Die Kunst des Konsens

Raus aus dem Konkurrenzkampf

Kommunale Schätze heben: Diskussionen im Rathaus Witzenhausen
Gruppen können systemisches Konsensieren lernen (hier eine Diskussion im Rathaus Witzleben). © Dirk Gebhardt
Adela Mahling im Gespräch mit Nana Brink · 19.08.2016
Richtig miteinander reden und fruchtbare Diskussionen führen: Die Kunst des "Systemischen Konsensierens" kann man lernen. Wie man sich vom Zwang verabschiedet, immer alle überzeugen zu wollen, erklärt die Pädagogin Adela Mahling.
Nana Brink: Wer immer sich für Umweltschutz aktiv einsetzt, der findet auch heute sein Mekka in der Nähe von Erkelenz, beim Klimacamp Rheinland. Da wird dann debattiert über Protestformen, und wie man sich vorstellen kann, ist man sich da nicht immer grün. Wie also geht das, dass möglichst viele aus einer Gruppe an einem Strang ziehen?
Wer das herausfinden will, der ist in Erkelenz-Lützerath auch gut aufgehoben, denn dort findet auch die sogenannte Degrowth-Sommerschule statt. Im Rahmen dieser Sommerschule werden Kurse für Aktivisten angeboten, so auch für Systemisches Konsensieren. Was das ist? Dieses Verfahren soll Gruppenkommunikation verbessern, und ich geb Ihnen jetzt mal ein Beispiel: Wenn eine Gruppe darüber entscheidet, welches Bild aufgehangen wird, dann geht es nicht danach, wer welches Bild am schönsten findet – wahrscheinlich finden sich da nur eine knappe Mehrheit, und es bleiben dann ganz viele übrig, die damit überhaupt nicht zufrieden sind –, und nach dem Prinzip des Systemischen Konsensierens wird eher gefragt, mit welchem Bild die meisten am wenigsten Schwierigkeiten haben.
Adela Mahling ist Diplom-Pädagogin und Trainerin für Systemisches Konsensieren und auch in der Sommerschule aktiv. Ich grüße Sie!
Adela Mahling: Hallo, schönen guten Morgen!
Brink: Was ist denn beim Systemischen Konsensieren ganz grundsätzlich anders?
Mahling: Na, Sie haben es eigentlich gerade eben schon auf den Punkt gebracht: Wir fragen beim Systemischen Konsensieren, kurz auch SK, nicht mehr, wer ist dafür und wer ist dagegen oder wer ist für A oder wer ist für B, das heißt, wir gucken uns nicht die Zustimmung zu einem Vorschlag an, sondern wir fragen grundsätzlich, hat jemand Einwände zu einem Vorschlag, und wenn ja, wie groß sind die.
Und dann messen wir den Widerstand, den die einzelnen Menschen in einer Gruppe zu einer bestimmten Lösung haben – also zum Beispiel dazu, dieses Bild aufzuhängen –, und finden damit raus, wie groß der Reibungsverlust oder wie groß das Konfliktpotenzial zu den einzelnen Lösungen ist, weil es eben nicht mehr darum geht, sich über eine Minderheit durchzusetzen oder zu gucken, das, was die meisten wollen, wird gemacht, sondern das Konfliktpotenzial und der Reibungsverlust, den Gruppen haben, wenn sie bestimmte Wege gehen, so zu minimieren, dass sie möglichst viel Energie haben für die Umsetzung ihrer Vorschläge.

Kleine Beispiele zeigen das Prinzip

Brink: Wenn ich jetzt in einem Kurs von Ihnen wäre, wie muss ich mir das dann vorstellen?
Mahling: Abgesehen davon, dass wir natürlich das Prinzip erklären – aber das ist letztendlich sehr schnell erklärt –, benutzen wir praxisnahe Beispiele, um die Gruppen Entscheidungen mit dem neuen Prinzip ausprobieren zu lassen. Also beispielsweise, da ist ein Verein, der sich für eine gute Sache engagiert, und die haben Sponsorengelder, wie gehen sie damit um, wie möchten sie die ausgeben. Wir zeigen den Teilnehmern, wie sie das Prinzip in kleinen Beispielen, also wie verbringen wir gemeinsam unsere Mittagspause, bis hin zu großen Beispielen von komplexen Projekten, was für einen Aktionsplan wollen wir aufstellen, wie wollen wir unseren Verein strukturieren. Dafür können sie das einsetzen, und das lernen sie bei uns.
Brink: Und lernt man dann auch sozusagen, die richtigen Fragen zu stellen?
Mahling: Ja, das ist ein großer Teil dessen. Die richtige Frage, so wie ich es verstehe oder so wie wir das verstehen bei uns, ist die Frage, die einerseits das Problem ausreichend adressiert, das heißt, wenn ich sie beantworte, ist das Problem, was ich habe, oder das Anliegen, was ich beachtet haben möchte, auch gelöst. Gleichzeitig fördert die Frage die Kreativität der Gruppe, weil das ist auch ein großer Unterschied zu anderen Verfahren. Das Systemische Konsensieren kommt damit klar, viele Lösungen zu haben, viele Vorschläge, die dann bewertet werden können, man muss nicht mehr reduzieren auf nur zwei.
Brink: Und das ist dann sozusagen das, wovon die Gruppen dann profitieren in ihrer weiteren Arbeit?
Mahling: Ja, insgesamt profitieren sie vor allen Dingen davon, dass man rauskommt aus dem Konkurrenzkampf und aus dem ‚Ich muss dich überzeugen, damit du für meine Lösung bist‘. Das Systemische Konsensieren führt quasi automatisch dazu, dass Leute statt mehr zu reden, sich wieder anfangen zuzuhören, weil es geht ja letztendlich darum, die Bedürfnisse und die Anliegen der Einzelnen wirklich zu hören und in die Lösung zu integrieren. Und wenn ich den Leuten nicht zuhöre, dann verschwinden ihre Widerstände auch nicht.

Mit Herzblut für eine gute Sache

Brink: Nun hab ich ja gesagt, dass Sie auch genau an dem gleichen Ort sozusagen Ihre Sommerschule haben, wo auch das Klimacamp Rheinland ist. Da kommen ja vor allen Dingen NGOs und auch Aktivisten zusammen, und die kommen dann auch zu Ihnen. Haben die besondere Bedürfnisse?
Mahling: Die NGOs und Gruppen, mit denen wir jetzt Erfahrung haben, die in unsere Seminare kommen, die zeichnen sich oft dadurch aus – bei denen ist es noch wichtiger oder sie wollen eben Aktionen, Aktionspläne planen, und sie brauchen alle Energie für ihre Umsetzung, besonders weil … Da ist eine Gruppe von Leuten, die setzen sich für eine gute Sache ein, mit Herzblut, die wollen was bewegen, und die wollen tragfähige Lösungen finden. Und gleichzeitig ist der Anspruch, diesen Weg zu gehen und demokratisch und partizipativ da hinzugelangen, sehr hoch. Das heißt, die sind besonders interessiert daran, ihren Reibungsverlust bei der Entscheidungsfindung zu minimieren und möglichst Lösungen zu finden, bei denen die ganze Gruppe das Ergebnis mittragen kann. Und da genau setzen wir an …
Brink: Und das funktioniert …
Mahling: … wenn ich da noch was nachtragen darf: Viele von diesen Gruppen kommen schon aus einer Konsenskultur, das heißt, sie haben Erfahrung mit Konsensverfahren, wo sozusagen nur was durchgesetzt wird oder gemacht wird, wenn alle zustimmen, und das führt in vielen Erfahrungen zu ewigen Debatten: Wer am längsten redet, hat am Ende sozusagen … Wer den längsten Atem hat, setzt sich durch. Und da führt das Systemische Konsensieren schnell raus.
Brink: Vielen Dank, Adela Mahling, Diplom-Pädagogin und Trainerin für Systemisches Konsensieren, auch in der Sommerschule aktiv, die jetzt gerade stattfindet in Erkelenz. Danke für das Gespräch, Frau Mahling!
Mahling: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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