Die Macht des Wortes

Von Blanka Weber · 27.08.2012
"Was kann das Wort?" lautete das Motto einer Diskussion in Weimar. Dabei sprachen ein kasachischer Regisseur, ein bosnischer Schriftsteller und eine jüdisch-litauische Literatur- und Theaterwissenschaftlerin miteinander. Alle drei sind Träger der Goethe-Medaille. Und sie plädieren vor allem für eines: die Kraft der Sprache.
"Es ist ein leichtes, in der Welt der Arithmetik Eindeutigkeit zu erzeugen. In dieser Welt gibt es weder Körper noch leben, weder Erinnerung, noch Tod, noch etwas anderes. Die Sprache existiert aber hier."

Dzevad Karahasan zeigt mit der Hand zum Herzen. Der große agile Mann im leuchtblauen T-Shirt und hellgrauen Anzug unterstreicht jeden seiner Sätze mit Gestik und Mimik. Er ist der bedeutendste bosnische Schriftsteller der Gegenwart:

"Es ist kein Zufall dass jede Machtergreifung damit beginnt, Kontrolle über die Sprache zu bekommen."

Karahasan lebt heute im österreichischen Graz und wieder in Sarajevo. Von dort flüchtete er 1993 aus der umkämpften Stadt. Sein Weg führte ihn nach Salzburg an die Universität, später als Lektor nach Göttingen und nach Berlin. Er schreibt auf Deutsch, Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. Wörter, sagt der Schriftsteller, sind für ihn wie Körper. Und noch etwas sei ihm wichtig, wenn es um Macht der Wort und Sprache geht:

"Sprache ohne Schweigen wäre undenkbar. So wie Stille ein Teil der Musik ist. Am meisten vorkommendes Wort in Tschechows Stücken ist das Wort: Pause. 'Er schweigt'. 'Das kurze Schweigen.'"

Irena Veisaitè: "Im letzten Gedicht von Heine sagt er: Das ausgesprochene Wort ist ohne Scham. Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte."

Dzevad Karahasan: "Dem will ich nichts hinzufügen!"
Irena Veisaitè: "Ich hab' mich an die Anekdote erinnert. Ich bin sehr aufgeregt."

Die kleine zierliche Dame Irena Veisaitè ist 84 Jahre alt und lebt wieder in Litauen. Die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin erzählt eine Anekdote aus Odessa. Sie spricht acht Sprachen, darunter Jiddisch, Estnisch, Russisch, Französisch und Englisch. Mit wachen Augen parliert sie mit wachen Augen auf Deutsch:

"Ich habe das Glück gehabt, wirklich wunderbare Literatur zu unterrichten, die westeuropäische Literatur, auch die deutsche, und ich habe es wirklich benutzt - und doch das Wort eben, nicht Stereotypen benutzen, nicht die kommunistische Sprache zu sprechen."

Irena Veisaité gehört zu den wenigen Überlebenden des Holocaust und ist heute eine gefragte Intellektuelle Litauens, sie ist Germanistin, Autorin, Wissenschaftlerin. Das Wort ist ihr wichtig, die Energie eines Wortes - sofern es gute Energie ist, etwas Positives. Und dennoch - wie leicht werden heute Worte verwendet, wie leichtsinnig und leichtfertig:

"Leider hat sich die Rolle des Wortes heute sehr geändert. Man glaubt heute nicht mehr an Worte. Aber das ist eine andere Frage. Auch das Wort im Internet ist ganz `was anderes."

Die große alte Dame des Wortes plädiert für Sprachgefühl und vor allem für Mehrsprachigkeit. Ihr habe das damals geholfen, Bücher lesen zu können, die ihr sonst verborgen geblieben wären:

"Ich habe in einer kommunistischen Welt gelebt. Ich habe unterrichtet in einer sowjetischen Universität und ich wollte sehr, dass meine Studenten verstehen, das es nicht nur eine Wahrheit gibt, dass das Leben kompliziert ist, dass es nicht nur schwarz und weiß ist."

Bolat Atabajew - Regisseur und künstlerischer Leiter eines Theaters in Kasachstan erzählt von seiner Erfahrung mit dem offenen Wort, der Wahrheit - wie er es nennt - denn er wurde dafür im Mai verhaftet:

"Ich bin gekommen aus dem Gefängnis. Und mein Enkel, siebenjährig, fragte: 'Opa, wo warst du?' - Ich wollte sagen: 'Urlaub!' oder so. Aber wozu? Also ich hab' gesagt: 'Gefängnis.' Und der zweite Enkelsohn - fünfjährig fragt: 'Was ist denn das?' - Ich hab gesagt: 'Das ist ein Raum, du bist von außen verriegelt und du musst Tag und Nacht da sitzen.' Und der älteste sagt: 'Wofür?' Und mein Sohn hat geantwortet: 'Ja, weil er die Wahrheit gesagt hat.'"

Bolat Atabajew will auch weiterhin die Wahrheit sagen. Es könne gut sein, erzählt er, dass er bei seiner Rückkehr nach Kasachstan erneut verhaftet werden würde.
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