Die Kirschen des Alfred Andersch

Von Helmut Böttiger · 26.04.2011
Alfred Andersch prägte das kulturelle Klima in der frühen Bundesrepublik, die Zeit der inneren Emigration des "heimatlosen Linken" in der Nazizeit hat kontroverse Debatten ausgelöst.
Alfred Andersch war einer der bedeutendsten Schriftsteller und Funktionäre in der Frühzeit der Bundesrepublik. Maßstäbe setzte er vor allem durch zwei Tätigkeiten: zum einen als Redakteur des legendären "Radioessays" beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart, wo er mitten in den restaurativen 50er-Jahren anstößige Autoren wie Arno Schmidt oder Helmut Heißenbüttel förderte. Zum anderen als Herausgeber der Literaturzeitschrift "Texte und Zeichen", die konsequent auf die in der Adenauerzeit extrem verpönte westliche Moderne hinwies.

Mit seinem autobiografisch inspirierten Roman "Die Kirschen der Freiheit", der von seiner Desertion aus der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg handelte, erregte er 1952 zudem heftigsten Volkszorn. Dennoch war die Person Alfred Andersch nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Er war ein extremer und unbequemer Einzelgänger, der sich keinen Gruppen oder Strömungen unterordnen konnte und wollte.

Großen Wert legte er darauf, ein "heimatloser Linker" zu sein – das Heimatlose war dabei das Entscheidende. Die prägenden Jahre des 1914 geborenen Andersch waren bestimmt von der Spannung zwischen Patriotismus und Kommunismus. Er engagierte sich noch in der Weimarer Republik für die Kommunisten, hielt sich während der Nazizeit äußerst bedeckt und schrieb unpolitisch-biedere Zeugnisse einer "inneren Emigration", hatte dann aber in amerikanischer Kriegsgefangenschaft ein Erweckungserlebnis: die freie, demokratische Diskussion. Dieses Amalgam machte seine große Zeit in den 50er-Jahren aus: deutscher Patriotismus, linke Ideale und amerikanische Prägung. Da kam es laufend zu Widersprüchen und fast unvereinbaren Positionen.

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