"Die Kassen werden auch wieder ärmer"

Biggi Bender im Gespräch mit Ute Welty · 09.02.2012
Die gesetzlichen Krankenkassen schwimmen im Geld, der Gesundheitsfonds hat einen Überschuss in Milliardenhöhe. Dies sei ein Effekt der guten Konjunktur, sagt die Grünen-Politikerin Biggi Bender, kein Ergebnis schwarz-gelber Politik. Man müsse sich auch auf schlechtere Zeiten einstellen.
Ute Welty: Mit dem Geld der deutschen gesetzlichen Krankenkassen wäre Griechenland geholfen: 16 Milliarden Euro haben sich angesammelt. Griechenland braucht bis März nur 14 Milliarden, bleiben noch zwei zum Verprassen!

Nein, im Ernst: Was tun mit den Milliarden? Gesundheitsminister Daniel Bahr hat allen Begehrlichkeiten schon eine Absage erteilt, aber vielleicht hat Biggi Bender als die gesundheitspolitische Sprecherin einen anderen Vorschlag? Guten Morgen!

Birgitt Bender: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wären Sie genau so sparsam wie der Kollege Bahr?

Bender: In gewisser Weise ja, aber aus anderen Gründen. Man muss sehen, dass jetzt Geld da ist im Gesundheitsfonds, das ist die Geldsammelstelle, die die Beiträge einzieht, und auch bei den Kassen selber, die aus dem Gesundheitsfonds ihr Geld bekommen. Aber zum einen braucht der Gesundheitsfonds eine Reserve – das sind schon mal drei Milliarden – und zum anderen ist damit zu rechnen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nicht so bleibt, wie sie ist. Das heißt, die Kassen werden auch wieder ärmer werden und dann drohte alsbald ein Beitragssatzanstieg.

Welty: Das heißt, das Problem ist doch systemimmanent?

Bender: Ja, das kann man sagen. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Kasseneinnahmen immer auch von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen: Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, dann sinken die Beiträge und umgekehrt. Insofern ist das jetzt Frucht der guten Konjunktur, dass die Kasseneinnahmen hoch sind, das ist nicht Verdienst dieser Regierung. Aber wir müssen befürchten, dass es eben auch anders wird, wir müssen auch damit rechnen, dass in jedem Jahr die Ausgaben der Kassen auch ein Stück weit ansteigen.

Welty: Wenn Sie die Regierung fragen, dann wird sie sehr wohl sagen, dass die gute Konjunktur Ergebnis guter Politik ist.

Bender: Ja, das mag schon sein, dass sie das behaupten, aber tatsächlich wird Schwarz-Gelb nicht die Macht haben, die weltwirtschaftliche Lage so weit zu beeinflussen. Aber letztlich brauchen wir darum auch gar nicht streiten. Unstreitig ist, glaube ich, dass es anders werden wird. Und nun könnte man sagen, okay, jetzt reduzieren wir den Beitragssatz, dann haben die Arbeitgeber und die Versicherten jeweils ein halbes Prozent mehr in der Tasche. Aber wie gesagt, es gibt ein Risiko, dass das wieder anders wird. Und wenn dann der Beitragssatz eigentlich wieder steigen würde, dann schnappt eine Falle zu, die Schwarz-Gelb nun definitiv verantworten muss, und die geht so: Nach dem Willen dieser Regierung – und so steht es dann auch im Gesetz – darf der Beitragssatz, der von Arbeitgebern und Versicherten entsprechend ihrem Einkommen getragen wird, gar nicht steigen, sondern, sobald die Kosten steigen, wird dieses Geld allein bei den Versicherten geholt via Zusatzbeitrag. Einige Versicherte hatten das bei ihren Kassen ja jetzt schon erfahren und es gibt Experten, die rechnen für das Jahr 2014 bereits mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 20 Euro.

Welty: Aber das Beispiel dieses Jahres zeigt doch, dass die Versicherten sehr wohl davon profitieren, von dieser guten Konjunkturlage, indem die meisten Zusatzbeiträge wieder entfallen werden. Das ist doch auch schon was?

Bender: Wir sind sehr froh, dass diese Zusatzbeiträge entfallen, und Schwarz-Gelb will ja eigentlich diese Zusatzbeiträge. Aber es hat für sie auch einen Vorteil, sie wissen nämlich, dass das bei den Wählern und Wählerinnen nicht beliebt ist. Das heißt, sie können ins Wahljahr starten ohne diese Zusatzbeiträge. Und für uns geht es darum, dass jetzt nicht etwa Schwarz-Gelb dann vor der Wahl viel Geld an Ärzte und Zahnärzte ausgibt, um der FDP den Überlebenskampf zu finanzieren, sondern dass wir die Möglichkeit haben, bei einem Regierungswechsel, auf den wir ja setzen, die Zusatzbeiträge ganz abzuschaffen, aber dafür auch den Beitragssatz allgemein eben nicht erhöhen zu müssen.

Welty: Auf der einen Seite geht es den Kassen so gut wie nie, auf der anderen Seite haben im vergangenen Jahr zehn Anbieter schließen oder fusionieren müssen. Spricht das nicht dafür, dass das System funktioniert, dass die überleben und gut überleben, die eben auch gut wirtschaften?

Bender: Gegen Wettbewerb der Kassen spricht gar nichts, das ist richtig, dass diejenigen, die sich gut aufstellen, auch überleben. Und das wird wahrscheinlich auch weitergehen. Aber im Moment ist es so, dass die Kassen eben auch alles tun, um zu vermeiden, dass sie die acht Euro, zehn Euro, 15 Euro Zusatzbeitrag erheben müssen, weil sie genau wissen, dass die Versicherten ihnen dann in Scharen davonlaufen. Und das führt auch dazu, dass die Kassen sich schwertun zu investieren in neue Versorgungsmodelle, etwa für chronisch Kranke, wo die Versorgung besser werden könnte, wo man am Anfang aber auch Geld ausgeben muss. Oder wir sehen das bei Leistungen wie den Mutter-Kind-Kuren, da stehen die Kassen schwer auf der Bremse, weil sie immer nur fürchten, wenn ich, Kasse A, den Zusatzbeitrag erheben muss, dann laufen die Versicherten alle zu Kasse B und C. Also, es ist eine Art von Vermeidungswettbewerb in Sachen Zusatzbeitrag eingetreten und das zeigt, dass diese Art der Finanzierung über den Zusatzbeitrag einen sehr merkwürdigen Wettbewerbsanreiz setzt.

Welty: Aber wenn ich die Chefs von Barmer GEK und AOK richtig verstehe, dann wollen sie doch viel mehr Wettbewerb haben? Sie fordern immer wieder und vehement auch mehr Beitragsautonomie. Wäre es nicht an der Zeit, genau darüber in dieser gut ausgestatteten Situation nachzudenken?

Bender: Genau das wäre richtig, dass die Kassen wieder entscheiden können, wie viel Geld sie meinen zu brauchen, dass dieses Geld dann paritätisch aufgebracht wird von den Arbeitgebern und den Versicherten, und zwar einkommensabhängig gezahlt wird. Dann können Versicherte sich entscheiden, ob sie einen höheren Beitragssatz bei einer Kasse richtig finden, für deren Leistungen. Aber dann reden wir eben über einen eventuell höheren Beitrag, der im Verhältnis zum Einkommen steht, und nicht zehn Euro, 15, 20 Euro, die für alle gleich sind. Und ich finde, das ist ein wesentlicher Unterschied. Wir wollen in der Perspektive natürlich sowieso das System erweitern, sodass auch die jetzigen privat Versicherten dabei sind und dass auch Beiträge etwa auf die Gewinne von Unternehmern oder auf Kapitalerträge fällig werden. Das würde insgesamt das System stabilisieren und es auch für alle preiswerter machen.

Welty: Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie auch den Gesundheitsfonds abschaffen, sollten Sie 2013 in Regierungsverantwortung kommen?

Bender: Den Gesundheitsfonds kann man lassen für den Finanzausgleich unter den Kassen. Was wir nicht wollen, ist, dass es weiterhin einen Einheitsbeitrag gibt mit dem Mechanismus, die Kassen holen sich Geld, das sie zusätzlich brauchen, allein bei den Versicherten, sondern es soll einen paritätischen Beitragssatz bei allen geben, über den die Kassen frei entscheiden. Da ist der Gesundheitsfonds, ob es den gibt oder nicht, zweitrangig.

Welty: Biggi Bender von den Grünen mit einem Ausblick auf 2013! Danke dafür!

Bender: Ja, bitte!

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