Die Lüge lebt im Internet

Von Michael Engel · 21.04.2008
Sogenannte Hoaxes waren einst in britischen Adelshäusern sehr beliebt. Zum Zeitvertreib erzählte man sich die kunstvoll gesponnenen Lügenmärchen. Hoaxes leben nun im Internet weiter. Hier aber sorgen sie nicht nur für Unterhaltung, sondern richten mitunter erheblichen Schaden an.
"Hi Leute, ich wende mich an Euch, weil ich ziemlich verzweifelt bin. Ich hoffe, Ihr könnt mir und meiner Freundin helfen und lest diesen Brief! Das Problem ist, dass meine Freundin an Leukämie erkrankt ist. Es hat sich herausgestellt, dass Sie nur noch wenige Wochen zu leben hat."

Eine Lügengeschichte, die Mitleid erregen soll. Zu erkennen ist der Hoax an der Aufforderung, die E-Mail unbedingt an Freunde weiterzuleiten. Gesucht wird nach einem Knochenmarkspender mit einem sehr seltenen Rhesusfaktor. Reingefallen ist Annette Biedermann, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, weil sie sich immer noch schämt.

"Ich hab’ diese E-Mail weitergeleitet, weil wenn man so etwas Tragisches liest, das berührt einen schon total. Und man möchte natürlich helfen. Und dann habe ich gedacht, Rhesus negativ, usw. usf., ich hab’ gar nicht darüber nachgedacht, dass das vielleicht falsch sein könnte, sondern es hörte sich alles sehr einleuchtend an. Der Absender war ein Klinikum. Und das fand ich schon seriös. Ich wollte einfach helfen."

Helfen konnte die junge Mutter natürlich nicht. Denn die an Leukämie erkrankte Patientin gab es nie. Dafür um so mehr E-Mails, die den Text millionenfach verbreiteten. Frank Ziemann – Hoax-Experte aus Berlin – verfolgt diese Lügengeschichte von Anfang an.

"Das ist passiert vor sieben Jahren. Also da ist die E-Mail zum ersten Mal aufgetaucht. Und im Nachgang sind dann solche automatisch eingefügte Signaturen mit kompletter Adresse von mehreren Betroffenen – dann danach Betroffenen – eingefügt worden. Zum Beispiel auch das Uniklinikum im Regensburg war dann betroffen. Ein oder zwei Mitarbeiter hat es dort – in Anführungszeichen – erwischt. Die dann nicht nur Tage, sondern Wochen und Monate um nicht zu sagen jahrelang mit Telefonanrufen belästigt wurden. Und diese E-Mails kursieren jetzt nach sieben Jahren immer noch."

Anders als Computerviren richten Hoaxes keinen Schaden im Rechner an: Sie löschen weder Daten noch spionieren sie Passwörter aus. Es sind sogenannte "soziale Viren", weil sie das menschliche Verhalten beeinflussen. Besonders fatal sind falsche Geldversprechungen. Dieses Märchen brachte Microsoft in arge Bedrängnis:

"Liebe Freunde, haltet dies bitte nicht für einen dummen Scherz. Bill Gates verteilt gerade sein Vermögen. Wenn ihr darauf nicht reagiert, könnte es Euch später leid tun. Wenn ihr diese Mail an Freunde versendet, kann und wird Microsoft zwei Wochen lang euren Spuren folgen. Für jede Person, die diese Nachricht versendet, zahlt Microsoft 245 Euro. Nach zwei Wochen wird sich Microsoft mit der Bitte um Bestätigung der Postanschrift an Euch wenden und euch einen Scheck schicken."
Wer sich solchen Schabernack ausdenkt? Darüber gibt es nur Vermutungen: Scherzkekse, Witzbolde, vielleicht Programmierer, die es nicht geschafft haben, einen gefährlichen Computervirus zu schreiben. Niemand weiß es genau. Was die Schreiberlinge aber in jedem Fall schaffen: Sie treffen den Nerv vieler Menschen, meint Holger Bleich von der Computerzeitschrift c’t.

"Ja, das große Stichwort ist Social Engineering. Also diese E-Mails sind ja auch sehr clever aufgebaut. Es wird ja meistens an das gute Gewissen appelliert oder natürlich an die pure Gewinnsucht. Also entweder es wird Geld versprochen oder eben die Rettung von einer Person. Es gab ja auch schon Hoaxes zum Beispiel mit 'wenn Sie mir nicht in zwei Stunden antworten, dann begehe ich Selbstmord'. Solche Dinge gibt es auch. Und es gibt natürlich Menschen, die sich von so was unter Druck gesetzt fühlen. Das sind vor allem Menschen, die es noch nicht so gewohnt sind, mit dem Medium E-Mail umzugehen, um zu sehen, dass es da eben auch sehr viel Müll gibt, auf den man besser nie antwortet."

Leider gibt es keine Programme, die den elektronischen Müll automatisch erkennen und ähnlich einem Virenscanner aus dem Posteingang löschen. Auch Spamfilter schlagen bei Hoaxes nicht an, weil einschlägige Stichwörter wie zum Beispiel "Viagra" oder "Porno" im Text nicht vorkommen. Wichtig, so Hoax-Experte Frank Ziemann, ist die Wachsamkeit: Immer schön skeptisch bleiben.

"Sobald es heißt: Bitte weiterleiten an alle, die Du kennst oder an Freunde, Bekannte, Verwandte, müsste eigentlich die erste Alarmglocke schrillen."
Wer es genauer wissen möchte, kann unter "Hoax Info" googlen und gelangt dann auf eine Informationsseite der TU Berlin, die Frank Ziemann ständig aktualisiert. Hier sind die Meldungen nahezu aller Hoaxes der letzten Jahre zusammengestellt – mit geradezu unglaublichen Geschichten.

- Aktien kostenlos!
- Blutkrebs durch Deo!
- Champagner zu verschenken!
- Vorsicht vor Rattenurin auf Getränkedosen
- Petition gegen Friedensnobelpreis für Bush!
Eine andere Kettenbrief-Petition ruft zum Protest gegen eine Website auf, die vorgeblich auf tierquälerische Weise in Flaschen gezüchtete Katzen anbietet. Die Website ist reine Satire, nicht jedoch die Proteste der Tierschützer. Selbst das FBI hat auf Grund von Hinweisen gegen den Betreiber ermittelt, konnte jedoch nichts feststellen.
Wenn man davon ausgeht, dass im Internet ja immer auch ein gewisser Prozentsatz an Neulingen dazu kommt jedes Jahr, die so etwas noch nie gesehen und gehört haben, dann muss man wohl zumindest für einige Jahre noch davon ausgehen, dass das weiter zunimmt. Totzukriegen ist das nicht.