Die Iraner und ihre Autos

Von Jörg-Christian Schillmöller · 28.06.2011
Nach den Parlamentswahlen 2009 warf die iranische Opposition der Regierung Wahlbetrug vor. Tausende von Menschen gingen auf die Straße, der Protest wurde erstickt. Doch es gibt nach wie vor viele Menschen, die offen ihre Meinung sagen - vor allem im Taxi.
"Das ist der Peykan. Sein Dach hat er von Nissan, die Motorhaube von der Ente. Und jetzt bitte alle mal kräftig schieben."

Am Anfang war der Peykan. Mit ihm beginnt die Geschichte des iranischen Automobils. Eckig, ohne Schnickschnack, ein bisschen altmodisch, aber robust. Der Peykan wurde im Iran schon zu Zeiten des Schahs gebaut, und als Taxi ist er bis heute auf den Straßen von Teheran unterwegs - meist mit einem breiten Streifen in orange und einem Schild auf dem Dach: "Teheran Taxi" steht darauf.

"Es hängt natürlich davon ab, wie du mit deinem Auto umgehst. Ich fahre damit, da der Peykan unser nationales Auto ist und ich von Jugendzeit an damit gefahren bin. Er hat natürlich nicht die Möglichkeiten der neuen Autos von heute. Aber, wie sagen wir hier: Wenn der Wolf zum Fuchs wird, dann nur aus Not. Ich muss mit diesem Auto fahren, ich habe keine andere Wahl.""

Reza ist 37, sein Peykan ist Baujahr 1998. Es gibt im Iran nicht nur das Lied darüber, welche Ersatzteile anderer Autos sich im Laufe der Jahre in einem Peykan ansammeln, zum Beispiel von Nissan. Es gibt auch ganz eigene Peykan-Witze, und die erinnern stark an unsere Trabi-Witze. Was ist ein Peykan auf einem Hügel? Ein Wunder. Oder: Was steht auf den letzten Seiten der Peykan-Betriebsanleitung? Der Busfahrplan.

Eigentlich ist der Peykan ein Brite: Das Auto basiert auf dem Modell des Hillman Hunter. Als die ersten Verträge geschlossen wurden, damals in den Sechziger Jahren, wurde das Modell als Bausatz geliefert und im Iran zusammengebaut. Erst als die Briten nicht mehr lieferten, begannen die Iraner – sozusagen notgedrungen - die Bauteile selbst zu fertigen – und der erste rein iranische Peykan lief 1991 vom Band. Das Motto der Regierung lautete damals: Jede Familie im Iran soll ihren Peykan bekommen.

Reza steuert seinen Wagen durch Teheran, die Vali-Asr-Straße hinunter. Sie führt vom wohlhabenden Norden am Hang des schneebedeckten Albors-Gebirges hinunter in den Süden der Stadt. Die Vali Asr ist von Platanen gesäumt, und hier gibt es fast alles zu kaufen, was das Herz begehrt. Jetzt gerade zieht auf der anderen Straßenseite der Laden "Ladan" vorbei: Dort gibt es Pistazien mit einer Kruste, die nach Zitrone schmeckt - eine iranische Spezialität. Die Luft draußen ist heute kühl und nicht ganz so staubig. Vielleicht gibt es noch Regen. Die Teheraner mögen den Regen, weil er so selten ist.

Wenn es einen Ort gibt, an dem man im Iran mit den Menschen ins Gespräch kommt, dann ist es das Auto, genauer gesagt: das Taxi. Hunderttausende Menschen fahren jeden Tag Taxi, weil es in der 15-Millionen-Stadt nur zwei U-Bahn-Linien gibt. Die Taxis sind gelb, grün, weiß oder schwarz, seit drei Jahren gibt es sogar eigene Frauentaxis mit einer Fahrerin am Steuer. Im Taxi entstehen zufällige Begegnungen, unverbindlich, ungefährlich, spontan. Und gerade deshalb so ehrlich und aussagekräftig. Hier reden die Menschen viel darüber, wie es ihnen geht, was sie denken, was sie sich wünschen. Eine Geschichte über iranische Autos ist immer auch eine Geschichte über die Iraner selbst. Über Menschen wie Reza.

"Das Leben in den USA oder Europa ist sicher auch nicht einfach, aber dort gibt es soziale Sicherheit, das sieht man ja im Fernsehen. Ich rede jetzt nicht von unserer Außenpolitik, sondern von meinem Lebensunterhalt. Sollen sie ruhig Steuern nehmen, wenn sie mir dafür bessere Kredite geben, damit ich auch ein Haus, ein schönes Auto und ein wenig Luxus haben kann. Ich arbeite 15 Stunden am Tag, damit ich die Miete zahlen kann auch. Ich möchte, dass meine Regierung mir ein Auto auf Kredit gibt mit niedrigen Zinsen. Das wäre für beide Seiten von Vorteil."

Reza ist vorsichtig. Hoffentlich bringt mich das, was ich sage, nicht in Schwierigkeiten, meint er. Andere Fahrer reden offener, so wie Mahmud: Er ist Mitte 50 – und, wie sich schnell herausstellt, ein Freund der Regierung. Seine Frage an den Besuch aus dem Westen klingt so:

"Warum machen Sie nur so ein Theater um unser Atomprogramm? Es ist doch wirklich klar, dass es nicht um militärische Zwecke geht, sondern um eine zivile Nutzung. Also: Warum macht ihr darum so ein Theater?"

Es hilft nicht, dem aufgebrachten Fahrer als Antwort einen ausgewogenen Bericht über sein Land zu versprechen: Mahmud hat sich warmgeredet, und eines ist sicher: Die iranische Regierung wäre stolz auf ihn, vertritt er doch genau die Haltung von Präsident Ahmadinedschad.

"Wenn die Großmächte uns in Ruhe lassen, dann kommen wir auch gut voran. Haben Sie das Buch "Politische Spiele" gelesen? Da steht drin, wie die großen Kartelle und die Großmächte mit der dritten Welt spielen. Für uns hier mag das Leben nicht immer einfach sein, aber wir haben uns für diesen Weg entschieden und sind zufrieden damit. Es ist doch immer noch besser, als wenn ein anderer Dir vorschreibt, wie Du zu leben hast."

Autofahrergeschichten aus dem Iran. Die Fahrt dauert eine halbe Stunde, dafür will Mahmud 6.000 Tuman - das sind gut vier Euro. Nein, kein Foto bitte, sagt er zum Abschied. Dann rollt sein Peykan langsam los und verschwindet im Verkehr.

Unterwegs in Teheran. Zum Alltag hier gehört der Stau, da bleibt viel Zeit, die Autos auf den Straßen zu beobachten. Neben den alten Peykann sind viele Peugeots, Renaults und Toyotas zu sehen, außerdem häufig der KIA Pride. Seltenheitswert haben dagegen die teuren Autos, zum Beispiel BMW oder Mercedes. Kein Wunder: Der Iran erhebt Importzölle von 100 Prozent. Darum dominieren im Straßenbild die einheimischen Modelle. Die meisten stammen von "IranKhodro". Jahrzehntelang hat das Unternehmen den Peykan gebaut und nennt sich heute stolz "größter Autobauer des Mittleren Ostens."

IranKhodro ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in Teheran. 550.000 Fahrzeuge rollen jedes Jahr vom Band, schon bald sollen es mehr als 800.000 sein. Neben eigenen Modellen wie dem Samand baut der Konzern in Lizenz auch ein paar ältere Modelle von Peugeot, wie den 206 und den 405. Der Besuch bei IranKhodro beginnt im Büro von Abdollah Babaei, dem Kommunikationsdirektor. Er gibt sich betont selbstbewusst.

"Unser neuestes Modell, den ‚Dena’, haben wir ohne Hilfe aus dem Ausland entwickelt. Das ist ein rein iranisches Produkt. Sehen Sie, das ist auch eine Folge der Sanktionen gegen unser Land: Je mehr man versucht, uns das Leben schwer zu machen, desto unabhängiger werden wir, desto mehr stehen wir auf eigenen Füßen."

Man könnte auch sagen: Desto isolierter steht das Unternehmen da. Jahrzehntelang hat IranKhodro mit Daimler zusammengearbeitet, bis Konzern-Chef Zetsche die Kooperation im vergangenen Jahr aufkündigte. Abdollah Babaei spielt das herunter:

"Also mein Motto, mein Leitspruch ist der: Nicht wir stehen unter Sanktionen, sondern die, die uns ihre Produkte nicht mehr verkaufen dürfen. Wissen Sie, wenn wir ein Teil nicht mehr von dort bekommen, dann bekommen wir es eben anderswo."

Nachprüfen lassen sich diese Aussagen kaum. Doch so selbstbewusst sich Herr Babaei auch geben mag: Zwischen den Zeilen ist ein wenig Wehmut herauszuhören. Wenn Sie nicht hier sind, dann kommen die Chinesen sagt er, und das wäre doch schade.

Der Lärm in Presswerk drei ist ohrenbetäubend. Hier werden aus viereckigen Blechplatten Kotflügel, Motorhauben und Vordertüren, und zwar vor allem für das iranische Modell Samand. Die Metallpressen bringen das Blech in Form, dazwischen arbeiten orangefarbene Roboter: Sie nehmen die Bleche aus einer Presse und legen sie in die nächste.

In der Montagehalle durchläuft ein schneeweißer Peugeot seinen letzten Test. Viele der Autos hier gehen ins Ausland, denn IranKhodro exportiert nach eigenen Angaben in mehr als 30 Länder, zum Beispiel nach Syrien. Nach der Führung durch die Fabrik ist klar, welcher Eindruck hier erweckt werden sollte: Das Land kommt gut zurecht, trotz aller Sanktionen. Stimmt das? Durchaus, sagt ein iranischer Branchenkenner – er spricht deutsch, will aber anonym bleiben:

"Die Sanktionen haben in keinem Fall dazu geführt, dass Sie irgendwas nicht bekommen. Es geht nur darum, zu welchem Preis. Je stärker die Sanktionen werden, desto mehr Zwischenleute kommen auf. Die Ware wird eingekauft und erstmal woandershin verschickt, dann umgepackt, und irgendwann tauchen die Teile hier auf. Es geht nur darum, dass es etwas länger dauert und teurer wird."

Ein Auto aus der heimischen Produktion ist für umgerechnet 7.000 bis 14.000 Euro zu haben. Das können sich viele Menschen gerade so leisten, wenn sie denn die Kredite bekommen. Für den wohlhabenden Autofreund gibt es einen kleinen Importmarkt, auf dem auch ein deutscher Klassiker vertreten ist, und zwar Porsche. Anders als Daimler hat der Konzern offensichtlich kein Problem mit dem Iran. Die Filiale liegt ganz in der Nähe von "IranKhodro" und sieht genauso aus wie in Deutschland: runde Architektur, roter Porsche-Schriftzug.

Die Stimmung in dem eleganten Showroom ist ein wenig surreal. Der Gegensatz zu der grollenden, achtspurigen Ausfallstraße vor der Tür könnte größer nicht sein. Alles ist blitzbank gewienert, und da stehen sie, die deutschen Sportwagen: Ein anthrazitfarbener Boxster, ein gelber Cayman S, ein schwarzer 911. Dazu sphärische Musik. Porsche hat im Iran, so ist zu hören, seit 2009 eine Filiale und seither 500 Stück verkauft. Die Besitzer zeigen sich gern in ihren Autos, erzählt der Branchenkenner:

"Es gibt Straßen in Teheran, wo man einfach hinfährt, um gesehen zu werden, zum Beispiel die Jordan-Straße, oder in Sharakhe Rab: Da bleibt die Anzahl der Autos konstant, weil die alle um den Block fahren. Viele Bekanntschaften werden da geschlossen, auch als Ersatz für fehlende Discos." Also das klassische Cruisen? "Ja." Sind die Iraner eine Autofahrernation? "Oh ja, sehr. Ein persönliches Fahrzeug ist eins der Ziele, das jeder Iraner hat. Eigenes Haus, eigenes Auto, und man hat alles getan, was man tun sollte." Was fahren Sie selbst? "Porsche, und meine Frau fährt einen Mercedes."

Zurück im Taxi, unterwegs in Teheran. Diesmal heißt der Fahrer Arash, er ist ein junger Mann und spricht offen über seine persönliche Situation – und über die politische Lage. Ja, reden wir über die Wahlen und die Proteste von 2009, meint er, okay. Arash berichtet, dass er damals, bei einer der Demos, verhaftet wurde. Ich war nur in einer Behördensache unterwegs, sagt er, aber als ich auf die Straße kam, da stürmte plötzlich die Polizei heran und nahm uns fest. Arash kam wieder frei, er konnte nachweisen, dass er auf der Behörde war. Auf Demonstrationen geht er trotzdem nicht:

"Die Menschen hier sind sehr damit beschäftigt, für ihr Auskommen zu sorgen. Sie haben Angst, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Denn wer sorgt für ihre Familie, wenn sie im Gefängnis sitzen? Ich habe damals nach der Wahl auch viele SMS bekommen, also dass ich an dieser oder jener Kundgebung teilnehmen soll, und ich habe gesagt: Ich kann nicht, wirklich. Denn wenn ich jetzt verhaftet werde und mir was zustößt: Wer sorgt dann für meinen Lebensunterhalt?"

So wie Arash geht es vielen. Zwei Jahre sind die Massenproteste der grünen Bewegung nun her – wir sind die Urheber des Umbruchs in der arabischen Welt, sagen die jungen Leute. Die Regierung aber deutet das Geschehen ganz anders: Nach offizieller Lesart erlebt die arabische Welt endlich die islamische Revolution, die der Iran schon 1979 hinter sich gebracht hat.

"Ja natürlich spreche ich bei Facebook über die Lage. Ich lese Artikel und mache mir ein Bild von der Meinung der anderen. Ich wünsche mir eine sichere Arbeit und Freiheit – ich meine nicht Zügellosigkeit, sondern geistige Freiheit, religiöse Freiheit, Meinungsfreiheit. Ein Leben ohne Zwang und Gewalt. Ein ganz normales Leben eben."

Taxifahren in Teheran, im Frühsommer 2011. Es gibt den offiziellen Iran – den der Politiker und Geschäftsleute. Und es gibt den inoffiziellen Iran – den der Taxifahrer und ihrer Kunden. Hier ist viel zu erfahren, nicht nur über Autos, sondern über das Leben der Menschen, über ihre Wünsche und Hoffnungen. Und auch über ganz alltägliche Dinge wie das Rezept eines iranischen Nationalgerichts. Hassan heißt der Taxifahrer, der es sich nicht nehmen lässt, dem Besucher aus dem Westen genau zu erläutern, was man alles für Ghormeh Sabzi braucht: Auch das eine Autofahrergeschichte aus der Islamischen Republik Iran:

"Ich bin Hassan, und wollte dem Herrn erklären, wie man Ghormeh Sabzi zubereitet. Also, dazu brauchen Sie Lauch, Petersilie, Bockshornklee und Spinat, außerdem rote Bohnen und Lammfleisch. Sie dünsten das Gemüse, braten das Fleisch in Öl an und mischen dann alles, danach kommen getrocknete Limetten dazu, Wasser, Salz, Pfeffer, Kurkuma und dann lassen Sie es auf kleiner Flamme köcheln. Meine Schwiegermutter hat das mal einem Deutschen vorgesetzt, mit ordentlich Reis dazu. Und er sagte, das was ihr da esst, das ist nicht gut, das macht euch nur dick. Und dann hat er tatsächlich sein Brot rausgeholt - und sich vor unseren Augen ein Butterbrot geschmiert."
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