Die Last des Alterns

Von Bernd Sobolla · 16.09.2012
Geht es sonst bei den Werken des Regisseurs Michael Haneke meist um Unterdrückung, Gewalt und ihre Ursachen, handelt sein Film "Liebe" von Sorge, Hingabe und Verzweiflung. Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde der Beitrag mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
Georg und Anna sind so um 80 Jahre alt, und wahrscheinlich sind sie fast so lange auch ein Paar. Jedenfalls machen sie diesen Eindruck. Die beiden Musikprofessoren im Ruhestand leben in einer geschmackvoll eingerichteten Pariser Wohnung, besuchen Konzerte, lesen viel und genießen das routinierte Beisammensein.

"Du wirst doch wohl auf deine alten Tage nicht an deinem Image rütteln?"
"Ich werde mich hüten. Was ist denn mein Image?"
"Du bist ein Monster manchmal."

Sie haben einen kleinen Freundeskreis, so scheint es, und werden unregelmäßig, aber verbindlich von ihrer in London lebenden Tochter besucht, die selbst Orchestermusikerin ist.

"Als ich in die Wohnung kam vorhin, fiel mir ein, wie ich euch als Kinder immer zugehört habe, wenn ihr miteinander geschlafen habt. Das hat mir das Gefühl gegeben, dass ihr euch liebt und dass wir für immer zusammenbleiben."

Doch niemand bleibt für immer zusammen. Da spielt der Tod nicht mit. Und sein kleiner Bruder, die Krankheit, sorgt dafür, dass wir nicht vergessen, wie wir ihm mit jedem Tag einen Schritt näher kommen. Eines Morgens sitzt Anne völlig apathisch am Frühstückstisch, reagiert auf keine Frage. Georg ist entsetzt. Erst Minuten später wacht Anne aus dem Zustand wieder auf.

"Wo bist du denn? Du hast das Wasser laufen lassen."
"Sag mal, was ist denn? Bist du vollkommen irre? Soll das ein Witz sein?"
"Wie bitte?"
"Ist das ein Scherz? Soll das ein Scherz sein oder was?"
"Was für ein Scherz? Ich verstehe kein Wort."

Eine ärztliche Untersuchung ergibt, dass Annes Schlagader verengt ist. Eine Operation ist unvermeidlich, wenn auch nicht völlig ungefährlich. Die OP misslingt, und Anne kehrt halbseitig gelähmt zurück nach Haus. Fortan kümmert sich Georges ununterbrochen um sie: Er kauft ein spezielles Bett, bringt sie zur Toilette, bereitet das Essen, macht Gymnastik mit ihr und kümmert sich um das Pflegepersonal, als er selbst nicht mehr dazu in der Lage ist, Anne allein zu versorgen.

Dennoch verschlechterte sich Annes Zustand, und parallel zum körperlichen Verfall, baut sie auch geistig deutlich ab.

"Bitte, setz dich!"
"Ich will mich aber nicht hinsetzen. Was geht hier eigentlich vor?"

Geht es sonst bei den Werken Michael Hanekes meist um Unterdrückung, Gewalt und ihre Ursachen, handelt sein Film "Liebe" von Sorge, Hingabe und letztendlich von Verzweiflung. Und auch von der Schwierigkeit des Lebenspartners und der anderen Angehörigen, mit dem kontinuierlichen Niedergang des geliebten Menschen umzugehen.