"Die könnten gar nicht gegeneinander antreten"

Moderation: Susanne Burg · 12.06.2011
Ein neuer Film zeigt das Leben der berühmten Boxbrüder Vitali und Wladimir Klitschko. Regisseur Sebastian Dehnhardt spricht im Interview über die familiäre Prägung der Klitschkos, ihre unterschiedlichen Charaktere und ihre Rivalität untereinander.
Susanne Burg: Sina Fröhndrich über den Dokumentarfilm "Klitschko", der am kommenden Donnerstag in den Kinos anläuft. Regisseur des Films ist Sebastian Dehnhardt. Er hat bislang viele historische Dokumentationen fürs Fernsehen gedreht, etwa "Hitlers Helfer" oder den Dreiteiler "Stalingrad". Dem Sport widmete er sich in einem Dokumentarfilm über den legendären Sieg der deutschen Mannschaft in der Fußball-WM 1954, "Das Wunder von Bern", ein Film, der ein Jahr nach Sönke Wortmanns Spielfilm herauskam, und für den er 2004 den deutschen Fernsehpreis erhielt. Sebastian Dehnhardt ist jetzt in einem Studio in Köln – guten Morgen!

Sebastian Dehnhardt: Guten Morgen, Frau Burg, hallo!

Burg: Hallo! Herr Dehnhardt, die Klitschkos sind Stars. Sie haben Titel gewonnen, sie haben Geld verdient, sie haben mehrmals aufgehört und doch wieder angefangen – man fragt sich, warum in aller Welt tun sie sich das an, warum machen sie immer weiter?

Dehnhardt: Ich glaube, die können das selber nicht so richtig beantworten. Auf die Frage, wie sie zum Boxen kamen, sagt der Wladimir immer: Der Vitali hat angefangen und ich hab's nachgemacht. Und irgendwie haben sie Blut geleckt.

Burg: Sie zeigen die große, fast pompöse Show des Boxkampfes, zeigen, wie brutal und auch lebensgefährlich dieser Sport ist. Es spritzt Blut, in Slow Motion ist zu sehen, wie Köpfe erschüttert werden von den Schlägen, aber Sie zeigen eben auch die Welt hinter den Kulissen, und da wirkt es manchmal wie eine große Familie – man geht verspielt, humorvoll, respektvoll miteinander um. Wie gehen diese beiden nach außen hin vielleicht widersprüchlichen Welten eigentlich zusammen?

Dehnhardt: Ja, das war auch so ein Punkt. Ich musste selber, als ich anfing, ich hatte keine Ahnung vom Boxen, eine ganze Menge Klischees irgendwie über Bord werfen. Aber dass Boxen eine sehr harte Sportart ist, das war mir schon bewusst. Und ein Zeitzeuge hat das auch gut beschrieben, der hat gesagt: Im Sport kann man viele Sachen spielen – man kann Fußball spielen, man kann Basketball spielen, man kann Baseball spielen –, aber Boxen kann man nicht spielen, das ist eine ernste Sache. Und das vermittelt sich natürlich auch über diese Bilder, die wir gemacht haben mit Hochgeschwindigkeitskameras, dass das eben eine sehr harte Geschichte ist, und es kommt zu Verletzungen.

Und beispielsweise Lamon Brewster, der auch in dem Film ist, der hat sein Augenlicht verloren. Das darf man alles irgendwie nicht unterschätzen, und ich wollte das auch zeigen und abbilden, dass man kein verfälschtes Bild quasi vom Boxen zeigt. Aber abseits des Rings sind die Jungs wirklich sehr angenehm, und man kann einen guten Umgang mit ihnen haben, und da war ich auch ganz baff erstaunt, auch die amerikanischen Boxer, die ich alle interviewt habe – wir haben selten so bodenständige und ja wirklich freundliche Menschen getroffen.

Burg: Im Film kommen ja auch die Eltern zu Wort, und beide Lebensläufe dieser Eltern sind sehr geprägt von der sowjetischen Geschichte – der Vater war ukrainischer Offizier der Sowjetarmee. Inwieweit haben denn die beiden Eltern mit ihren Wertvorstellungen die Karriere für die beiden Söhne bereitet?

Dehnhardt: Ich glaube ganz zentral. Das hängt auch ein bisschen mit der Familienbiografie zusammen. Der Vater war in sehr viel unterschiedlichen Militärbasen und Kasernen stationiert, und die sind wirklich einmal durch die ganze Sowjetunion gekommen – die waren in Kasachstan und in der Tschechoslowakei und weiß der Geier wo. Und durch die vielen Schulwechsel hatten Wladimir und Vitali auch nicht so die Chance, einen dauerhaften permanenten Freundeskreis zu bilden, die hatten nur sich, und die Eltern eben. Und der Vater und die Mutter, das waren beides sehr, sehr disziplinierte Personen. Sie war auch berufstätig, sodass Vitali schon mit sechs Jahren auf seinen quasi neugeborenen Bruder aufpassen musste, und da haben die beiden eine Form von Verantwortung kennengelernt und von Disziplin, die sie halt für ihr Leben geprägt hat.

Burg: Und was sich ja auch durch die Karriere zieht, ist diese unglaubliche Brüderlichkeit zwischen den beiden, die sich gehalten hat. Das war ja eben zu hören, Vitali sagt im Film, dass die Gegner nicht ihre Geheimwaffe kennen, sie kämpfen gegen zwei Menschen. Aber man sieht die beiden auch im Film beim Schachspielen, und da treten sie gegeneinander an, und man sieht, wie wichtig ihnen der Sieg ist. Gibt es denn wirklich gar keine Rivalität zwischen den beiden?

Dehnhardt: Doch, natürlich gibt es Rivalität zwischen den beiden, aber eben nicht in der Boxwelt. Das haben die so für sich entschieden, und das ist auch völlig richtig. Die könnten gar nicht gegeneinander antreten, und ich hoffe, das wird zwischen den Zeilen auch im Film deutlich, weil man kann einfach dem eigenen Fleisch und Blut nicht ins Gesicht schlagen, sag ich jetzt mal so. Aber eben abseits des Boxsports, da sind die auch sehr sportiv miteinander und haben auch einen guten und trockenen Humor.

Burg: Ja, das merkt man wirklich sehr häufig. Da ist zum Beispiel Vitali zu sehen, wie er seinem Sohn die Haare schneidet und dann in die Kamera grinst und sagt: Wieder acht Euro gespart! Ist das eigentlich nur Koketterie oder ist es wirklich auch diese anerzogene Sparsamkeit aus Zeiten der Not früher, die ihm erhalten geblieben ist?

Dehnhardt: Nein, das ist die Form des trockenen Humors tatsächlich. Er hat mir hinterher gesagt, warum er wirklich seinem Sohn die Haare schneidet. Da geht es nicht um die acht Euro, im Gegenteil. Er sagt, meine Eltern haben das so mit mir gemacht, und das ist eine Sache, da entsteht so eine Nähe zwischen dir und deinem Sohn, und das wird er sein Leben lang nicht vergessen.

Burg: Diese professionelle Boxwelt ist ja auch eine ganz große kommerzielle Maschinerie: Jeder Boxer hat Agenten, der Druck ist enorm groß – wie geht es eigentlich, dass die Klitschko-Brüder in dieser Sportmaschinerie ihre Individualität und Persönlichkeit so erhalten haben?

Dehnhardt: Es gibt natürlich auch solche Szenen, als sie beispielsweise angeworben wurden durch Don King in den USA und sie eine sehr bauernschlaue Entscheidung damals getroffen haben, aber sie haben als wenige von den vielen Boxern es geschafft, sich unabhängig zu machen und sind nicht mehr in der Leibeigenschaft eines Promoters, und das zeigt sie eben auch als kluge und geschäftstüchtige Businessleute. Sie haben ihre eigene Firma gegründet, sie haben eine Lizenz in den USA, sie haben eine Firma in den USA, sie dürfen Boxkämpfe ausrichten, und sie sind quasi ihr eigener Veranstalter. Und das ist eine Form von Freiheit, die sie auch souverän werden lässt einfach.

Burg: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem Regisseur Sebastian Dehnhardt über seinen neuen Dokumentarfilm "Klitschko". Herr Dehnhardt, Sie haben gerade diese Szene erwähnt, 1996 lädt Don King, der Boxpromoter, der unter anderem Muhammed Ali vertreten hat, die Klitschko-Brüder zu sich ein, bietet ihnen an, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Und man sieht sie im Film in den USA in der luxuriösen Wohnung von Don King, der umgarnt sie, will sie beeindrucken, will ihnen zeigen, wie gut er Klavier spielt, aber Vitali sagt irgendwie, er hat festgestellt, der drückt gar nicht die Tasten, sondern es ist ein Klavier, was automatisch spielt. Und sie nehmen sein Angebot daraufhin nicht an, weil sie ihm nicht trauen. Das ist ziemlich souverän, denn auf der einen Seite, Don King ist einer der bekanntesten Boxpromoter und die beiden sind zu dem Zeitpunkt noch Amateurboxer. Sie haben es eben schon angedeutet – wie wichtig für ihren Erfolg ist dieser Instinkt für Menschen und die Bedeutung, die sie der Ehrlichkeit und Integrität zumessen?

Dehnhardt: Ich glaube, da liegt eine ganz zentrale Bedeutung, aber da kommen – gerade bei dieser Don-King-Szene – verschiedene Sachen zusammen. Erst mal war es natürlich sehr lustig, dass einer der Begleiter der Klitschkos eine Hobbykamera dabei hatte, so kommen wir auch in den Genuss dieser Bilder, und Don King, der spielt tatsächlich, tut so, auf einem elektronischen Klavier und spielt die Ouvertüre von Don Giovanni – da musste ich auch schon sehr lachen. Aber die Klitschkos haben das gemerkt, und in diesem Boxgeschäft, da ist Ehrlichkeit wirklich eine Tugend. Sicher kam auch noch dazu, dass einfach die Flugzeit in die Heimat nach Kiew nicht ganz so lang ist, also sie konnten sich in den Flieger setzen und waren in drei Stunden zu Hause bei der Mama.

Burg: Also auch solche Kriterien, die eine wichtige Rolle spielten. Ein Trainer beschreibt die unterschiedlichen Charaktere der beiden in ihrer früheren Phase. Also Vitali, sagt er, ist aus Stein, er braucht Zeit, bis er geformt ist, Wladimir ist aus Ton, man kann ihn schneller formen, aber er zerfällt auch schneller. Beide sind ja nun durch Krisen gegangen und haben an sich gearbeitet – wie ist vor allem Wladimir mit dieser Substanz Ton im Laufe seiner Karriere umgegangen?

Dehnhardt: Ja, das ist eines der faszinierenden Momente tatsächlich, weil Wladimir wurde von der Mutter schon als das schlampige Genie irgendwie bezeichnet. Dem fiel alles in den Schoß, und schon als 14-Jähriger hat er nicht verloren, sondern der hatte so einen wirklichen Boxgen. Das haben die Trainer auch erkannt und haben gesagt, das ist ein unglaubliches Talent, er ist viel talentierter als sein Bruder. Aber um erfolgreich zu sein in dieser Welt, da brauchst du eben mehr als nur Talent.

Und was wirklich faszinierend ist: Nachdem er verloren hat gegen Lamon Brewster, da musste er quasi sich selbst neu formatieren, also er musste das Programm löschen und ein neues Programm aufsetzen. Und das ist das eigentlich Schwere, glaube ich. Er hat das ganze Team ausgewechselt, er hat sein Training verändert, der Bruder durfte ihn nicht mehr im Trainingslager besuchen, es kamen viele so psychologische Momente dazu. Er hat die Farbe der Schuhe gewechselt, er hat sich nicht mehr mit Vaseline eingeschmiert, sondern mit Kokosbutter, so ganz kleine Details, und hat es wirklich mit diesem Programm geschafft, ganz zurück an die Weltspitze zu kommen.

Burg: Es gibt einen Dokumentarfilm von 1996, der gilt als einer der besten Filme über das Boxen, heißt "When We Were Kings", über den Kampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman 1974. Der Film hat einen Oscar gewonnen, und interessant finde ich, er ist zugleich Porträt eines Sportlers, nämlich Muhammed Ali, eines Menschen aber auch einer Sportart, also sehr viele verschiedene Facetten, die da reinkommen. Inwieweit war dieser Film auch eine Anregung für Sie?

Dehnhardt: Eine große Anregung. Ich hab den Film geliebt, und ich finde ihn auch heute noch einfach sensationell, aber man muss sich auch ganz klar sagen, es ist eben kein reiner Boxfilm, sondern es ist ein Film über Ali und Ali eben auch als politische Figur. Und so ein bisschen ähnlich habe ich das mit den Klitschkos auch gesehen. Sie haben ja erwähnt, dass ich viele zeitgeschichtliche Dokus gedreht habe, und für mich sind die Klitschkos auch schon Personen der Zeitgeschichte, also gerade mit diesem Weg, den sie gegangen sind, und uns war völlig klar, dass wir keinen Boxfilm in dem Sinne machen wollten. Als ich dem Wladimir das erste Mal begegnet bin, hat er genau das zu mir gesagt: Was ist der Plan? Und dann haben wir über den Film gesprochen, und da hat er gesagt: Tu mir einen Gefallen, lass uns keinen Boxfilm machen.

Burg: Da gibt es ja auch eine gewisse Parallele im politischen Engagement zwischen Muhammed Ali und den Klitschkos – inwieweit hat vor allem Vitali das Potenzial, zu einer ähnlichen politischen Boxikone zu werden wie Muhammed Ali?

Dehnhardt: Ganz ehrlich, ich glaube, er hat noch ein größeres Potenzial. Man kann die jetzt schlecht vergleichen und das sollte man auch nicht tun. Ali ist ein großes, großes Vorbild für die Klitschkos. Ali war seinerzeit ja auch schon mal in Moskau, in der Sowjetunion, da waren die ganz klein und haben ihn schon bewundert, und Ali hat in Atlanta die Olympiade eröffnet und Wladimir hat ja da gekämpft, und das war für ihn ein ganz großer Moment, und er ist ja auch Olympiasieger geworden. Aber der Vitali ist ja wirklich konkret in der Politik zugange, und er ist ja ein Mensch, der mit dem Kopf auch durch die Wand geht, wenn er sich ein Ziel setzt, und ich glaube, dass er so unermüdlich ist und weiter kämpft, dass ich ihm eine große politische Karriere auch prognostiziere.

Burg: Sebastian Dehnhardt über den Dokumentarfilm "Klitschko". Der läuft am kommenden Donnerstag im Kino an. Herr Dehnhardt, herzlichen Dank für das Gespräch!

Dehnhardt: Ich habe zu danken.
Sebastian Dehnhardt
Sebastian Dehnhardt© picture alliance / dpa / Wolfgang Langenstrassen
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