Die Geschichte des Rudi Stupar

23.01.2009
In den Mittelpunkt seines Romans "Das russische Fenster" rückt der preisgekrönte serbische Schriftsteller Dragan Velikic die Geschichte eines Mannes, der von sich selbst besessen scheint und zugleich von Halt- und Ratlosigkeit geprägt ist. Doch die Geschichte des Rudi Stupar entpuppt sich als ein insgesamt gedankenarmes und mit schwachen Bildern versehenes Textgefüge.
Irgendwann steckt sich Rudi Stupar ein Buch in die Tasche, seine Reiselektüre; dann läuft der angehende Schriftsteller um die Dreißig zu den Schließfächern des Hamburger Hauptbahnhofs und bereitet sich auf die Rückreise nach Belgrad vor.

"Er spürte, wie Zufriedenheit seinen Körper durchströmte, verursacht durch die Bewegung der Schichten in seinem Gedächtnis. Er atmete tief durch."

Mit dem Gefühl freudiger Erwartung endet Stupars mehrjährige Odyssee durch Europa.

In den Mittelpunkt seines Romans "Das russische Fenster", der in der deutschen Übersetzung von Bärbel Schulte bei dtv vorliegt, rückt der vielfach preisgekrönte serbische Schriftsteller Dragan Velikic die Geschichte eines Mannes, der von sich selbst besessen scheint und zugleich von Halt- und Ratlosigkeit geprägt ist.

Als Sohn einer Theaterschneiderin und eines Provinzjournalisten in einer kleinen Stadt der Vojvodina geboren, sucht Rudi Stupar die große Welt zunächst in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Nachdem ihn die Theaterakademie abgelehnt hat, absolviert er ein Studium der Germanistik und betätigt sich nach dem Diplom als Begleiter gehbehinderter Menschen. Deren Geschichten protokolliert er nicht nur, sondern er lebt sie in seiner eigenen überbordenden Fantasie nach. Handfeste Liebesbeziehungen ermüden ihn indes rasch.

Als er auf der Flucht vor dem Wehrdienst in Budapest landet, geht es im Prinzip so weiter. Stupar besetzt in Gedanken fremde Wohnungen für sich, lebt in der Vergangenheit anderer Menschen, und nicht einmal beim Liebesakt kann er sich von dem Gedanken an seine "Vorgänger" freimachen. Das Bombardement Jugoslawiens Ende der 90er Jahre hält den Wehrdienstflüchtigen im Ausland fest.

Rudi verzehrt ein Erbe und schlägt sich zusätzlich in Budapest und München mit Gelegenheitsjobs durch, um schließlich in einem Hamburger Bestattungsunternehmen zu reüssieren.

Gegen die Komposition dieses Romans, in der Rudis Gedanken und Erlebnisse auf schroffe, manchmal auch bizarre Weise neben die Erzählungen der übrigen Figuren gestellt werden, kann man nichts einwenden. Und dort, wo Velikic diese Figuren, allen voran den nach einem Unfall beinamputierten Musiker Danijel sprechen läßt, ahnt man etwas von der Sprachkraft des Autors.

Doch die eigentliche Geschichte des Rudi Stupar entpuppt sich - von einzelnen beeindruckenden Szenen abgesehen - als ein insgesamt gedankenarmes und mit schwachen Bildern versehenes Textgefüge.

Schon auf etwa der Hälfte der vierhundert Buchseiten möchte man kaum noch folgen. Es dominieren philosophisch aufgeladene, im Kern aber triviale Szenen aus dem Alltag, deren Vielzahl und Ähnlichkeit jeden tieferen Eindruck zunichte machen und dem Buch, zumal in den immer wieder minutiösen, literarisch kaum einleuchtenden Sex-Szenen, etwas geradezu Peinliches geben.

Dragan Velikic, als Autor und Journalist ein bedeutender Kopf der serbischen Opposition gegen das damalige Milosevic-Regime, amtiert seit über drei Jahren als serbischer Botschafter in Wien. Die Diplomatie mag der literarischen Inspiration nicht immer förderlich sein.

Rezensiert von Martin Sander

Dragan Velikic: Das russische Fenster,
Roman. Aus dem Serbischen von Bärbel Schulte,
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008,
400 Seiten, 14,90 Euro