Die Lüge von der objektiven Wissenschaft

07.02.2010
Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen nur auf Glauben. Das ist die Kernthese von Hans-Dieter Radecke und Lorenz Teufel in "Was zu bezweifeln war". Sie kommen zu dem Schluss, dass sich neue Theorien niemals allein aufgrund rationaler Argumente durchgesetzt haben. Schlimmer noch: objektive Wahrheiten existieren überhaupt nicht.
Wissenschaftler glauben an viele Dinge, zum Beispiel daran, dass sich über die Außenwelt in objektiven Begriffen etwas sagen ließe, an die Berechenbarkeit der Natur, an die Realität von Naturgesetzen oder die Kraft der Beweise. Aber nichts davon lässt sich bei näherem Hinsehen unumstößlich belegen. Selbst ein Beweis beruht letztendlich auf Voraussetzungen, die ihrerseits geglaubt werden müssen.

Das ist ein ganz schönes Fass, was die Autoren – beide gestandene Physiker – da aufmachen, und eine Zumutung obendrein. Dabei befolgen Hans-Dieter Radecke und Lorenz Teufel nur den Grundsatz wissenschaftlichen Denkens, jede vermeintliche Erkenntnis kritisch zu hinterfragen.

Schaut man sich die Geschichte der Wissenschaften an, sind neue Theorien und der Untergang alter Überzeugungen an der Tagesordnung. "Paradigmenwechsel" hat der amerikanische Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn solche Umwälzungen genannt, die durchaus revolutionären Charakter haben können. Dabei dachte man zu jeder Zeit, die endgültige Lösung eines Problems gefunden zu haben. Aber bis jetzt hat sich noch jede Theorie der Wissenschaft zuverlässig immer als die vorletzte erwiesen.

Augenfällig wird diese Selbstüberschätzung im Fachgebiet der Autoren, der Physik. Vor 1900 rieten einige Gelehrte ernsthaft davon ab, Physik zu studieren, weil es dort ihrer Ansicht nach nichts Entscheidendes mehr zu entdecken gebe. Bis Albert Einstein und Max Planck innerhalb weniger Jahre mit der Relativitäts- und Quantentheorie alle Vorstellungen über den Aufbau der Welt grundlegend über den Haufen warfen. Auch heute wirft manche etablierte Theorie derart viele Fragen auf und schafft zusätzliche Probleme, dass man um ihr Überleben bangen darf. Die Urknalltheorie oder auch die Theorie der Dunklen Materie könnten solche Kandidaten sein, geben Hans-Dieter Radecke und Lorenz Teufel zu bedenken.

"Was zu bezweifeln war" ist ein Buch über Erkenntnistheorie und die Grenzen unseres Denkens. Erfrischend ist, dass es sich zum Philosophieren – Platon lässt grüßen – mitunter der Dialogform bedient. Die Autoren, die als Redner eines Vortrags auftreten, werden immer wieder von einem hartnäckigen Hörer unterbrochen, der mit ständigen Zwischenfragen die möglichen Einwände des Lesers vertritt. "Das ist alles ziemlich starker Tobak", beschwert er sich zwischendurch. Da hat er Recht. Aber es ist eben auch sehr spannend.

Wer immer schon mal wissen wollte, warum Wissenschaftler glauben, was sie glauben, und warum sie zwar auch etwas anderes, aber doch nicht etwas völlig Beliebiges glauben könnten, für den ist "Was zu bezweiflen war" ein leichtgängiger, mitunter sogar ein witziger intellektueller Leckerbissen.

Hans-Dieter Radecke (*1954)
studierte Physik und Astronomie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Promotion in Theoretischer Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mehrjährige Tätigkeit an der Münchner Universität und beim Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik und Astrophysik in Garching bei München, lebt als freier Journalist in der Nähe von Landshut.

Lorenz Teufel (*1962)
studierte Elektrotechnik an der TU München. Anschließendes Studium der Physik an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Diplom in Festkörperphysik. Daneben philosophische Studien. Lorenz Teufel lebt als freier Journalist in der Nähe von Nürnberg.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Hans-Dieter Radecke, Lorenz Teufel: Was zu bezweifeln war. Die Lüge von der objektiven Wissenschaft
Droemer Verlag, München 2010
378 Seiten, 19,95 Euro