"Die Kirche besitzt eben diese Privilegien"

Theodoros Paraskevopoulos im Gespräch mit Susanne Führer · 29.12.2011
Die Trennung von Staat und Kirche sei in Griechenland überfällig, meint der griechische Volkswirt Theodoros Paraskevopoulos. Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung sei ebenfalls dafür. Der entsprechende Artikel in der Verfassung könne jedoch nur schwer geändert werden.
Susanne Führer: Man möchte nicht Grieche sein in diesen Tagen – die Preise steigen, Gehälter und Renten fallen, und dann gibt es auch noch neue Steuern, zum Beispiel die Immobiliensteuer. Die muss jeder Immobilienbesitzer zahlen, zusätzlich zur Grundsteuer. Der Preis schwankt innerhalb Griechenlands zwischen vier und zehn Euro pro Quadratmeter der Immobilie und wurde in diesem Monat zum ersten Mal erhoben, nämlich mit der Stromrechnung abgebucht.

So kann sich keiner entziehen. Der größte Immobilienbesitzer nach dem Staat ist die orthodoxe Kirche, doch die zahlt nur einen Bruchteil dieser neuen Steuer und bekommt auch noch die Gehälter ihrer Priester vom eigentlich doch bankrotten Staat finanziert. Über die Rolle der orthodoxen Kirche in Griechenland will ich nun mit dem Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos sprechen. Guten Morgen nach Athen!

Theodoros Paraskevopoulos: Guten Morgen!

Führer: Warum genießt die Kirche in Griechenland solche Privilegien? Ist das historisch gewachsen?

Paraskevopoulos: Das ist historisch gewachsen, ja. Nach der Befreiung Griechenlands, nach der Gründung des griechischen Staates im 19. Jahrhundert, bekam die griechische Kirche sofort sehr viele Privilegien und wurde so etwas wie eine Staatskirche. So etwas ist sie immer noch. In der griechischen Verfassung wird sie als herrschendes Dogma anerkannt, also das orthodoxe Dogma, und die Kirche besitzt eben diese Privilegien. Was Sie aber sagten mit Entlohnung der Priester vom Staat, das hat andere Gründe. Das hängt damit zusammen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Kirche viele ihrer Grundstücke an den Staat abtreten musste, und sie bekam dafür die Entlohnung der Priester.

Führer: Aber es bleibt ja doch heute, wenn man es von außen betrachtet, ein doppeltes Privileg. Sie zahlen …

Paraskevopoulos: Das stimmt natürlich, das ist ein doppeltes Privileg.

Führer: … kaum Steuern und die Priester werden auch noch vom Staat entlohnt.

Paraskevopoulos: Natürlich ist das ein doppeltes Privileg. Und es ist ja nun Zeit, nach so vielen Jahren, dass das Mal geändert wird.

Führer: Aber warum traut sich die Regierung da nicht heran, also wenn jeder griechische Immobilienbesitzer diese Steuern zahlen muss, aber der zweitgrößte im Staate nicht?

Paraskevopoulos: Früher war das so, dass die Kirche auch einen ziemlich großen Einfluss hatte, und deswegen traute sich die Regierung nicht. Die nahmen an, also jemand, der die Kirchenprivilegien antastet, wird sich nicht mehr lang an der Regierung halten. Nun ist es aber anders. Sehr viele Griechen sehen, dass diese Privilegien nicht mehr zu halten sind und dass sie sehr ungerecht sind. Und das zeigt sich in jeder Befragung, dass die große Mehrheit der Bevölkerung sich erst mal die Trennung der Kirche vom Staat wünscht und die Gleichbehandlung der Kirche in steuerlichen Fragen.

Führer: Jetzt ist gerade ein Abt der Mönchsrepublik Athos unter Hausarrest gestellt worden, also da geht es um einen großen Immobilienskandal, in den auch noch andere Kirchenmänner verwickelt sein sollen. Ist das eigentlich ein Einzelfall, also ein schwarzes Schaf, wie es sie überall gibt, oder ist das eine Affäre von vielen?

Paraskevopoulos: Es ist in dem Sinn keine Affäre von vielen, weil so ein Skandal in dem Ausmaß es noch nicht gegeben hat, in den letzten Jahrzehnten zumindest nicht. Das war eine sehr große Affäre …

Führer: Wie groß ist das Ausmaß?

Paraskevopoulos: Das Ausmaß ist sehr groß, weil die Kirche, die hat einen Grundbesitz beansprucht um den See Vistonida, und sie konnte diese Grundstücke, die sie beanspruchte, mit Staatsgrundstücken vor allen Dingen in Athen, aber auch in anderen Teilen des Landes viel größeren Wertes austauschen. Und schließlich kam das heraus, platzt der Skandal, es wurde ein parlamentarischer Ausschuss gebildet, Untersuchungsausschuss gebildet, der aber leider zu dem Ergebnis kam, dass mögliche Delikte von politischen Personen verjährt waren.

Das hängt damit zusammen, dass Mitglieder der Regierung in Griechenland eine besondere Immunität genießen. Es ist also nicht so sehr ein Kirchenskandal, sondern ein politischer Skandal, der mit Korruption von Politikern zusammenhängt.

Führer: Kann man denn den Schaden beziffern?

Paraskevopoulos: Der Schaden geht an die Milliarden, weil die Grundstücke, die die Kirche für ihr Grundstück an diesem See bekommen hat, sehr teure Grundstücke in Athen und anderswo sind.

Führer: Sie haben jetzt gerade gesagt, Herr Paraskevopoulos, das sei zwar der größte Skandal, aber es habe auch noch andere gegeben, in die die Kirche verwickelt war.

Paraskevopoulos: Na ja, es hat immer kleinere Affären gegeben, wo kirchliche Institutionen versucht haben, sich vor allen Dingen Grundbesitz anzueignen, aber das waren Skandale kleineren Ausmaßes. Man hat von einer korrupten Kirche gesprochen – ich teile diese Ansicht nicht. Die Kirche ist in Griechenland sehr reich und hat sehr viele Privilegien, das ist wahr, und das muss geändert werden.

Man kann aber nicht sagen, dass sie besonders in großen Korruptionsfällen verwickelt ist, sie ist in kleinen Korruptionsfällen verwickelt, meistens im Gebiet eines Bischofssitzes, aber nicht in Skandale größeren Ausmaßes, wie dieser einer war.

Führer: Der Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos im Deutschlandradio Kultur. Sie haben gerade Umfragen erwähnt, wonach die Griechen gerne die Privilegien der Kirche zurückgeschnitten hätten. Ich hab gelesen, dass 96 Prozent der Griechen der orthodoxen Kirche angehören – mal abgesehen von den Privilegien, halten Sie denn noch weiter zu der Kirche?

Paraskevopoulos: Man kann das nicht mit Deutschland vergleichen, wo die Mitglieder der Kirche gezählt werden können. In Griechenland gehört fast jeder der Kirche an, weil er mit der Geburt … also, wenn seine Eltern orthodox sind, dann ist er auch. Und dann wird man getauft und dann gehört man halt der Kirche an. Man kann auch da nicht austreten, wie es in Deutschland der Fall ist. So ist diese Zahl, dieser Prozentsatz etwas übertrieben.

Führer: Aber hat denn jetzt durch diesen erwähnten Immobilienskandal und auch durch jetzt die finanzielle Bevorzugung vielleicht doch auch die moralische Autorität gelitten, der Kirche?

Paraskevopoulos: Ich glaube, das ist nicht erst durch diesen Skandal geschehen, das ist schon lange her, denn einen großen Schaden hat die Autorität der Kirche wegen ihrer Haltung während der Diktatur erlitten, weil die Kirche hat sich praktisch mit den Diktatoren identifiziert, und dadurch hat sie sehr viel an Ansehen verloren. Und jetzt kamen die Steuerprivilegien, die einzeln zutage kamen, als sie auch öffentlich diskutiert wurden, und dann kam eben der Skandal. Und das sieht man daran, dass immer mehr Griechen ihre Kinder nicht taufen lassen, dass auch jetzt die Ehen, die nicht kirchlich geschlossen sind, zunehmen. Früher gab es ja diese Möglichkeit nicht, das ist eine, die gibt es erst seit 20 Jahren in Griechenland.

Führer: Also eine stumme Abstimmung mit den Füßen eher. Weil man sich natürlich fragt, denn wir haben ja nun viele Demonstrationen gesehen in Griechenland, warum die Bürger da nicht aufbegehren.

Paraskevopoulos: Ja, wissen Sie, weil man diese Sachen als politische Sachen betrachtet. Und wenn man gegen die Politik der Regierung demonstriert, dann fordert man – teilweise – auch die Abschaffung der Steuerprivilegien der Kirche. Das hat man auch in den Demonstrationen gefordert. Aber es waren keine Demonstrationen gegen die Kirche.

Führer: Sie haben vorhin die Verfassung erwähnt, in der die griechisch-orthodoxe Religion als herrschende Religion in Griechenland festgeschrieben ist. Was bedeutet das eigentlich praktisch?

Paraskevopoulos: Früher bedeutete das sogar, dass andere Religionen und Dogmen nicht für sich werben durften. Das ist inzwischen abgeschafft, aber es bedeutet zum Beispiel, dass die Kirche bei jedem offiziellen Anlass präsent ist, es bedeutet aber auch, dass die griechische Regierung bei der Einsetzung des Oberhaupts der griechischen Kirche mitzureden hat. Und das bedeutet aber vor allem, dass die Kirche, wie gesagt, steuerliche Privilegien genießt, dass ihre Priester vom Staat bezahlt werden und all diese Sachen – und dass der Religionsunterricht in Griechenland das orthodoxe Dogma betrifft und nicht andere Dogmen. In Griechenland hat man einen richtigen Religionsunterricht und keinen Unterricht über Religionswesen, also die Kinder werden in die Dogmen der orthodoxen Kirche eingeführt.

Führer: Und eine Trennung von Kirche und Staat, wie es sie, sagen wir mal in Frankreich gibt und auch weniger ausgeprägt aber doch auch in Deutschland, die wird nicht ernsthaft diskutiert?

Paraskevopoulos: Die zwei Staaten, bei denen die Trennung der Kirche vom Staat am ausgeprägtesten ist, sind Frankreich und die Türkei, wo ausdrücklich gesagt wird dass der Staat laizistisch ist. Aber es braucht dazu eine Verfassungsänderung, und die ist schwierig, weil dieser Verfassungsartikel zu den grundlegenden Artikeln der Verfassung gehört, seit der ersten griechischen Verfassung, und es ist sehr schwer, ihn zu ändern. Der hat den gleichen Rang wie die Menschenrechte, und das kann man ja nicht ändern, in keiner Verfassung.

Führer: Herr Paraskevopoulos, wenn Sie mal eine Prognose wagen, wird sich Ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahren etwas ändern von dem Verhältnis von Staat und Kirche in Griechenland?

Paraskevopoulos: Ja, ich bin sicher. Ich bin sicher, dass nun die Trennung von Staat und Kirche überfällig ist und dass die allergrößte Mehrheit der griechischen Bevölkerung dafür ist. So wird man eine Formel dafür finden. Wie gesagt, der entsprechende Artikel in der Verfassung kann sehr schwer geändert werden, aber man wird schon eine Formel dafür finden. Es gibt schon Verfassungsrechtler, die Formeln dafür vorgeschlagen haben, zum Beispiel dass man die anderen Überzeugungen stärker, das die Respektierung anderer Überzeugungen stärker in den Vordergrund stellt.

Führer: Sagt der Wirtschaftswissenschaftler Theodoros Paraskevopoulos. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Paraskevopoulos: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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