Die gezielte Tötung als Illusion vom "sauberen" Krieg

Armin Krishnan im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.12.2012
Drohnen ermöglichen angeblich gezielte Tötungen. Doch dabei kommt es immer wieder zu sogenannten "Kollateralschäden", sagt der Buchautor Armin Krishnan. "Immer mehr verdächtige Todesfälle von unliebsamen Personen, auch in westlichen Demokratien", prognostiziert er für die Zukunft.
Joachim Scholl: Der jüngste tödliche Angriff auf den Militärchef der Hamas, die Tötung Osama bin Ladens, Drohnenattacken auf hochrangige Taliban in Afghanistan – gezielte Aktionen auf entscheidende Figuren des Gegners sind inzwischen gang und gäbe in der modernen Kriegsführung, sie bilden unbestreitbar die Zukunft des Krieges. Ein technikbasierter Präzisionskampf mit intelligenten Waffensystemen. Mit dieser Form der Kriegsführung setzt sich Armin Krishnan von der Universität Texas auseinander. Er ist Autor des Buches "Gezielte Tötung" und wir sind jetzt mit ihm in den USA verbunden. Guten Tag, Herr Krishnan!

Armin Krishnan: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Aus dem ersten Irakkrieg, Herr Krishnan, kennen wir noch die Bilder von den Explosionswolken ferngesteuerter Raketen, die in Bunkern oder Regierungsstellen einschlugen. Seit damals ist die Rede vom chirurgisch sauberen Präzisionskrieg in der Welt. Ist er nicht inzwischen längst Alltag?

Krishnan: Ich glaube nicht, dass das eine zutreffende Beschreibung ist. Es ist übertrieben, anzunehmen, dass Drohnenangriffe oder gezielte Luftangriffe chirurgisch wären. Normalerweise gibt es ein erhebliches Ausmaß an Kollateralschäden, also auch an zivilen Verlusten. Und selbst wenn es darum geht, bestimmte Personen zur Tötung auszuwählen, werden dabei ständig Fehler gemacht. Also, ich glaube nicht, dass chirurgisch die richtige Bezeichnung ist.

Scholl: Ja, das hat man gewählt und die Militärs schwärmen ja davon, dass sozusagen die Kollateralschäden ja dann eben so wenig sind – weniger Zivilisten, man hat nur ein Ziel, man hat nur ein Opfer. Und damals waren ja auch die Fernsehbilder beeindruckend, wenn dann sozusagen die Lenkwaffen genau in diesem einen Bunker einschlugen. Ist das nur Propaganda?

Krishnan: Zu einem gewissen Grad ja, aber es trifft natürlich zu, dass Waffensysteme sehr viel präziser geworden sind. Und es ist in der Tat möglich, eine bestimmte Person auf große Entfernung zu identifizieren und auch zu töten. Und da gibt es sicher einen Fortschritt, aber es bleibt natürlich die Frage: Werden die Richtigen getötet?

Scholl: Kommen wir zu den moralischen Implikationen vielleicht mal an späterer Stelle, Herr Krishnan, aber was gibt es denn bei diesen Präzisionswaffen an, ja, inzwischen neuesten Entwicklungen? Von den Drohnen hört man ja immer öfter in den Nachrichten.

Krishnan: Ja, die Drohnen sind ein sehr starker Trend, der sich über die letzten zehn Jahre sehr deutlich abgezeichnet hat. Was deutlich wird, ist, dass die Drohnen immer leistungsfähiger werden, sie werden auch immer kleiner, es gibt inzwischen Mikrodrohnen wie die Switchblade, das ist eine Drohne, die nur einen halben Meter groß ist und die über fünf Kilometer ferngesteuert werden kann und ein bestimmtes Ziel wie einen Infanteriesoldaten oder einen Scharfschützen über diese Distanz durch eine Sprengladung töten kann. Und dazu gibt es auch noch gerichtete Energiewaffen – die sind mehr in der Zukunft, aber es wird immer mehr deutlich, dass das Militär sehr starkes Interesse daran hat –, damit wäre es auch möglich, bestimmte Individuen gezielt anzugreifen.

Scholl: Was sind das für Waffen? Zukunftswaffen sagten Sie ...

Krishnan: Ja, gerichtete Energiewaffen, das sind Laser zum Beispiel, aber auch Mikrowellenwaffen oder akustische Waffen. Manchmal werden sie auch als nichttödliche oder nichtletale Waffen bezeichnet. Aber natürlich ist es auch möglich, tödliche Effekte dadurch zu erzeugen.

Scholl: Inwieweit verändern solche Präzisionswaffen den Krieg an sich, Herr Krishnan, der wird ja im konkreten Sinn individueller – man greift keine Stadt mehr an, sondern nur noch einzelne Personen –, ist das überhaupt noch Krieg?

Krishnan: Ja, das ist die Frage. Also was klar wird, ist, dass es den klassischen Staatenkrieg so im Stile des Zweiten Weltkrieges eigentlich nicht mehr gibt. Auch größere militärische Aktionen wie den Irakkrieg wird es wohl in Zukunft nicht mehr so geben. Was ist also das Ziel im Krieg der Zukunft? Es geht um die Überwachung und Kontrolle von Bevölkerung beziehungsweise die Ausschaltung von gefährlichen Elementen innerhalb von Bevölkerung, wie auch die Unterwanderung oder den Umsturz von unliebsamen Regierungen, Und da hilft natürlich gezielte Tötung unter Umständen sehr, sehr viel. Also was deutlich wird in den Kriegen der Zukunft, ist, dass sie geheimer werden. Also es ist möglich für Regierungen, sie in einer Weise zu führen, die abstreibbar ist.

Scholl: Also, man kann leugnen und sagen, wir waren es gar nicht?

Krishnan: Genau, das hat die CIA schon über Jahrzehnte gemacht, geheime Kriege geführt, das sieht man jetzt auch in Libyen letztes Jahr oder in Syrien oder im Iran, da finden auch gezielte Tötungen oder Attentate statt. Und die dienen dazu, um Regierungen instabil zu machen und letztlich zu stürzen. Also, es wurde zum Beispiel Gaddafi zu einer Zielperson gemacht von der NATO.

Scholl: Das heißt, wir werden in Zukunft vielleicht gar nicht mehr von Kriegen sprechen, sondern nur von permanenten Konflikten, die durch solche Angriffe eben gesteuert, verlängert oder auch beendet werden?

Krishnan: Na ja, das ist eher wie ein endloser Krieg geringer Intensität. Es ist möglich, Drohnen überall hinzuschicken auf der Welt, also es gibt Drohnen von interkontinentaler Reichweite. Zum Beispiel die USA müssen nicht mehr Truppen in ein Kriegstheater schicken, sondern kann einfach Drohnen in ein Kriegsgebiet schicken. Und diese Drohnen überwachen dann dieses Kriegsgebiet 24 Stunden am Tag. Und wenn sie dann ein Ziel finden, können sie jederzeit zuschlagen. Das ist so ungefähr die Zukunft, auf die wir zusteuern.

Scholl: Über die Zukunft des Krieges – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Politologen und Autor Armin Krishnan aus den USA. "Gezielte Tötung", so heißt Ihr Buch, Herr Krishnan, Sie haben da ja endlose Varianten – muss man leider schon sagen – dieser Art von Kriegführung beschrieben. Es bleibt im Grunde jedoch eine Hinrichtung, wie sie mit solchen Angriffen vollzogen wird. Jemand entscheidet, der oder der ist dran – wie moralisch ist denn diese Kriegsführung überhaupt noch?

Krishnan: Nun ja, jede Waffe kann zum Guten wie auch zum Bösen eingesetzt werden. Also theoretisch, wenn man nur die bösen Leute tötet, dann könnte es gerechtfertigt und gerechter sein. Was mir allerdings Sorge bereitet, ist die große Geheimhaltung in Bezug auf gezielte Tötungen. Also normalerweise werden diese gezielten Tötungsoperationen ja nicht bekannt gegeben. Also sie unterliegen strengster Geheimhaltung, es ist nicht bekannt, wer die Zielperson ist oder warum diese Zielperson als Zielperson ausgewählt wurde. Und es ist oft auch nicht bekannt, wie viele Kollateralschäden dabei entstehen. Und wenn Sie sich ansehen, was es für Möglichkeiten in der Zukunft gibt mit Mikrodrohnen oder gerichteten Energiewaffen oder sogar, wenn es um Nanotechnologie geht, dann wird es möglich, Leute umzubringen, ohne dass es als eine Kriegshandlung noch sichtbar ist. Und da eröffnen sich halt Möglichkeiten des Missbrauchs. Und das bereitet mir große Sorge.

Scholl: Das heißt, die Legitimation und Festlegung der Kriterien für einen solchen Angriff ist jeder demokratischen oder öffentlichen Kontrolle entzogen?

Krishnan: Ja, so sieht es zumindest in den USA aus. Also es gibt jetzt die "Dispositionmatrix", das wurde vor ein paar Wochen in der "Washington Post" veröffentlicht, das ist eine Datenbank, in der die Namen von Terroristen gespeichert sind, wie auch andere Daten zu diesen Terroristen. Und die Datenbank soll dann Möglichkeiten zu deren Neutralisierung auswählen. Es ist also auch denkbar, dass Namen von Personen automatisch zu dieser Datenbank hinzugefügt werden mithilfe von den ganzen Überwachungsdaten, die gesammelt werden. Und das ist eine erschreckende Zukunft, weil dann entscheidet der Computer, wer ein Terrorist ist und wer sterben muss.

Scholl: Müsste es dementsprechend ja neue internationale Vereinbarungen, Bestimmungen geben, so ähnlich einer Genfer Konvention?

Krishnan: Nun ja, ich glaube, militärische Handlungen oder Kriegshandlungen müssen weiterhin als solche sichtbar sein und von Menschenrechtsorganisationen beobachtet werden können. Wenn wir immer mehr auf eine geheime Kriegsführung hinsteuern, dann wird das vielleicht in Zukunft gar nicht mehr der Fall sein. Und deshalb, glaube ich, ist es sehr wichtig, dass wir ein internationales Verbot von gezielten Tötungen außerhalb von Kriegsgebieten bekommen. Andernfalls gibt es halt die Möglichkeit des Missbrauchs immer mehr.

Scholl: Auf welches Szenario müssen wir uns dann in Zukunft einstellen?

Krishnan: Immer mehr verdächtige Todesfälle von unliebsamen Personen, auch in westlichen Demokratien. Es wird möglich für Regierungen, abstreitbar zu töten. Also im Grunde besitzen Regierungen oder Geheimdienste diese Möglichkeit bereits jetzt. Aber es könnte sich halt immer mehr ausweiten. Zum Beispiel die Ermordung von dem Hamas-Militärchef in Dubai in 2010, da hat der Mossad durch eine Giftinjektion getötet, die den Tod wie einen natürlichen Tod hat aussehen lassen, wenigstens zuerst. Und das bedeutet, gezielte Tötungen werden ja nicht nur mit Drohnen durchgeführt, gezielte Tötungen können auch von Geheimdiensten ausgeführt werden in einer Weise, die abstreitbar ist. Es sieht halt dann aus wie ein natürlicher Tod. Und es gibt keine Möglichkeit, die Regierung dann noch zur Rechenschaft zu ziehen.

Scholl: Armin Krishnan von der Universität Texas. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Krishnan: Ja, vielen Dank, hat mich sehr gefreut!

Scholl: Armin Krishnan, sein jüngstes Buch "Gezielte Tötung – die Zukunft des Krieges" ist im Verlag Mattes und Seitz erschienen. Und wir setzen unsere Reihe morgen fort im Gespräch mit dem Physiker Jürgen Altmann, dann wird es um die nächste technische Stufe gehen, den Krieg der Roboter – morgen hier im "Radiofeuilleton" wieder, kurz nach zwei.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Die Zukunft des Krieges - Visionen und Alpträume zu den Kampfplätzen von morgen
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