"Die Gene sind nicht das Programm für unser Leben"

Christiane Woopen im Gespräch mit Gabi Wuttke · 15.05.2013
Die Gendiagnostik birgt nach Meinung von Christiane Woopen die Gefahr eines Gesundheitsdiktats. Dabei sei der Mensch "viel mehr als seine Gene", betont die Vorsitzende des Ethikrates. Schwierig sei auch die "missionarische Absicht", mit der US-Schauspielerin Angelina Jolie ihre Entscheidung publik gemacht habe.
Gabi Wuttke: Eine Frau lässt sich ihre Brüste amputieren – schon dieser Satz jagt jedem eine Gänsehaut über den Rücken. Angelina Jolie ist nicht die Erste und Einzige, die sich für diesen so ungemein radikalen Schnitt entschieden hat, aber ein Gentest hatte auch ihr bescheinigt, dass sie mit fast 90-prozentiger Sicherheit an Brustkrebs erkranken würde, was der couragierten Hollywoodschauspielerin früh die eigene Mutter genommen hatte. Genau so hat sie auch ihre Entscheidung begründet: Sie will für ihre Kinder da sein. Von Christiane Woopen, der stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats wollte ich wissen, ob sie so eine harte, unumkehrbare Entscheidung auch treffen würde.

Christiane Woopen: Ich persönlich würde voraussichtlich mir ganz viel Zeit lassen, um überhaupt zu entscheiden, eine solche Diagnostik durchführen zu lassen, und mir versuchen vor der Diagnostik zu überlegen, welche Handlungsoptionen ich dann habe. Denn man muss ja auch überlegen, was es bedeutet, dieses Wissen überhaupt zu haben. Wichtig scheint mir zu sein, sich ganz viel Zeit dafür zu nehmen.

Wuttke: Angelina Jolie ist an die Öffentlichkeit gegangen, hat sie gesagt, um Frauen in derselben Situation Mut für diese radikale Operation zu machen. Hat sie damit für Sie signalisiert, dass Krebstherapien und medizinischer Fortschritt gar nichts wert sind?

Woopen: Ich finde genau diese missionarische Absicht dahinter sehr schwierig. Der Weg, den Angelina Jolie jetzt gegangen ist, muss nicht für jede Frau in derselben Situation der richtige Weg sein. Es ist gut, wenn man sich mit einem Risiko bewusst auseinandersetzt und sich dann überlegt, welche Schritte man gehen möchte, aber die radikale Lösung, die Angelina Jolie jetzt gewählt hat, muss nicht für jede Frau die richtige Lösung sein.

Wuttke: Wie verstehen Sie denn diese Frau als Frau?

Woopen: Das war für sie jetzt der Weg, eine Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen, weil sie für sich die Wertung offenbar getroffen hat, dass das für sie das Risiko zu erkranken oder zu sterben, beträchtlich senken wird. Ob das tatsächlich der Fall sein wird, wird erst die Zukunft zeigen, es gibt ja auch andere Wege, mit dem Risiko umzugehen, indem man sich regelmäßig untersuchen lässt. Es geht beim Brustkrebs um eine behandelbare Erkrankung, also es ist nicht der einzige Weg tatsächlich, die Sterblichkeit zu reduzieren beziehungsweise eben dann zu einem späteren Zeitpunkt erst an was auch immer zu versterben.

Wuttke: Frau Woopen, zusammengefasst: Sie halten von diesem Schritt eigentlich gar nicht viel?

Woopen: Ich halte es dann für viel, wenn die Betreffende es für sich für die richtige Lösung hält. Ich halte nichts davon, es jedermann als die einzig richtige Lösung zu propagieren.

Wuttke: Gegen Brustkrebs lässt sich heute ja einiges tun, Sie haben es ja auch gesagt, es gibt aber auch Krankheiten, gegen die die Medizin noch immer ziemlich machtlos ist. Sollten sich Ihrer Meinung nach Menschen auch da Gewissheit zumindest über ihre Gefährdung holen?

Woopen: Ich glaube nicht, dass es ein sollte in diesem Zusammenhang gibt. Die Möglichkeiten, etwas mehr über seine Risiken für zukünftige Erkrankungen zu erfahren, ist ein für den Menschen sehr schwieriges Risiko. Einmal birgt es die Gefahr, dass man dem Irrtum aufläuft, alles, was in den Genen steht, ist auch tatsächlich schon ein festgeschriebenes Schicksal, und man vergisst dabei, dass der Mensch sehr viel mehr ist als seine Gene. Das andere Risiko besteht darin, dass man plötzlich das ganze Leben unter so ein Gesundheitsdiktat stellt und denkt, dass ein sinnvolles Leben nur ein gesundes Leben wäre. Das aber ist natürlich nicht der Fall. Ich glaube, dass die ganzen neuen Möglichkeiten der genetischen Diagnostik sehr viele gute Seiten haben können, und die sollten wir nutzen, sie können aber auch viele Risiken mit sich bringen, es kann zu Problemen kommen beim Abschluss von Versicherungen et cetera. Und ich halte es mit der Stellungnahme des Ethikrates, die er ja gerade auch abgegeben hat, für ganz besonders wichtig, dass diese Diagnostik in einen vernünftigen Kontext von Aufklärung und Beratung eingebunden wird.

Wuttke: Was heißt das genau?

Woopen: Das heißt, dass derjenige, der etwas über seine genetischen Veranlagungen wissen möchte, zum Arzt geht oder zu einem genetischen Berater, wenn dieses Berufsbild in Deutschland einmal eingeführt wird, um sich dort über die Möglichkeiten zu informieren und auch darüber, was das für ihn und sein persönliches Leben bedeuten wird.

Wuttke: In jedem Fall: Gentests können nicht nur ein einzelnes Leben verändern, sie können entscheiden, ob Paare zusammenbleiben, ob sie Kinder bekommen – und Sie haben das Stichwort ja schon genannt, Schicksal. Ist es für Sie übertrieben, zu sagen, was wir Schicksal nennen, gilt jetzt unter Umständen nicht mehr, weil wir haben ja jetzt Gentests?

Woopen: Gentests sind nur ein kleiner Ausschnitt an Informationen

Woopen: Nein, die Gentests, die bringen uns ja nur einen kleinen Ausschnitt an Informationen über unsere körperlich-biologischen Bedingtheiten. Unsere Biologie umfasst noch viel mehr als die Gene, und das Menschsein umfasst viel mehr als die Biologie. Schicksal wird sich durch keine Technik der Welt aufhalten lassen, und werden wir durch keine Technik der Welt irgendwie so in den Griff kriegen, dass es vollständig verschwinden wird. Es bekommt natürlich andere Facetten, es betrifft dann andere Bereiche des Leben oder kommt um andere Ecken herum in unser Leben hinein. Aber das Schicksal wird immer eine Größe sein, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Wuttke: Und das Prinzip Hoffnung, das uns eigentlich so durchs Leben leitet, ist das damit genau so?

Woopen: Das ist damit genau so. Mit der Hoffnung verbindet sich auch eine zunehmende Verantwortung mit zunehmenden Möglichkeiten. Denn mit zunehmenden Möglichkeiten, aus unterschiedlichen Varianten zu wählen, müssen wir dafür auch die Verantwortung übernehmen und können nicht einfach sagen, das ist mir wiederfahren, das hat mich jetzt ereilt, sondern wir müssen eine Wahl treffen. Und deswegen halte ich es auch für wichtig, dass die Informationen dazu, diese Wahl überhaupt treffen zu können, qualitätsgesichert jedermann zur Verfügung stehen.

Wuttke: Diese Gentests sind doch aber auch wie gemacht für Menschen, die ihr Leben absolut unter Kontrolle haben wollen.

Woopen: Das aber ist genau der große Irrtum, der dahintersteckt, denn die Gene sind nicht das Programm für unser Leben, sondern die Gene sind ein Teil der Geschichte, die wir in unserem Leben selber schreiben. Und insofern können wir sie an der einen oder anderen Stelle nutzen, aber wir können nicht davon ausgehen, dass damit das Programm unseres Lebens geschrieben wäre.

Wuttke: Glauben Sie, das ist Menschen, die Gentests machen, so klar, oder anders herum, verändert sich deren Blick auf ihr Leben, das Leben ihrer Familie und der Welt nicht nachhaltig?

Woopen: Ich glaube, dass die Gefahr tatsächlich gegeben ist mit den genetischen Erkenntnissen, zu glauben, dass man sehr viel über sein eigenes Leben wüsste, welches Sportprogramm man wählt, man möchte den Nachwuchs auswählen oder was auch immer für Fantasien sich auch damit verbinden. Deswegen ist es so wichtig, deutlich zu machen, was genetische Informationen tatsächlich bedeuten, was sie helfen können, wo sie gut nutzbar sind, zum Wohle für den Menschen, und wo sie uns auch in die Irre führen, oder mehr zu sagen vorgeben, als sie es tatsächlich tun.

Wuttke: … sagt Christiane Woopen, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Ich danke Ihnen sehr!

Woopen: Gerne, vielen Dank auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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