Satter Lifestyle

Ernährungsberater und ihre zweifelhaften Tipps

Von Udo Pollmer · 03.07.2015
Forscher der österreichischen Donau-Universität haben Texte mit Ernährungstipps unter die Lupe genommen und festgestellt: Selten nur stimmen die Aussagen dort mit den Forschungsergebnissen überein, über die sie zu berichten vorgeben.
Das österreichische Institut für "Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie" hat knapp 1.000 Meldungen zur gesunden Lebensführung auf ihre Seriösität abgeklopft. Dazu verglichen die Forscher die Beiträge in den Zeitungen und deren Internetseiten mit den Originalstudien aus der Fachpresse, auf die sich die Journalisten beriefen. Das Ergebnis ist durchweg kein Ruhmesblatt im Blätterwald.
Wie zu erwarten - beim Thema "Schlank und Schön" war die Realitätsverzerrung natürlich am größten. Kein einziger Bericht über Methoden und Mittel, um seinen Körper durch eine "gesündere" Lebensführung schöner und schlanker zu gestalten, war korrekt. Ja schlimmer noch: Nahezu alle waren stark verzerrt. Nicht viel besser steht es ums menschliche Seelenleben. "Psychotipps" sind ja ebenfalls ein bewährtes Lifestyle-Thema. Auch hier stimmte so gut wie keiner der Beiträge mit den Originalaussagen überein. Bei Nahrungsergänzungen waren 70 Prozent der Meldungen stark übertrieben, gefolgt von Berichten zu Ernährung und Schadstoffen. Sie waren zu 60 Prozent stark verfälscht.
Natürlich lassen sich Reibungsverluste nicht vermeiden, wenn komplexe Forschungsresultate auf Boulevard-Niveau erklärt werden müssen. Deshalb sollten ausführliche Berichte besser abschneiden als Kurzmeldungen, bei denen aus Platzgründen schon mal Wichtiges unterschlagen werden muss. Pustekuchen: Der Wahrheitsgehalt war stets gleich niedrig. Es gab auch keine nennenswerten Unterschiede zwischen sogenannten Qualitätsmedien und Goldenen Blättchen.
Kleine Tipps für die große Krebsbekämpfung
An Unwissenheit kann es nicht liegen. In den Gesundheitsredaktionen sind heute allerorten Ernährungsfachkräfte und Mediziner anzutreffen. Weshalb wird dann soviel Unfug verbreitet? Ganz einfach: Auch verzerrte Darstellungen haben gewöhnlich Nutznießer. Redakteure erhalten regelmäßig Angebote, im Frühjahr zu verbreiten "Vitamine stärken das Immunsystem", zu Beginn der Spargelzeit sind "Spargel macht schlank"-Schlagzeilen angesagt, im Sommerloch sollen ausgerechnet "Himbeeren den Krebszellen Saures geben". Das Angenehme für die Autoren: Sie müssen das alles nicht einmal selber schreiben, das übernehmen die PR-Agenturen im Namen ihrer Auftraggeber.
Insgesamt war bei Gesundheit, Ernährung und Lifestyle nur jede zehnte Meldung korrekt. Aber das heißt noch lange nicht, dass diese zehn Prozent auch stimmen. Denn die Frage, ob die Originalstudien überhaupt seriös waren, prüften die österreichischen Forscher nicht. Doch altgediente Biostatistiker wie John Ioannidis aus Harvard lassen an derartigen Studien kaum ein gutes Haar. Nach seinen Erfahrungen sind 80 bis 90 Prozent der Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Ernährung falsch. Oder, schlimmer noch: Das Gegenteil ist richtig.
Auch bewusst fettarme Ernährung verlängert das Leben nur bedingt
So geschah es unlängst beim Cholesterin. Gerade hat die US-Regierung die Warnung vor Cholesterin im Essen aus ihren Leitlinien gestrichen, weil es bis heute keinerlei wissenschaftliche Belege für einen Zusammenhang gäbe. Mal sehen, wann auch die fettarme Kost in der Tonne landet: Als sie vor einigen Jahren auf den Prüfstand gestellt wurde, konnten in den Datenbanken knapp 17.000 Studien zu diesem Thema identifiziert werden. Davon erwiesen sich die allermeisten als unbrauchbar. Am Schluß blieben von den 17.000 Studien gerade mal elf verwertbare Publikationen übrig. Ergebnis: Wer sich bewusst fettarm ernährt, lebt dadurch auch nicht länger.
Lifestyle, Psychotipps und gesunde Ernährung, das sind die Paradedisziplinen der medialen Scharlatane. Stimmen der Vernunft gehen hier sang- und klanglos unter im Marktgeschrei der Heilsanbieter und Altweibermüller. Wer in diesem Konzert nicht mitspielt, fliegt raus. Wann immer wir also von der heilsamen Wirkung von Waldkräuter-Smoothies hören oder Warnungen vor Krebs durch Pommesbuden lesen, oder über TV-Beiträge für Schönheit-von-Innen-Joghurts stolpern, dann können wir uns statt dessen auch wieder mal Grimms Märchen gönnen. Wie wär's mit "Tischlein deck Dich!"? Mahlzeit!
Quellen
Kerschner, B. et al: Wie evidenzbasiert berichten Print- und Online-Medien in Österreich? Eine quantitative Analyse. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 2015; epub ahead of print
Hooper, L. et al: Dietary fat intake and prevention of cardiovascular disease: systematic review. BMJ 2001; 322: 757-763
Hirstein, A.: Signifikanter Nonsens. NZZ vom 20.5.2007
Steiner, F.: Studie: Viel verdeckte Werbung auf Wikipedia. Deutschlandfunk 13. Januar 2014
Office of Disease Prevention and Health Promotion (USA): Scientific Report of the 2015 Dietary Guidelines Advisory Committee. www.health.gov/dietaryguidelines/2015-scientific-report/
Richards, V.: Cholesterol U-turn as research shows fatty foods might not be bad for us after all. The Independent Online vom 27. 5. 2015
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