Die Herrschaft des Geldes

Von Kilian Pfeffer · 03.02.2010
Ein Großteil der staatlichen und privaten Universitäten der Türkei befindet sich im Großraum Istanbul, wo mehrere hundertausend Studierende leben. In den vergangenen Jahren hat es vor allem hier und in der Hauptstadt Ankara geradezu einen Boom von privaten Hochschulen gegeben. Allein in Istanbul wurden gleich Dutzende auf einmal eröffnet. Sie funktionieren meist nach dem amerikanischen System. Das heißt, die Studiengebühren sind hoch, dafür wird aber auch außerhalb der Universität viel angeboten. Gut für die Lehre ist das nicht unbedingt.
Eigentlich ist der 23-jährige Deutsche Maximilian Pop sehr zufrieden mit seiner Studiensituation. Seit zweieinhalb Jahren wohnt er in Istanbul und studiert an der privaten Bilgi Universität Internationale Beziehungen. Die Ausrichtung der Uni ist liberal, findet Max, die Ausstattung herausragend, die Angebote vielfältig. Das einzige Problem: Viele seiner Kommilitonen sind einfach zu reich.

"Das macht es manchmal ein bisschen anstrengend, weil ich den Eindruck habe, dass viele Türken, die an diese Uni kommen, aus der Oberschicht, die Eltern Industrielle sind, nicht wirklich zu schätzen wissen, was die Uni ihnen eigentlich bietet, und es ihnen eher um den Abschluss geht und sagen zu können 'ich war an der Bilgi Uni'. Und deswegen bleibt der Unterricht häufig hinter dem zurück, was eigentlich möglich wäre."

Bezeichnend für die Haltung der reichen Studenten sind Szenen wie diese hier. Ein junger Mann Anfang 20 kommt morgens mit seinem Porsche zur Bilgi Universität und hält vor dem Hauptgebäude. Das Auto wird von Uniangestellten übernommen und geparkt. Dieses sogenannte Valet Parking kennt man von Hotels oder Flughäfen, von Universitäten eigentlich weniger.

Die Privatunis in der Türkei fördern diese Herrschaft des Geldes, meint der deutsche Politikwissenschaftler und Jurist Arndt Künnecke. Er lehrt an der unbekannteren privaten Okan Universität, sie liegt am Rande von Istanbul auf der asiatischen Seite. Unterrichtet wird hier seit 2003. Künnecke teilt Maximilians Einschätzung, dass sich der Reichtum der Studenten ungünstig auf ihre Motivation auswirkt – und noch mehr:

"Auch was vom Lehrkörper erwartet wird, sind neben der Lehrtätigkeit noch andere Dinge. Es wird auch erwartet, dass man sich in gewisser Hinsicht mit der Universität identifiziert und auch bei diesen sogenannten Tanytymveranstaltungen präsent ist, das heißt Werbeveranstaltungen für die Universität, um neue Studenten an Land zu ziehen, was in Deutschland gar nicht zum Programm zählt."

Aber schließlich muss der Nachwuchs überzeugt werden, das Studium an der Okan Universität aufzunehmen und dafür rund 10.000 Euro jährliche Studiengebühren zu zahlen. Deswegen wird auch außerhalb der Uni eine Menge angeboten: Essen, Trinken, Fitnessstudio, Übernachtung - ein komplettes Spaßprogramm, wie Künnecke süffisant formuliert.

Der Hintergrund für den Boom: Viele Türken wollen studieren, erreichen aber bei den Aufnahmeprüfungen nicht die nötige Punktzahl, um an eine gute staatliche Uni zu gehen. An den privaten Unis können sie sich aber trotzdem einschreiben, wenn sie das nötige Geld haben. Allein in Istanbul wurden in den vergangenen Jahren knapp 50 Privatunis gegründet, und auch der Rest der Türkei erlebt einen Boom. Eine Entwicklung, die einige Probleme mit sich bringt, erklärt die Soziologin Helga Rittersberger Tilic von der staatlichen Middle East Universität in Ankara:

"Dass ein Großteil des Lehrpersonals von staatlichen Universitäten an die privaten Universitäten übergeht, weil die Bezahlung weitaus besser ist, das ist natürlich ein Verlust. Also ich kenne einige Kollegen aus anderen Departements, aber auch aus unseren Departements, die gewechselt sind, weil sie einfach besser bezahlt werden.""

Tatsächlich zahlen die Privatunis drei- bis viermal so viel wie die staatlichen, bestätigt Arndt Künnecke.

Die wenigen berühmten Privatunis wie Sabanci oder Koc in Istanbul oder Bilkent in Ankara haben übrigens einen großen Vorteil. Sie sind international vergleichbar, denn hier wird auf Englisch gelehrt. Bei staatlichen Unis ist das dagegen nicht immer der Fall. Doch für sie fallen eben auch keine hohen Studiengebühren an.

Die privaten Universitäten sind meistens als Stiftungsuniversitäten organisiert, das heißt, eigentlich dürfen sie für den Stiftungsgründer keinen Gewinn abwerfen. Aber, so Künnecke:

"Die Türken sind erfinderisch. In der Praxis läuft es so, dass natürlich, wenn eine neue Uni gebaut wird, der Gönner in der Regel auch einen großen Baubetrieb mit in seinem Unternehmensportfolio hat, und dann können Sie sich denken, an wen die Aufträge gehen."

Davon abgesehen wollen offenbar viele reiche Unternehmer zeigen, dass sie auch im elitären Bildungssektor aktiv sind und so ihr Ansehen mehren.

Mit den privaten Unis wurde in der Türkei in den vergangenen Jahren unter anderem vorgeführt, wie gut Kommerz und Bildung miteinander klarkommen können. Doch der Boom wird nicht ewig anhalten, glaubt Helga Rittersberger Tilic. Ihrer Einschätzung nach werden letztendlich nur eine Handvoll Privatunis überleben. Und zwar nur die, die geschafft haben, sich einen sehr guten Ruf aufzubauen.