"Die intelligentesten jungen Kubaner denken daran, Kuba zu verlassen"

Leonardo Padura im Gespräch mit Ulrike Timm · 13.05.2011
In seinem historischen Roman "Der Mann, der Hunde liebte" spricht Padura viele heikle Punkte an, unter anderem auch solche, die das Scheitern sozialistischer Utopien betreffen. Trotzdem konnte der Roman auch auf Kuba veröffentlicht werden.
Ulrike Timm: Buenos dias, Señor!

Leonardo Padura: Benuos dias, gracias!

Timm: Sie schreiben in Ihrem neuen Roman über den russischen Revolutionär Leo Trotzki, den Stalin ins mexikanische Exil trieb und der dort von Ramón Mercader ermordet wird, mit dem berühmt-berüchtigten Eispickel, Sie erzählen aber auch ganz viel von Utopien und deren Scheitern, Leonardo Padura. Das ist ein Riesenunternehmen, dieses Buch, warum hat Sie Trotzki so sehr interessiert, warum sollte er in Ihrem Buch noch einmal sterben?

Padura: Vor allen Dingen war es die Unkenntnis. Meine Generation auf Kuba hat eine Zeit erlebt, in der der Name Trotzki und die Person Trotzkis überhaupt nicht existierte auf Kuba. Das war dieselbe Politik, die in der Sowjetunion verfolgt wurde seit der Zeit Stalins, und meine Neugier wurde geweckt, weil ich wissen wollte, was war nun jetzt diese Person, warum war er so böse vor der Revolution? Und da eben nicht über ihn gesprochen wurde, hatte ich Lust, darüber Informationen zu sammeln und darüber zu schreiben. Deswegen habe ich, als ich zum ersten Mal in Mexiko war, einen Freund gebeten, mich zu dem Haus zu fahren, in dem Trotzki gewohnt hatte und ermordet worden war. Als ich das Haus gesehen habe, das wie ein Kloster, wie eine Festung aussah, wie ein Gefängnis aussah, da wurde mir klar, dass es etwas ganz Besonderes war. Das war der Ort, an den Stalins Arm reichte, bis dahin, dass er ihn töten ließ. Und da war ich sehr ergriffen, und meine Neugier wurde natürlich nur umso größer.

Timm: Das Buch wird auch gelesen als ein Beschreiben von sozialistisch-kommunistischen Utopien und als ein Beschreiben von deren Scheitern, das man natürlich vielfach erlebt hat in den Jahrzehnten der Geschichte, und viele auch Ihrer Freunde waren ganz erstaunt, dass Sie dieses Buch veröffentlichen durften. Sie auch? Sehr erleichtert?

Padura: Ja, das ging mir genauso. Ich habe schon beim Schreiben gedacht, dass das sehr schwer sein würde, das Buch in Kuba veröffentlichen zu lassen. Das Buch handelt von Dingen, die sehr heikel sind und bis heute auch noch sehr schwierige Themen sind in der offiziellen kubanischen Politik. Ich glaube, die Veröffentlichung jetzt im Frühjahr zeigt, wie sehr schon die Veränderung fortgeschritten ist in Kuba, dass also die Veröffentlichung von kritischen Büchern bereits möglich ist, die so wichtig sind. Ich meine damit nicht nur das Scheitern der Ideen im Allgemeinen, sondern auch davon, wie auf Kuba diese Utopie gelebt wurde, und die Konsequenzen, die das auf das Leben vieler Leute hatte, insbesondere auf die Leute meiner Generation.

Timm: Señor Padura, Sie sind berühmt dafür, dass Sie in Kuba leben, von Kuba schreiben, vom alltäglichen Leben in Kuba, auch von den unangenehmen Seiten, trotzdem sind Sie ja dort immer geblieben, auch gerne, aus Überzeugung – haben Sie mit diesem Buch noch mal Ihren Blick auf den großen sozialistischen Traum korrigiert oder korrigieren müssen, in Teilen?

Padura: Ohne Zweifel. Nicht so sehr beim Schreiben des Buches, sondern bei der Recherche, die dem Schreiben des Buchs voranging. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, eine tiefgehende Recherche zu machen, und dieses Sammeln der Informationen hat bei mir bewirkt, dass viele Informationen, die ich bisher hatte, vor allen Dingen der Blick auf die Rolle der Militärberater im Spanischen Bürgerkrieg, natürlich auch die Geschichte der Schauprozesse in Moskau und vor allen Dingen auch der Blick darauf, wie die Individuen diese Schreckensherrschaft erlebt haben. Die Geschichte entwickelt sich sogar dann auch in dem Bezug auf die Gegenwart Kubas, und zwar durch die Darstellung der Angst der kubanischen Figur Iván, die Angst, die er eben empfunden hat im Laufe des Lebens.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem kubanischen Schriftsteller Leonardo Padura, dem berühmtesten Schriftsteller in Kuba. Und Herr Padura, das typische Bild von Kuba im Ausland sieht immer noch so aus: verfallene Häuser, rostige Oldtimer, ein alter Mann mit Zigarre. Was lösen denn solche Bilder in Ihnen aus?

Padura: Ich glaube, wie alle Klischees sind auch das Klischees, die zum Teil der Wirklichkeit entsprechen und andere eben nicht so. Ich Havanna gibt es wunderschöne Wohnhäuser, die sich vergleichen können oder sogar noch schöner sind als die an anderen Orten der Welt.

Timm: Aber sie sind rar.

Padura: Nein, nein, im Gegenteil, Havanna war in den 50er-Jahren eine luxuriöse Stadt.

Timm: Einigen wir uns darauf, dass das heutige Kuba es noch sehr schwer hat. Leonarda Padura, für die einen war der Rücktritt von Fidel Castro der Beginn einer neuen Epoche, die anderen sagten, na ja, Wandel, ob das schon Wandel ist, sie wüssten es nicht so genau. Was sagen Sie, wie schätzen Sie die derzeitige Situation in Kuba ein? Ist das ein Wandel oder tut das nur so?

Padura: Also, ich glaube ja, es ändert sich sehr viel in Kuba. Die ökonomische Situation des Landes hat sich so sehr verschlechtert, dass es kaum möglich war, so weiter zu machen – denn wir kamen dem Punkt immer näher, dass tatsächlich alle Häuser zusammenfallen würden. Diese Veränderungen haben natürlich auch etwas zu tun mit den ökonomischen Strukturen, die Veränderungen in der kubanischen Gesellschaft hervorrufen und noch hervorrufen werden, und das wird dann auch notwendigerweise eine Veränderung in der Denkungsweise der kubanischen politischen Führung zur Folge haben.

Timm: Wäre es denn möglicherweise auch an der Zeit, sich von den kommunistischen Utopien ganz zu verabschieden, oder sollte man sie zumindest noch für sich innerlich weiterträumen?

Padura: Also das ist eine Frage, die man den Politikern stellen müsste. Ich bin ein kubanischer Bürger, der Bücher schreibt.

Timm: Aber ich dachte, das diskutiert man auf der kubanischen Straße.

Padura: Die Leute sprechen hauptsächlich über ihre tägliche Situation. Das Hauptproblem Kubas und vor allen Dingen der Leute, die auf Kuba leben, ist die Frage, wie kann ich meinen Lebensunterhalt sichern und wie kann ich mein Leben führen. Seltsamerweise wird sehr viel weniger über Politik gesprochen, als man annehmen könnte. Die Leute suchen nach Alternativen, um besser leben zu können, nachdem sie etwa 20 Jahre eine fürchterliche Krise erlebt haben, in der wir alle möglichen Erscheinungen von Mangel erlebt haben. Heutzutage, in dieser Zeit, in der heutigen Zeit also, sind die Leute auf der Suche danach, wie sie ihr Leben verbessern können. Es ist immer gefährlich zu generalisieren.

Timm: Dann machen wir es konkret: Wenn Sie heute in den Straßen von Havanna einen jungen Menschen treffen, einen sagen wir 16-jährigen Teenager, der seinen Weg sucht in diesem Land, worin unterscheidet der sich von Ihrer Generation?

Padura: Dieser 16-Jährige wird ganz bestimmt sich überlegen und daran denken, wie er sich einen iPod kaufen kann – obwohl er noch nicht mal ein normales Mobiltelefon hat, denkt er schon daran, sich einen iPod zu kaufen. Die Situation ist eben sehr unterschiedlich zu der Situation, die wir erlebt haben, meine Generation. Da trachteten wir danach, zwei Hosen zu haben – eine, um zur Schule zu gehen und die andere, um sie in unserer Freizeit anzuziehen. Das Bedauerlichste an dieser Situation, dass die am besten ausgebildeten, die intelligentesten jungen Kubaner zu einem beträchtlichen Prozentsatz – ich sage jetzt beträchtlich, um nicht wieder zu verallgemeinern –, diese Leute denken daran, Kuba zu verlassen. Die denken an individuelle Lösungen ihrer Probleme, und sie haben ganz und gar keinen politischen Ideen-Hintergrund.

Timm: Sie sagen immer so gerne, Sie haben keine Kristallkugel, um zu sehen, was aus Kuba werden wird, aber spinnen wir mal. Sie sind ja Schriftsteller, schauen wir mal in Gedanken in die nächsten fünf Jahre: Was überwiegt – Hoffnung oder Skepsis?

Padura: Ich habe einen Traum beziehungsweise einen ganz wichtigen Wunsch: dass jeder Kubaner von dem Lohn seiner Arbeit leben kann. Heutzutage verdient zum Beispiel kein Arzt so viel, dass er davon in Würde leben kann. Das wäre mein wichtigster Traum für die nahe Zukunft Kubas.

Timm: Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura, gestern traf ich ihn in einem Hotel in Berlin. Das Gespräch übersetzte Hans-Joachim Hartstein, und er übersetzte auch den neuesten Roman von Leonardo Padura, "Der Mann, der Hunde liebte", erschienen im Unionsverlag.
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