Die Mär von Europas Vormachtstellung

Von Dominic Johnson, taz · 19.01.2013
Der Krieg in Mali ist eine willkommene Ablenkung vom Scheitern des Westens bei der Bekämpfung der Taliban in Afghanistan und vom kläglichen Versagen der Welt in Syrien. Er spiegelt eine Stärke Europas vor, die ansonsten nicht mehr existiert, meint Dominic Johnson.
Urplötzlich ist Mali zum Brennpunkt der Welt geworden. Seit gut einer Woche kämpfen in dem riesigen, wunderschönen afrikanischen Sahel-Staat französische Truppen gegen islamistische Rebellen, und die internationale Öffentlichkeit klatscht Beifall. Für Frankreichs sozialistischen Präsidenten François Hollande scheint der Mali-Einsatz wie ein Befreiungsschlag, ein Beweis seiner Tatkraft und Entschlossenheit. Endlich kann Frankreich sich wieder einmal als Vorkämpfer der universellen Menschenrechte aufspielen. Mali ist die neue Front im Krieg der westlichen Welt gegen den Terror. Es klingt zynisch, aber es steckt ein Körnchen Wahrheit in folgender Feststellung: Der Krieg in Mali ist eine willkommene Ablenkung vom Scheitern des Westens bei der Bekämpfung der Taliban in Afghanistan und vom kläglichen Versagen der Welt beim andauernden Abschlachten in Syrien. Er spiegelt eine absolute Vormachtstellung Europas vor, die ansonsten nicht mehr existiert.

Zugleich erweckt der Krieg in Mali den Eindruck, hier wachse der neueste Kopf der mächtigen terroristischen Hydra heran, die seit den Anschlägen des 11. September die westliche Zivilisation bedroht. Wären die Islamisten in Mali wirklich eine so große Bedrohung für Europa, wie es Frankreich, aber auch die Bundesregierung darstellen – dann würden ein paar hundert Kampftruppen wohl kaum ausreichen, um sie in die Knie zu zwingen. Der Krieg in Mali hat mehr mit französischer Selbstbestätigung zu tun als mit Mali selbst. Wobei noch gar nicht ausgemacht ist, dass die französischen Truppen wirklich die Oberhand errungen haben.

Ein frühes Eingreifen hätte viel Leid verhindert
Dennoch ist nicht zu vergessen, dass große Teile der Bevölkerung in Mali die Intervention des Westens begrüßen. Eigentlich war sie schon längst fällig, spätestens seit März vergangenen Jahres, als die islamistischen Kämpfer sich zuerst als militärische Macht in Mali bemerkbar machten. Schon seit Jahren stößt es auf breiten Unmut in Mali, dass ausländische Dschihadisten sich in den Wüstengebirgen an Malis Grenze zu Algerien festsetzen und lokale Unsicherheit verbreiten konnten. Viele dieser Dschihadisten waren algerische Untergrundkämpfer auf der Flucht.

Als 2011 der Krieg in Libyen tobte und das Gaddafi-Regime stürzte, konnten sich die Dschihadisten flächendeckend mit modernstem Militärgerät aus den ungesicherten libyschen Waffenarsenalen eindecken. 2012 schließlich griffen aufständische Tuareg genau in jenem Teil Malis, wo die Islamisten saßen, zu den Waffen, um ihren alten Traum von Autonomie oder gar Unabhängigkeit durchzusetzen. Malis Staat wich ungeordnet vor den Aufständischen zurück, und die Islamisten stießen in das Machtvakuum. Sie verdrängten ihrerseits die Tuareg-Rebellen und übernahmen in den Städten Nordmalis die Kontrolle.

Das war im März 2012. Niemand griff dagegen ein – auch nicht, als die radikalen islamischen Milizen einige Monate später begannen, in der legendären Wüstenstadt Timbuktu jahrhundertealte Kulturgüter zu zerstören, die zum Weltkulturerbe gehören. Wäre Frankreich gleich im März 2012 mit Luftschlägen gegen die Islamisten in ihren festen Basen vorgegangen, dann hätten diese sich nicht in den Städten festgesetzt, sondern wären in der Wüste mobil geblieben. Und Mali wäre eine seit fast einem Jahr währende Teilung, eine endlose politische Krise und hunderttausendfaches humanitäres Elend vielleicht erspart geblieben.

Krieg der Zivilisationen auf dem Rücken Malis
Nun, besser spät als nie, sagen sich viele Malier jetzt. Aber gleichzeitig erkennen sie, dass das malische Volk und die malische Regierung jetzt ohnmächtige Zuschauer in einem Kampf zweier übermächtiger auswärtiger Akteure sind. Frankreichs Militär gegen nordafrikanische Dschihadisten – dieser Krieg der Zivilisationen, als den ihn beide Kriegsparteien sehen, wird jetzt auf dem Rücken Malis ausgetragen, dessen Selbstbild so gar nichts mit einem Kampf der Kulturen zu tun hat. Beide, Dschihadisten und Franzosen, treten an die Stelle des malischen Staates, jeder nach seiner Façon.

Natürlich hoffen alle, dass die Islamisten diesen Krieg verlieren, und zwar schnell. Aber dann steht das stolze Mali im Schatten seiner ehemaligen Kolonialmacht, und die Malier stehen vor den Scherben ihres zertrümmerten Landes. Wiederaufbauen, sich neu aufrichten und sich versöhnen müssen sie dann schon selbst. Der Neuaufbau Malis darf nicht auch noch der ehemaligen Kolonialmacht überlassen bleiben.

Dominic Johnson ist Leiter des Auslandsressorts und Afrikaredakteur der taz

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