Die Indieszene der SM-Literatur

Viel Kreativität und wenig Hemmung

Junge Frau mit Augenbinde und Fesseln.
Fesselspiel: "...das, was man selber mag, will man auch selber machen..." © imago/McPHOTO
Von Jürgen Stratmann · 15.10.2015
"Fifty Shades of Grey" sei Dank - der Sadomaso-Roman hat im Indie-Autoren-Milieu ein eigenes Genre begründet, wo ebenfalls ordentlich gefesselt und gepeitscht wird. Es wird aufgerufen, der Phantasie freien Lauf zu lassen. Warum nicht mit Vierkantholz und Kettensäge?
Wie in der Publisher-Szene zieht in der Selfpublisher-Szene der Erfolg die Epigonen an, ja wie Motten das Licht – oder: wie ein Baumarkt SM-affine Großstadtpärchen?
Jedenfalls: die Lack/Leder-Fessel-Romance "Fifty Shades of Grey", E.L. James Mommy Porn, bis heute mehr als 100 Millionen-fach verkauft, hat im Indie-Autoren-Milieu ein eigenes Genre begründet: So finden sich auf der Amazon-Self-Publisher-Top-1ooo Liste Nachfolge-Titel wie: "Auf der Suche nach Mr. Grey – Autsch ist ein schlechtes Save-word", "In 50 Tagen zur Mrs Grey" oder "Zur Hölle mit all den Greys!".
Dabei ist die Romantische Komödie "Auf der Suche nach Mr. Grey – Autsch ist ein schlechtes Save-word" der in Deutschland erfolgreichen E-Book-Autorin Emily Bold eine Weiterentwicklung der Story aus der Leser-Perspektive. Der Plot: die junge, wilde Anna ist Single – und glühender Fan erotischer Romane, die sich irgendwann auch gern mal gepflegt bepeitscheln lassen möchte. Doch schon bald muss sie feststellen, dass sich die Kandidatensuche weit schwieriger gestaltet als gedacht, denn dominante Milliardäre sind rar.
Aber ist das Epigonal? Emily Bold als Trittbrettfahrerin zu bezeichnen, wäre ungerecht: beweisen sich Autorinnen solcher Werke doch als Amateure im besten Sinne. Amateur von lateinisch: Amator – Liebhaber – hier werden Leidenschaften ausgelebt: das, was man selber mag, will man auch selber machen, so sagt Emily Bold über sich:
"Schreiben ist für mich Entspannung, Passion und Leidenschaft. Mit meinen eigenen Worten neue Welten und Charaktere zu erschaffen ist einfach nur wundervoll."
Was dabei heraus kommen kann, wenn Amateure über geliebte Gegenstände schreiben, verdeutlichen auch Sätze wie:
"Seine schlichte, unbearbeitete Oberfläche ist attraktiv. Seine raue, rustikale strahlt einen herrlichen nostalgischen Charme aus. Aber auch die glatte, feine Oberfläche begeistert durch ihren edlen und schlichten Charakter!"
Ist das nicht reinste Poesie? Stammt übrigens aus dem Vorwort des Handbuchs "Gartendeko aus Beton – Basteln mit Beton!".
Auch hier empfiehlt die Autorin: "Lassen sie ihrer Phantasie freien Lauf und werden Sie kreativ…"
Kreativität ungehemmt ausleben
Genau! Offenbar kann sich im völlig unkontrollierten Selfpublisher- Milieu auch abseitige Kreativität ungehemmt ausleben – und das Potenzial ist beachtlich, gerade im Bereich "Handwerker-Breviere", denn Kunden, die "Gartendeko aus Beton" gekauft haben, interessieren sich auch für:
"Kerzenleuchter mit der Kettensäge schnitzen…"
Und…

"Holzpfosten dekorativ verziert: Fröhliche Willkommensgrüße aus Vierkanthölzern!"
Apropos: "Kettensägenschnitzerei" und "Willkommensgrüße aus Vierkanthölzern": Gerade der Bereich Mord und Totschlag "Krimi/Horror/ Phantasie", wo besonders drastische Darstellungen und eine effektvolle Sprache gefragt sind, bietet im Hobby-Schreiber-Milieu oft Unglaubliches, Anarchisches, Unkonventionelles , was in der Verleger-Szene vom professionellen Lektorat sofort glattgebügelt würde:
Stellvertretend muss an dieser Stelle etwa den Krimi-Autor Paul Rheinfels genannt werden, der nicht nur ein Meister des gereimten Krimi-Titels ist, wie etwa:
"Sein Todesstoß ist gnadenlos!", "Menschenblut steigert seine blanke Wut"
Oder…
"Schnipp – Schnapp – Finger ab"
…sondern auch ein Avantgardist in Sachen "Emotionale-Satzzeichen-Exzesse"- als Erfinder des Doppel-Doppelpunkts in der Überschrift betrat er sprachästhetisch Neuland mit dem Titel:
"Gejagt, verletzt, zu Tode gehetzt: Grausame Mordrituale im Wald: Die fieberhafte Jagd nach einem bestialischen Killer!"
Wobei man allerdings auch in dieser sehr freien Szene die Tradition immer noch achtet. Wenn etwa der Autor der Creative Writing-Fibel:
"So schreiben sie mühelos ein tolles dickes Buch!"
...erklärt:
"Georges Simenon schrieb rund 400 Romane in nur vier Jahrzehnten. Aber die meisten Schriftsteller schreiben ein bis drei Titel pro Jahr und gelten trotzdem als produktiv. Dies zu ihrer Beruhigung!"
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