Die Geschichte eines Menschheitstraums

31.01.2011
Den Menschen hat das Fliegen von alters her fasziniert und interessiert. Heutzutage können wir in Überschallgeschwindigkeit um den Globus jetten. Die Geschichte des Fliegens erzählt Kulturwissenschaftlerin Natascha Adamowsky in ihrem Buch.
Obwohl in neueren flughistoriografischen Darstellungen die Eroberung des Himmels durch Ballone und Flugzeuge häufig als ein "Wunder der Technik" beschrieben wird, dominieren in den Beschreibungen die technischen Momente der Pionierleistung. Der Aspekt des "Wunders" wird vernachlässigt. So entsteht leicht der Eindruck, als hätten die Pioniere des Flugwesens in enger Zusammenarbeit mit den klügsten Köpfen der Wissenschaft in kontinuierlicher Arbeit einen alten Menschheitstraum verwirklicht. Dass diese Beschreibung vom Triumph der Technik einseitig ist, macht Natascha Adamowsky in ihrer anderen "Kulturgeschichte des Fliegens" deutlich.

Die Vorstellung vom Fliegen sorgte neben "rauschhaftem Verzücken" auch für Schrecken und Entsetzen. So werden in Zeidlers "Fliegendem Wandermann" von 1710 neben den Nützlichkeiten, die mit dem Fliegen einhergehen, so man es denn könnte (Reiseerleichterung, bessere Handelsbeziehungen) auch die möglichen Gefahren genannt. Leicht könnte man sich zu Tode stürzen und die Fuhrleute könnten arbeitslos werden. Auch auf den möglichen Unfug wird verwiesen, den das Fliegen mit sich bringen könnte, denn schließlich wäre ein in der Luft fliegender Schelm in der Lage, jemandem, der auf der Erde umhergeht, auf den "Kopf zu pinkeln", und schließlich würden sich das Vergnügen zu fliegen wohl nur Reiche leisten können.

In der reich bebilderten und sehr anschaulich geschriebenen Arbeit, mit der sich die Kulturwissenschaftlerin Adamowsky an der Berliner Humboldt-Universität habilitierte, macht sie neben der Verbindung, die zwischen der Wissenschaft und dem Vergnügen besteht, auch auf die Beziehung zwischen den Künsten und der Technik aufmerksam, wenn sie nach den "zahlreichen Geschichten des Fliegens vor dem Fliegen" fragt. Trotz einer gewissen Skepsis geht vom Fliegen eine enorme Faszination aus. Denn nach der Eroberung des horizontalen Raums geht mit dem Fliegen der Versuch einher, sich den vertikalen Raum zu erschließen. In diesem Raum aber sind die Vorstellungen vom Wunderbaren angesiedelt. Die Seiltänzer, die Raketen- und Feuerwerke oder die Theaterillusionen nehmen bereits Verbindung mit dem Himmel auf, bevor ihn die fliegenden Himmelsstürmer erobert haben. Dennoch ist es unglaublich, eben ein Wunder, als im November 1783 der erste Menschenflug in einen Ballon gelingt.

Bei der Lektüre des Buches vergeht die Zeit wie im Fluge, denn bei dieser Reise durch die Jahrhunderte werden überzeugend verschiedene Mythen aus dem Weg räumt. Die Geschichte des Fliegens war kein geplantes Langzeitprojekt, an dessen Ende schließlich die erfolgreiche Eroberung des Himmels stehen musste. Neben der Technikgeschichte, die Adamowsky nicht unterschlägt, lenkt sie in dieser erhellenden Arbeit immer wieder den Blick auf jene Wunder-Momente, die bei aller Technikfaszination aus dem Blickfeld geraten sind. Mit unermüdlichem Enthusiasmus ließen sich in der Frühzeit Schneider und Mönche nicht von einer "aberwitzigen" Idee abbringen. Später waren es "Gartenschuppentechniker", die einen Traum verwirklichen wollten, für den sie reichlich Spott ernteten. Den musste auch Otto Lilienthal über sich ergehen lassen, von dem das vorletzte Kapitel dieses sehr lesenswerten Buches handelt.

Besprochen von Michael Opitz

Natascha Adamowsky: Das Wunder in der Moderne. Eine andere Kulturgeschichte des Fliegens Wilhelm Fink Verlag, München 2010
264 Seiten, 49,90 Euro