Die heilenden Hände eines Magnetiseurs

07.01.2010
Dieser Roman spielt Ende des 18. Jahrhunderts und hat eine konkrete historische Vorlage: eine zentrale Episode aus dem Leben des charismatischen und umstrittenen Arztes Franz Anton Mesmer.
Im Jahr 1777 behandelte er die im Alter von drei Jahren erblindete Maria Theresia Paradis, ein musikalisches Wunderkind. Es gelang ihm historischen Quellen zufolge tatsächlich, der Pianistin wieder zum Sehen zu verhelfen – allerdings um den Preis, dass sie nicht mehr so gut Klavier spielen konnte. Ihr Vater fürchtete um ihre Karriere und nahm seine Tochter wieder zu sich. Zudem fühlten sich die beherrschenden Medizinprofessoren bei Hofe von Mesmer bedroht, und als Maria einen Rückfall erlitt, galt Mesmers Behandlung offiziell als erfolglos.

Alissa Walser konzentriert sich in ihrem Roman auf diesen Fall und lässt alle theoretischen Überlegungen zum "Mesmerismus" beiseite – der Lehre vom "animalischen Magnetismus", die im Laufe des 19. Jahrhunderts viele esoterische Auswüchse bekam. Sie lässt die erblindete Maria unter den magnetisch wirkenden Händen des Arztes gesunden und sieht Mesmer als Vorfahre moderner psychotherapeutischer Methoden – er heilt durch Musik, durch seine Stimme, durch sein Sprechen.

Mesmer selbst legte immer großen Wert darauf, als Wissenschaftler ernst genommen zu werden, er bezog sich auf die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, vor allem auf die Entdeckungen Newtons. Alissa Walser legt nahe, dass er vielleicht durch Methoden Erfolge hatte, die für ihn nur nachgeordnete Bedeutung hatten: nämlich das Eingehen auf die Psyche der Patienten.

Ihr Roman macht aus Mesmer aber darüber hinaus den exemplarischen Fall eines verkannten Genies, das seiner Zeit voraus war. Sie schildert die Intrigen am Wiener Hof, den Rufmord, der von den herrschenden Akademikern ausgeht, die Maria vorher erfolglos behandelt hatten, und diese Behandlungen werden in ihrem Schrecken sehr plastisch beschrieben. Der Einzelkämpfer, der gegen die herrschenden Denkmoden und Zeitgeistprediger angeht – das hat etwas Symbolisches, Zeitloses. Sie stellt Mesmer den kleingeistigen Medizinern am Hofe genauso entgegen wie ihre Figur Mozart, der beiläufig auftaucht, dem mächtigen Hofkomponisten Salieri.

Und sie versucht, das Moderne Mesmers durch eine moderne Sprache zu vermitteln: knappe, präzise Beobachtungen, der Blick aufs Detail, viel indirekte Rede, keine langen Ausschweifungen. Manchmal wirkt dieser Stil zu prätenziös, zu gewollt – so wie der Titel auch auffällig "Nacht" und "Musik", die berühmte Mozartsche Einheit, voneinander absetzt und das Abgründige hervorhebt. Aber als Post-Kehlmann-Etüde aus der frühen Wissenschaftschaftsgeschichte, als Anreiz für eine aktuelle Problematisierung von "Bildung" und "Wissen" ist der Roman durchaus gelungen.

Besprochen von Helmut Böttiger

Alissa Walser: Am Anfang war die Nacht Musik
Roman
Piper-Verlag, München
252 Seiten, 19,95 Euro