken, aber wenn wir einem Moslem Alkohol anbieten, werden wir eingesperrt."

Mobed Mehran Rebi spricht nur ungern über die politische Situation seiner Glaubensgeschwister. Zuviel Kritik am System der islamischen Republik könnte ihn leicht seinen Posten als Agraringenieur an einem staatlichen Institut kosten. Viel lieber erklärt er die weiße Kleidung der beiden Schaufensterpuppen im Museum:
"Das Mädchen hebt die Arme zum Gebet. In ihren Händen hält sie einen weißen Stoffgürtel, den Kushti, den ihr der Priester zum ersten Mal zu ihrer Naujoht – ihrer Initiation umgelegt hat."

Der Kushti gehört zur "Grundausstattung" jedes Parsen, wie die Gebetsriemen für fromme Juden. Fast genauso wichtig wie der "Kushti" sind die zwei kleinen Taschen auf den weißen Hemden der Schaufensterpuppen.

"Eine auf dem Rücken und eine über der Brust: In der hinteren Tasche tragen wir symbolisch unsere religiösen Pflichten."

Die religiöse Pflicht zum Gebet, fünfmal am Tag, das dreifache Gebot Zarathustras zum guten Denken, Reden und Handeln.

"Aber in der auf der Vorderseite stecken unsere guten Taten:"

Die guten Taten, die allein am Ende darüber entscheiden werden, ob die Seele in das Haus Gottes einkehrt oder in die Hölle hinabsteigt.

Egal, ob in der iranischen Provinzstadt Kerman oder in der indischen Millionenmetropole: Die Verpflichtung zu guten Gedanken, Worten und Taten verbindet die Anhänger Zarathustras bis heute. Sie bewahrten ihre Traditionen auch in ihrer neuen Heimat Indien und als die Parsen im 19. Jahrhundert zur wirtschaftlichen Elite aufstiegen vergaßen sie ihre ethische Verpflichtung nicht: Auf jedem zweiten Denkmalsockel in Bombay steht ein würdiger Herr mit dem typischen Parsen-Turban: Der steinerne Dank der Stadt an ihre großzügigen Mäzene. Reich geworden durch Baumwoll -oder Opiumhandel stifteten wohlhabende Parsen Straßen, Schulen, Wohnsiedlungen wie die "Dadar Parsi Colony", Krankenhäuser und Sanatorien. Eines davon ist das "Pandi -Sanatorium" an der Südspitze Bombays in Colabar.

Vor der Büste des Stifters erzählt der Urgroßenkel die Geschichte:

"Mein Urgroßvater Merwantji Pandi , war ein kleiner Baumwoll-Händler. Jeden morgen kam er hierher an den Strand um zu beten. Eines Tages weissagte ihm ein Bettler, dass er einmal Millionär werden würde. Und Pandi versprach ein Sanatorium für bedürftige Parsen zu spenden, sollte sich die Prophezeiung erfüllen."

Die Prophezeiung erfüllte sich, und Pandi hielt sein Versprechen. 1863 wurde das Sanatorium eingeweiht:

Von einem englischen Architekten geplant, mit gusseisernen Säulen aus Frankreich. Heute ist der Strand hinter Hochhäusern verschwunden. Die eingeschossige Anlage ist heruntergekommen und auf dem Hof wächst Unkraut. Aus den Kurgästen sind längst Dauermieter geworden – dank mieterfreundlicher Lokalgesetze und sehr zum Leidwesen von Stifterurenkel und Stiftungspräsident Bajur Lassem Joshi.

"Unglücklicherweise sind die Gäste irgendwann einfach nicht mehr ausgezogen, sondern geblieben: statt vier Monate , 40 Jahre oder mehr."

So wie Familie Irani: Zwei Erwachsene, zwei Töchter und ein Hund, die sich ein Zimmer mit Küche teilen.

Alleine zu wohnen, kann sich die 17-jährige College-Studentin Munaz Irani trotz der Enge nicht vorstellen.

"Alleine wohnen? Niemals! Wir sind Inder und leben mit unseren Familien, weil sie uns unterstützen wenn wir Probleme haben."

Auch wenn das nicht immer einfach ist, für Kinder wie Eltern.

"Dass meine Töchter einen Zarathustrier heiraten, jemanden aus unserer Religions-Kaste, nicht von außerhalb,"

antwortet Mutter Irani auf die Frage, was ihr am meisten Sorge bereitet. Tanaz, Munaz ältere Schwester schaut auf den Boden. Der Grund ist ihr Freund - ein Hindu aus Gujarat.

"Ich will mit ihm zusammenleben, aber es gibt so viele Einschränkungen, vor allem das Kastenproblem."

Die Liebe über Religions-Kastengrenzen hinweg hat ihren Preis:

"Für ein Leben mit ihm müsste ich meine Eltern und meine Religion aufgeben."

Denn spätestens für ihre Kinder wird es keinen Platz mehr in der Parsi-Gemeinde geben.

"Unsere Religion schreibt vor, dass man nur als Parse gilt, wenn beide Elternteile Parsen sind."

Der Priester-Ausbilder Dasturji Karanjia steht hinter dem jahrhundertealtem Verbot. Fragt sich nur, ob es der immer kleiner werdenden Parsi-Gemeinde, hilft, wenn sie sich weiter verschließt. Seit Zarathustra seine Lehren vor 3000 Jahren verkündete, haben die Zartoshti im Iran und später die Parsen in Indien seinen Glauben gelebt. Aber mit einem Mal scheint ihre Kultur vom Aussterben bedroht.

Eine letzte Station auf der Reise von Indien nach Iran und wieder zurück durch 3000 Jahre Geschichte: Die neogotische Anlange des Parsi-Lying In Hospice, des ersten Krankenhauses für werdende Mütter im alten Geschäftszentrum von Bombay. Das letzte Baby wurde hier vor fünf Jahren geboren - für den neuen Mieter Jehangir Patel ein Zeichen. Im ehemaligen Kreißsaal sitzt der Verleger hinter seinem Schreibtisch und blickt in eine düstere Zukunft:

"Wir sind eine alternde Gemeinschaft. Ein Drittel heiratet überhaupt nicht, ein Dritter außerhalb, und nur ein Dritter innerhalb der Gemeinde."

Darum plädiert Patelt dafür, auch Kinder zur Naujoht - der feierlichen Initiation im Tempel - zuzulassen wenn nur ein Elternteil Parse ist. Alles andere sei heutzutage schlicht rassistisch:

"Wir sollten uns von anderen nicht durch irgendeinen genetischen Code unterscheiden, sondern durch unsere Werte und weil man in der Regel nur jemanden heiratet , der die eigenen Vorstellungen teilt, hätten wir nichts zu verlieren, wenn wir gemischte Heiraten zuließen."

Auf dem Kricketfeld in Dardar- Bombay geht die Neuwroz–Feier zu Ende. Nach der letzten Rede erheben sich alle zur Parsi-Hymne: "Chaiye humay zartosti." Wir sind alle Zarthosti, die ganze Welt ist unser Freund. Den Schlußvers lässt die Moderatorin zwei- drei viermal wiederholen, bis er wie eine Beschwörung klingt : "Möget es Euch bis ans Ende der Zeit geben, ihr wahrhaftig tugendhaften Zarthosti."