Die Linke fordert Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung

Katja Kipping im Gespräch mit Hanns Ostermann · 20.08.2010
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, spricht sich für eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung aus. Um Altersarmut zu verhindern, müssten unter anderem Mindestlöhne eingeführt werden.
Hanns Ostermann: Haben Sie eigentlich für Ihr Alter vorgesorgt? Sind Sie sicher, dass Sie mit Ihrer Rente auskommen? Vielleicht reicht Sie ja bei dem einen oder anderen – bei vielen aber nicht, und künftige Generationen könnten noch viel stärker betroffen sein. Die Zeitbombe tickt unüberhörbar: Gemeint ist die immer schneller wachsende Altersarmut. Wie ihr begegnet werden kann, darüber möchte ich mit Katja Kipping sprechen. Sie ist stellvertretende Parteivorsitzende der Linken. Guten Morgen, Frau Kipping!

Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!

Ostermann: Aus Niedriglöhnen werden Niedrigrenten, argumentiert Ihre Partei, aber auch ein Mindestlohn würde doch die Lage nicht grundsätzlich ändern, oder doch?

Kipping: Also wenn man in Zukunft flächenmäßige Altersarmut verhindern will, muss man an verschiedenen Stellen ansetzen, und ein Bereich ist tatsächlich, die Arbeitswelt, die Erwerbsarbeitswelt eben deutlich zu verbessern. Ein Mindestlohn ist da eine Maßnahme davon, aber auch generell sich mal ... die Reduzierung von prekärer Beschäftigung ist ein Punkt. Ich glaube, dass man darüber hinaus auch die gesetzliche Rentenversicherung wieder stärken muss. Was heißt das? Es hat ja in den letzten Jahren, auch noch unter Rot-Grün, verschiedene Angriffe auf die gesetzliche Rentenversicherung gegeben. Und wenn all diese Kürzungen, die damals eingeführt worden sind – mit Riester-Faktor, Dämpfungsfaktoren und so weiter – sofort auf einmal greifen würden, dann würde das wie folgt aussehen: dass eine Rente, die ursprünglich 1000 Euro wert gewesen wäre, jetzt nur noch 750 Euro beträgt. Also wir meinen halt, man muss all diese Kürzungen zurücknehmen. Und ich glaube, als einen weiteren Punkt ist es notwendig, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung eine Art letztes Sicherheitsnetz einzuziehen, unter das keiner runterfällt, also zum Beispiel zu sagen, kein Rentner soll unter 800 Euro fallen.

Ostermann: Also eine Garantierente, die auch die Grünen fordern. Ich möchte noch mal zum Mindestlohn kommen, Sie haben gesagt, es sind verschiedene Stellschrauben. Wie wichtig ist hier der Mindestlohn?

Kipping: Ja, der Mindestlohn hat schon einen zentralen Wert, weil ... und zwar sowohl für die zukünftigen Rentner, als aber auch für diejenigen, die schon in Rente sind, weil wir haben heutzutage viele Menschen, die deutlich unter Mindestlohn verdienen, und wir wissen ja, dass ... einmal im Jahr wird ja über die Erhöhung der Rente entschieden, und da ist ja die Entwicklung der Löhne entscheidend, und wenn gesamtgesellschaftlich die Löhne sinken, gibt es auch keine Rentenerhöhung. Also insofern ist ein Mindestlohn nicht nur für die Zukunft wichtig, denn wenn man unterhalb, sage ich mal, verdient, kriegt man ja noch niedrigere Entgeltpunkte. Oder, viel vereinfachter ausgedrückt: Minijobs zu Minilöhnen produzieren am Ende Minirenten, weil die gesetzliche Rentenversicherung immer in Abhängigkeit davon ist, wie hoch das Einkommen als Erwerbstätiger ist.

Ostermann: Mir ist trotzdem immer noch schleierhaft, wie jemand, der – ich sage jetzt mal, Ihre Forderung läuft ja auf zehn Euro Mindestlohn hinaus –, wie jemand von zehn Euro etwas auf die hohe Kante legen kann, denn auch zehn Euro reichen doch vorne und hinten nicht.

Kipping: Ja, es geht ja erst mal jetzt weniger um die private Vorsorge bei den zehn Euro, sondern es geht ja um die Rentenpunkte, die man in der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt, also aber wie gesagt, der Mindestlohn alleine wird das Problem nicht lösen. Mindestlohn ist auch wichtig sozusagen, damit man nicht trotz Arbeit in Armut lebt. Ich will noch mal eine Zahl nennen, um die Brisanz zu verdeutlichen: Im Jahr 2030, also jemand, der im Jahr 2030 in die Rente eintritt, der müsste rund 35 Jahre lang auf durchschnittlichem Verdienstniveau Vollzeit sozialversicherungspflichtig eingezahlt haben, und jetzt kann sich jeder mal in seinem eigenen Bekanntenfeld umschauen, wie viele Menschen man kennt, die noch das Glück haben, 35 Jahre lang wirklich Vollzeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein. Und diese Rentenhöhe ist notwendig, damit man mindestens auf Sozialhilfeniveau kommt.

Ostermann: Dieses Problem hat ja auch insbesondere Ihre Generation, also junge Leute, die einen oder mehrere Jobs haben, um finanziell über die Runden zu kommen. Was raten Sie denen eigentlich?

Kipping: Hm, also ich meine, ich selber bin ja ganz bewusst nicht in die Versicherungsbranche gegangen, um da nicht private Versicherungen verkaufen zu müssen, die ja immer auch ein enormes Risiko haben. Das hat ja jetzt mal die Finanzkrise angedeutet. Worin ich meine Aufgabe sehe, ist, dafür zu kämpfen, dass die gesetzliche Rentenversicherung so gestärkt wird, dass man – um im Alter vor Armut geschützt zu sein – nicht auf private Vorsorge angewiesen ist. Ob das jeder machen will, das muss er für sich selber entscheiden. Fakt ist, dass die gesetzliche Rentenversicherung durch verschiedene Angriffe vonseiten der Politik momentan immer nur noch bedingt vor Altersarmut schützt, und ich finde, Aufgabe der Politik ist es, dem entgegenzuwirken.

Ostermann: Die Frage ist gleichwohl generell, wie das Ganze finanziert werden soll, wenn die Zahl der Arbeitenden zukünftig immer kleiner wird und die Zahl der Rentner immer größer. Die SPD diskutiert ausgesprochen intensiv die Frage Renteneintrittsalter mit 67, früher oder später. Wie verfolgen Sie diese Debatte bei der SPD?

Kipping: Also nachdem ja die SPD mit maßgeblich dafür verantwortlich war, dass die Rente, alsodass die Verlängerung des Renteneintrittsalters bis 67 durchgesetzt wird, bin ich sehr froh, dass da jetzt eine gewisse Bewegung reingekommen ist. Es deutet sich ja jetzt schon ein halbgewalkter Kompromiss dort an, dass man das doch nicht wirklich abschaffen will. Ich finde, solange man wirklich festsellen kann, dass bloß noch jeder zweite Betrieb überhaupt Menschen über 50 Jahre einstellt, ist die Rente ab 67 eben nicht ein Angebot für Menschen, womöglich länger zu arbeiten, sondern vor allen Dingen eins: eine Rentenkürzung, weil immer mehr Menschen gezwungen sind, vor 67 in Rente zu gehen, und dann bekommen sie einfach für den Rest ihres Lebens Rentenabschläge. Was die Finanzierung anbelangt, will ich mal sagen: Wir finanzieren ja jetzt auch die private Vorsorge von staatlicher Seite, und zwar fließen im Jahr rund 13 Milliarden Euro in die Förderung von privater Rente. Und diese Förderung kommt vor allen Dingen den privaten Versicherungskonzernen wie Allianz zugute. Ich fände es besser, wenn man dieses Geld wirklich in die Förderung der gesetzlichen Rentenversicherung steckt und dort auch noch mal für den Ausgleich sorgt, um wirklich die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen abzufedern.

Ostermann: Jetzt haben wir sehr viel über Geld geredet. Welche Konsequenzen müssten eigentlich auf dem Arbeitsmarkt selbst, in der Arbeitswelt selbst gezogen werden, würden Ältere länger arbeiten, was Sie ja ablehnen? Was bedeutet das für Ihre Generation?

Kipping: Also ich weiß nicht, ob man die Gleichung so eins zu eins aufmachen kann, zu sagen, wenn im Betrieb Menschen länger arbeiten müssen, ist es natürlich dann auch schwieriger, zum Beispiel Lehrlinge einzustellen, was das anbelangt. Also ich glaube, generell muss man einiges in die Hand nehmen, um sicherzustellen, dass all diejenigen, die einen Arbeitsplatz wollen, auch einen Arbeitsplatz bekommen. Eine Möglichkeit diesbezüglich, finde ich, ist die generelle bessere und gerechtere Verteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit zurzeit im Sinne der Arbeitszeitverkürzung. Und da ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit eine Möglichkeit, und die andere ist halt zu sagen, die Wochenarbeitszeit wird reduziert, weil es ist doch verrückt: Die einen bei uns, die erwerbslos sind, die sind gestresst, weil sie verzweifelt einen Arbeitsplatz suchen, und die anderen, die arbeiten müssen, sind meistens auch gestresst, weil sie unbezahlte Überstunden in Kauf nehmen müssen oder weil sie länger arbeiten müssen, als es eigentlich ihre Gesundheit zulässt.

Ostermann: Katja Kipping, die stellvertretende Vorsitzende der Linken. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute früh!

Kipping: Gern geschehen, einen wunderschönen guten Tag noch!

Ostermann: Wünsche ich Ihnen auch.
Mehr zum Thema