Die Handschrift zur Sprechblase

Von Dirk Schneider · 24.01.2008
Auch wenn es der Computer heutzutage erleichtert, einen Comic mit Schrift zu versehen - das sogenannte Lettering ist durchaus eine eigene Kunstform. Dirk Rehm ist einer der wenigen, die diese Kunst sogar noch per Handschrift beherrschen. Und mit seiner spitzen Nase, der Hornbrille und dem Dreitagebart macht er sich selbst als Comicfigur gut.
Berlin Schöneberg: Der große, ebenerdige Raum liegt in einem Hinterhof. Trotz der hohen Decken und der großen Fenster wirkt es eng. An den Wänden Regale, voll mit Comics. Überall auf dem Boden stapeln sich die Hefte und Bücher: der Reprodukt-Comicverlag.

Wer hier der Chef ist, wird dem Besucher nicht gleich klar: Dirk Rehm sitzt zwischen zwei Mitarbeitern an einem kleinen Schreibtisch in der Ecke. Der Platz im Büro ist allerdings in letzter Zeit auch etwas knapp geworden:

"Es war noch nicht immer so voll hier. Aber es ist natürlich schon voller geworden, dadurch dass wir mehr Bücher gemacht haben in den letzten Jahren. Aber das ist hier ein selbstverwaltetes Haus - also ein in den 80er Jahren besetztes Haus – gewesen. Und ich habe hier in den 90er Jahren gewohnt, und bin hier insofern dem Hausprojekt verbunden."

Dirk Rehm hat kurze Haare, einen Dreitagebart. Auf der spitzen Nase sitzt eine schwarze Hornbrille, er trägt einen schwarzen Pulli. Der 44-Jährige wirkt in sich ruhend, ruhig, fast unauffällig. Vor ihm auf dem braunen Holzfurniertisch steht ein aufgeklappter Laptop, auf dem Bildschirm schwarzweiße Comicbilder mit leeren Sprechblasen. Dirk Rehm arbeitet gerade am Lettering für einen Manga, ein japanisches Comic-Buch, im Auftrag eines großen deutschen Verlages:

"Über der Sprechblase ziehe ich jetzt einen Rahmen auf. Wenn ich das gemacht habe, muss ich im Word-Dokument den Text markieren, der da rein soll. Dann copy-paste ich die Schrift da rein. Und in dem Moment, wo die Schrift drin ist, muss ich noch einen Umbruch machen. Das heißt, die Schrift muss möglichst genau in die Blase passen."

Keine große Kunst. Findet auch Dirk Rehm, der das meiste Lettering digital besorgt. So ist das heute üblich, für die Verlage ist das billiger. Doch diese Arbeit ist es nicht, die Dirk Rehms Ruhm als Letterer begründet. Rehm ist einer der wenigen Menschen in Deutschland, die die Kunst beherrschen, Comics auch per Hand zu beschriften - und sich dabei, darauf kommt es an, dem Stil des Comiczeichners anzupassen:

"Ja, Comicschriften sind ja immer etwas sehr Individuelles und Originäres. Das hat ja mit dem Ausdruck zu tun, mit der ganzen künstlerischen Arbeit."

Für Dirk Rehm steht das Lettering völlig im Dienste des Zeichners. Bei Übersetzungen versucht er eine Nachahmung der Originalschrift. Keine leichte Aufgabe. Wie eigentlich alle Letterer ist Dirk Rehm Autodidakt. Seinen genauen wie leidenschaftlichen Blick für Comics hat er seit seiner Kindheit trainiert.

Aufgewachsen ist Dirk Rehm in Bad Schwartau bei Lübeck. Sein Vater war Vertreter für einen Kunstbuchverlag, seine Mutter Sekretärin - beide kunstinteressiert. Der junge Dirk war oft mit seinen Eltern im Museum und in Galerien. Und er hat Comics geliebt. Von ihnen ist er nicht mehr losgekommen:

"Also die ersten Comics waren, wie wahrscheinlich überall, Micky Maus und Asterix. Und dann hatte ich ein bisschen das Glück, dass die Inhalte der Comics ein bisschen mitgewachsen sind mit meiner Generation. Dass es dann später so etwas wie 'Schwermetall' gab, also Undergroundcomics. Oder Comics, wo Zeichner ihre Erfahrungen mit Drogen verarbeitet haben.

Und was dann später entscheidend für mich war, den Verlag zu gründen: so was wie 'Love And Rockets', wo dann die Punkkultur auch entscheidend wurde in den Comics. Das fand ich sehr spannend, als ich das entdeckt hatte für mich."

Übersetzung, Lettering und Herausgabe eines Bandes aus der amerikanischen 'Love And Rockets'-Reihe: Damit machte Dirk Rehm 1991 seinen Abschluss an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Gleichzeitig war es sein Start ins Verlagsgeschäft - das er lange Zeit mit seinen Lettering-Jobs mitfinanzieren musste. Rehm ist Idealist, der zunächst seine französischen und amerikanischen Lieblingscomics deutschen Lesern nahe bringen wollte.

Schon in den 90erjahren veröffentlichte er aber auch Werke von deutschen Comic-Künstlern wie Anke Feuchtenberger, Atak oder Martin tom Dieck - Zeichnern, die mit neuen Erzähl- und Darstellungsformen experimentierten. Mehr Kunst als Comic, gerichtet an eine erwachsene Leserschaft.

"Es geht darum, dass die Vision des Künstlers möglichst ungebrochen zu Papier kommt und eben als Buch erscheint. Das ist eben kein Eskapismus, keine Unterhaltungsware - oder nicht nur."

Viele der jüngeren Künstler, die Rehm heute verlegt, hätten vielleicht nie mit dem Comiczeichnen angefangen, hätten sie nicht die Bücher aus dem Reprodukt-Verlag gelesen:

"Wobei ich schön finde, dass jetzt eben Zeichner kommen und sagen: 'Ja, der Comic, den ihr damals gemacht habt, der war für mich ganz wichtig!' Also insofern ist das schon lustig zu sehen, dass das, was mir eigentlich im Moment so weit weg scheint, doch ganz nah ist, weil die jungen Zeichner oder die relativ jungen Zeichner das doch noch so mit sich tragen."

Bücher dieser jungen Künstler wie Mawil, Sascha Hommer oder Arne Bellstorf werden inzwischen als Lizenzübersetzung in alle Welt verkauft, bis nach Korea. Dirk Rehms Leidenschaft gilt einer Kultur, die hierzulande noch wenig Beachtung findet - während Comics in den USA, Frankreich oder Japan längst Teil der Hochkultur sind.

Vielleicht, hoffentlich, wird es der Kulturbetrieb Dirk Rehm eines Tages danken. Seine Autoren danken es ihm schon heute. Einige, indem sie ihn in ihren Werken auftreten lassen. Als Comicfigur macht sich Dirk Rehm gut, mit seiner spitzen Nase, der Hornbrille und dem Dreitagebart - vielleicht ist das ja kein Zufall.