Die "gemeinen Germanen" sind "sehr scheinheilig" beim Doping

Werner Franke im Gespräch mit Martin Steinhage und Thomas Wheeler · 21.07.2012
Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in London ist der Molekularbiologe Werner Franke geschockt durch neuere Entwicklungen im Dopingbereich. Das Fachwissen und die Vorgehensweise der Kontrolleure müssten erheblich verbessert werden, um den Kampf gegen Manipulationen erfolgreicher zu gestalten, so Franke.
Deutschlandradio Kultur: Herr Franke, in sechs Tagen beginnen in London die Olympischen Sommerspiele. Freuen Sie sich darauf?

Werner Franke: Nein, freuen kann man sich nicht darauf. Ich bin relativ ohne Emotionen dabei. Ich bin aber im Vorhinein schon geschockt durch neuere Entwicklungen im Dopingbereich, die gerade mich, als in der Krebsforschung Tätigen, besonders treffen.

Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie da konkret?

Werner Franke: Ich meine damit, dass bewiesen und erkennbar ist, dass immer mehr Mittel, die in der Behandlung – zum Beispiel von Brustkrebs bei der Frau – bei Frauen jetzt eingesetzt werden zur Erhöhung des inneren Gehaltes an Testosteron, also männlichem Keimdrüsenhormon. Man blockiert also die Umwandlung an bestimmten Molekülen der Oberfläche der weiblichen Brustzellen und verhindert so die Umwandlung des körpereigenen Testosteron, also des männlichen Keimdrüsenhormons bei der Frau, in weibliches an einem Enzym namens Aromatase. Dadurch steigert man aber im weiblichen Körper den Gehalt an körpereigenem Testosteron, also männlichem Keimdrüsenhormon, das man früher in der Regel zusetzen musste durch Injektionen oder durch orale Präparate wie dieses Andriol usw. Das macht man also heute mit immer neuen Heilmitteln – eine besondere Perversion in diesem Fall des Brustkrebses.

Deutschlandradio Kultur: Ist das nachweisbar? Oder ist man da sozusagen auch gar nicht auf der Spur, um das rauszukriegen?

Werner Franke: Prinzipiell ist das nachweisbar, oder kann es nachgewiesen werden. Man muss allerdings einen Test für jedes dieser Medikamente haben. Der bekannteste Fall in der jüngsten Zeit war die russische frühere Hammerwurfweltrekordlerin Tatjana Lyssenko, die im Jahre 2008 damit erwischt wurde. Sie war dann zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen, aber sie war voriges Jahr schon wieder Weltmeisterin in Daegu. Und sie hat nicht teilgenommen auf den Europameisterschaften. Man muss also davon ausgehen, dass sie der Betty Heidler, der deutschen Hammerwerferin, das Leben sehr schwer machen wird.

Denn man muss auch davon ausgehen, dass die in dieser Stillezeit zwischendurch natürlich mit allem Möglichen gedopt hat. Das heißt also, wir haben hier hoch raffiniertes Doping. Das kann nur so ablaufen, indem in diesem Fall im russischen Team Personen sind, die sich absolut damit auskennen, mit immer den neuesten Mitteln und auch den neuesten Erkennungsmethoden. Das heißt, die eigentlichen Täter sind ja nicht die Athletinnen in diesem Fall.

Deutschlandradio Kultur: Welche Personen sprechen Sie da jetzt an aus dem Umfeld der russischen Hammerwerferin oder auch des russischen Teams? Geht das sogar weiter noch, weg von der Mannschaft?

Werner Franke: Na ja, das weiß man nicht so genau, wie weit es weg geht, aber es müssen Sportmediziner oder auch bestimmte vorgebildete Trainer sein, die das machen.

Und ich kann Ihnen das gleich weiter sagen, weil wir ja bei russischen Athletinnen sind: Im selben Jahr wurden auf einen Schlag im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking sieben russische Spitzenathletinnen Weltrekordlerin – über 5.000 Meter, Hallenweltmeisterin über 1.500 Meter und, und, und, Europameisterin im Diskuswerfen. Die wurden also gesperrt. Da stand in deutschen Zeitungen nur "wegen Urin-Manipulation" – mehr nicht.

Und hier muss ich auch ganz einfach den deutschen Medien vorwerfen: Warum reden sie so drum herum, was da geschehen ist mit diesen sieben Superspitzensportlerinnen, die jetzt alle wieder startberechtigt sind? Wahrscheinlich sind alle auch in London jetzt am Start, die ersten vier mit Sicherheit. Und da klopft es etwa zweieinhalb Stunden, bevor die ins Stadion fahren, an der Hoteltür, jemand kommt rein – sei es ein Sportmediziner, sei es in dem Fall auch ein Trainer – und die Athletin geht auf die Toilette, pinkelt sich voll aus, legt sich hin, macht die Beine breit und dann kommt der Coach oder der Trainer mit einem Plastikschlauch, bei Frauen geht das leicht. Und bei Männern geht das natürlich auch durch die Harnröhre, aber das ist schmerzhafter, und führt das transvaginal in die Blase ein, nämlich sauberen Fremd-Urin.

Natürlich, wenn man doof ist, wie das Gott sei Dank mal der Fall war, und man gibt männlichen Urin da rein, da kann das sogar ein Doktorand bei der Analyse erkennen. So fiel das da auf, fielen alle sieben auf – also von der Diskuswerferin bis zur 5.000-Meter-Läuferin. Das ist natürlich eine Methode, da wird da nichts mehr erkannt.

Das kennen wir. Früher wurde das auch gemacht. Ich erinnere daran, dass der oberste DDR-Sportmediziner, Höppner - Doping-Fahnder sollte er ja sein -, ist ja auch verurteilt worden, das auch gemacht hat. Der sollte eigentlich Doping kontrollieren, hat dann aber die Versiegelung aufgemacht von seinen DDR-Athleten, die kannte er ja. Und dann hat er seinen eigenen Urin reingetan oder den Urin eines Trainers.

Und da ich hier in Mannheim sitze, ich muss das mal sagen, hier ist letztes Jahr im Amtsgericht ein Dopingkontrolleur, das ist da mal aufgefallen, verurteilt worden zu einer Geldstrafe. Der hat nämlich gar nicht mehr kontrolliert. Der hat seine Schwester pinkeln lassen. Da war also alles gefaked, alle Proben – in Deutschland, weil Deutschland immer so selbstgerecht auf andere zeigt.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Ihnen hier richtig folge, dann machen ja eigentlich die angekündigten über 6.000 Dopingkontrollen bei den Olympischen Spielen in London wenig Sinn. Oder ist das doch sinnvoll?

Werner Franke: Also, zunächst mal ist es vor allen Dingen angesichts der Zahl, die da verkauft wird, albern. Das machen sie aber, bei jeden Olympischen Spielen ist das so geschehen. Das soll die Leute beeindrucken. Ja, wer wird denn zu Olympischen Spielen fahren und dabei erkennbare Proben im Urin haben? Aber hallo! So doof kann ja eigentlich kaum jemand sein. Es werden auch entsprechend wenige erwischt.

Nun ist ein Zusatzargument, dass dann Jahre später, wenn neue Tests entwickelt worden sind, dass man dann ja Dinge prüfen könnte, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Olympischen Spiele noch nicht messbar waren. Das ist mal erfolgreich gewesen bei der Verbindung Cera, also einer Epo-ähnlichen Verbindung. Der deutsche Radsportler Schumacher ist dann aufgefallen usw. Ich glaube, es sind fünf Athleten, auch der Olympiasieger über 1.500 Meter, da sind einige aufgefallen. Insofern, für die späteren eventuellen Messungen mag das sinnvoll sein, aber beeindrucken darf das nicht. Denn keiner ist doch so bescheuert und fährt da hin, wenn er weiß, ich kann entdeckt werden.

Deutschlandradio Kultur: Olympia steht vor der Tür. Die Tour de France geht morgen schon wieder zu Ende, die 99. Auflage. Der Radsport hat ja in Punkto Doping einen ganz besonders schlechten Ruf verständlicherweise. Nun hat es den Spitzenfahrer Fränk Schleck erwischt. Die ganz, ganz naive Frage: Hat der Kampf gegen das Doping in dieser Sportart deshalb Fortschritte gemacht?

Werner Franke: Nein. Also, Fränk Schleck, da muss ich mich ja eher wundern. Wie korrupt ist denn dieses System? Fränk Schleck war schon bekannt seit 2005. Ich habe selbst Kopien der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, wie er bestimmte Beträge an den Dr. Fuentes, der ja auch Jan Ulrich ja dort gedopt hat, bezahlt hat. Da war auch Fränk Schleck immer dabei, auch Jaksche war dabei, auch ein deutscher Radfahrer, wie Sie wissen. Und da hat sich aber um den Luxemburger Schleck - wahrscheinlich hat er das für beide Brüder dann immer gleich bestellt -, da hat sich keiner gekümmert. Er soll gesagt haben, er hätte das nur als Beratung getan. Hallo! Beratung – durch einen Gynäkologen? Dr. Fuentes ist Gynäkologe! Der kann also da wenig Ratschläge geben. Der kann nur Ratschläge geben, was man nehmen muss, um zu dopen. Und so ist es ja da auch geschehen.

Also, Schleck war genauso unter den Sündern von 2005, 2006, wie viele andere Athleten auch. Er ist komischerweise nie bestraft worden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Prof. Franke, kehren wir mal sozusagen vor der eigenen Haustüre und nehmen wir das Thema Doping als Ganzes und schauen mal nur auf Deutschland: Worin liegt das Hauptproblem der Dopingbekämpfung hierzulande?

Werner Franke: Ja, es liegt darin, dass nicht intelligent genug kontrolliert wird, wenn irgendwelche angeheuerten Leute, die sich ein paar Euro-Fuffzig verdienen wollen, das machen, ohne eine entsprechende Ausbildung. Ich kann immer nur sagen: Deutsche Dopingkontrollen waren vorbildlich, solange sie Klaus Wengoborski, ein pensionierter Kriminalbeamter…

Deutschlandradio Kultur: Stichwort Katrin Krabbe.

Werner Franke: Nicht nur Katrin Krabbe, der hat ja die ganze österreichische 4X100 - übrigens auch durch solche Urin-Manipulationen -, aber er hat sie trotzdem erwischt. Ich kann jetzt nicht erzählen – würde zu lange dauern – wie. Der hat also reihenweise Leute durch geschicktes Vorgehen, da wusste man nicht, wann er kommt: Sagen wir, es war seine Tochter, eine weibliche oder männliche Person, ging vorne rein, er ging zum Hinterausgang, Katrin Krabbe kam raus, er sagte: Ach, Frau Krabbe, gut, dass ich Sie treffe – usw. Also, der hat das voll geplant – wie ein Kriminalbeamter eben.

Und was war die Folge? Er ist dann mal in der Westfalenhalle in Dortmund, als er griechische Sportler kontrollieren wollte, zusammengeschlagen worden von dem Trainer. Die sind dann rausgestürmt aus der Westfalenhalle und über Düsseldorf nach Moskau und von Moskau nach Athen geflogen. Die Folge war, dass Wengoborski nicht mehr international kontrollieren sollte.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die Ausbildung der Kontrolleure, wenn ich Sie richtig verstehe, und deren Fachwissen muss enorm verbessert werden. Im Prinzip muss das ganze Ding grundlegend verändert werden.

Werner Franke: Sowohl deren Fachwissen als auch deren Vorgehensweise. In der Tat müssten hier versierte Kriminalbeamte Kurse geben, um das erfolgreich zu gestalten.

Deutschlandradio Kultur: Liegt es vielleicht auch daran, dass das Interesse manchmal gar nicht so groß ist, dass jemand auffliegt? Kann man es auch so rum drehen?

Werner Franke: Ja, sicher. Also, der Staat, der deutsche Staat, das ist ja sowieso bewiesen durch die Untersuchungen der großen Untersuchungskommission an der Universität Freiburg, der deutsche Staat hat immer das eigentliche Interesse, möglichst viele Medaillen zu gewinnen. Das sagt man natürlich dann nicht so. Aber Herr Schäuble hat’s ja mal mehr oder weniger direkt gesagt früher, auch später noch Ministerialbeamten des Innenministeriums bei einer Gebäudeeinweihung in Freiburg usw., bei verschiedenen Gelegenheiten: Ich nenne das immer das Pontius-Pilatus-Prinzip. Man will, dass jemand den Dreck macht, aber man will es selber nicht tun. Man geht dann nach nebenan und wäscht seine Hände in Unschuld. Aber die Nation braucht Medaillen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Franke, was meinen Sie, wie hoch ist insgesamt in etwa der Anteil aller Sportler, die beim Doping überhaupt erwischt werden?

Werner Franke: Das ist sehr unterschiedlich – einmal nach Sportart, also auch in derselben Sportkategorie, etwa Leichtathletik, ist das sehr, sehr unterschiedlich. Und dann auf der anderen Seite ist es unterschiedlich nach Nationen auch, wie es ja früher auch schon war. Und man muss sagen, Deutschland ist da keineswegs so vorbildlich, wie sie immer tun. Ich würde sagen, in Europa ist ganz klar der beste Stand der Dopingkontrollen bzw. der Bestrafung in Frankreich.

Deutschlandradio Kultur: Und Pi mal Daumen, wenn Sie jetzt Olympische Spiele sehen, bei wie viel würden Sie sagen, na ja, ob die so wirklich sauber sind?

Werner Franke: Also, man kann nur von Bekanntem ausgehen. Nehmen wir das Populärste, Sprint Männer und Frauen, da ist bei beiden nachgewiesen, dass die, die im Finale waren, zu über fünfzig Prozent gedopt waren. Das ist nachgewiesen. Es können auch mehr sein. Der größere Teil der Finalisten in bestimmten Disziplinen ist positiv. Das sehen Sie ja auch so. Wenn Sie im Fernsehen eingeblendet links unten sehen, 400 Meter Frauen, Weltrekord 47,60 und jetzt bei den Europameisterschaften liegt die Europameisterin bei 51 Komma etwas, das sind ja vierzig Unterschied dabei. Das ist ja lächerlich.

Aber – und deshalb sage ich das Ihnen auch – die Medien machen ja immer wieder so Sätze wie: Ja, das stammt noch aus anderen Zeiten usw. Nein, man kann es ja sagen. Marita Koch war bei ihrem Weltrekord gedopt. Meine Frau Brigitte Berendonk hat das in ihrem Buch ja mit Milligramm aufgeschrieben. Wir haben ja die Daten. Die sind sogar von Gerichten geprüft worden. Aber man glaubt in Deutschland immer wieder den nationalen Heiligen.

Wir müssen uns einen Vorwurf machen: Die gemeinen Germanen sind wirklich sehr, sehr scheinheilig dabei. Wenn sie die Schnauze halten würden, wäre es leichter. Aber sie zeigen ja immer mit Fingern auf andere dabei. Wir haben es gerade erlebt an der Universität Freiburg. Sie erinnern sich vielleicht, bekanntester Dopingfall, da werden Sie mir sicher zustimmen, 1988 Ben Johnson, Olympiasieg, Supersieg – und am nächsten Tag war er positiv durch einen deutschen Kontrolleur übrigens, Herrn Professor Donicke und dessen Methode entdeckt. Und niemand hat bis heute zugegeben und gesagt, obwohl es gerichtskundig ist und auch umfangreiche Aussagen jetzt durch die große Untersuchungskommission von Freiburg belegt, dass große Teile der deutschen Olympiamannschaft dasselbe Zeug genommen haben, Stanozolol. Hier hieß das Präparat Stromba, das auch Ben Johnson genommen hat.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben am Olympiastützpunkt Erfurt eine Blutdopingaffäre ohne Konsequenzen gehabt. Das Verfahren gegen den Sportmediziner Andreas Franke, der ja das Blut von mindestens 30 Athletinnen und Athleten zu Dopingzwecken mit einer UV-Bestrahlung behandelt haben soll, ist nämlich eingestellt worden. Wie beurteilen Sie diese ganze Geschichte, diesen ganzen Sachverhalt?

Werner Franke: Dieser Sachverhalt ist auch, ich habe das schon mehrfach gesagt, in der DDR war das seit 1983 bekannt. Auch dort hat man sich auch schon drum gestritten: Ist das jetzt eigentlich richtiges Doping oder was anderes? Ich habe die Unterlagen auch schon zur Verfügung gestellt. Die Kenntnisse sind ja nicht gerade so groß. Das ist keine als wirksam bewiesene Methode. Komischerweise kenne ich auch ich Leute, die sagen, ja, danach fühlt man sich aber viel besser. Das ist eine Heilpraktikermethode, nicht anerkannt in der richtigen Medizin, aber sie ist natürlich Doping, weil jede Manipulation am Blut: Doping.

Deshalb verstehe ich diesen ganzen Streit nicht – NADA, WADA, wer sagt was? Entnahme von Blut, Behandlung von Blut, in dem Falle also mit UV und wieder Reingabe. Übrigens ist die UV-Behandlung nach der wirren Hypothese dieser Leute nicht nur ein dem Fall zur Desinfektion gedacht. Es gibt auch verschiedene Varianten dieser Methode. Sie ist für einen Naturwissenschaftler so albern, dass ich da nicht weiter drüber reden will. Aber ganz klar fällt es unter Doping nach WADA-Begriffen.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt schon das Stichwort WADA und NADA genannt. Herr Franke, wie erklären Sie die Defizite bei der Nationalen Dopingagentur? Fehlt der NADA das Wissen? Fehlen ihr die Mittel? Oder mangelt es dort schlicht an der Bereitschaft, kompromisslos und erfolgreich gegen Doping vorzugehen, was je eigentlich deren Job ist?

Werner Franke: Also, alles, was Sie sagten, fehlt ihnen. Natürlich fehlt denen das Wissen. Sie müssen in der NADA ja hervorragende analytische Chemiker drin sitzen haben. Die sollten nicht identisch sein mit einem Doping-Kontrolllabor-Chemiker, aber sie sollten eben die Methoden, auch die allerneuesten Methoden kennen.

Zweitens kann es doch nicht sein, dass einer der Haupt-Doper, zum Beispiel dieser Dr. Huber, der Radfahrerdoper von zum Beispiel Seoul, den Olympischen Spielen 88, den ich gerade nannte.

Deutschlandradio Kultur: Von der Universität Freiburg.

Werner Franke: Der war der Mediziner in der NADA. Na, was ist denn das? Das ist ja grotesk.

Und schließlich muss man sagen: Die Mittel reichen nicht aus, die in unserem System aufgewandt werden, um für die Methoden, die noch nicht nachgewiesen werden können, neue Tests zu entwickeln. Das würde etwas kosten, ein Doktorand, sage ich mal, 100.000 pro Jahr, na ja, für drei- vierhunderttausend Euro würde man so einen Test dann schon entwickeln können. Aber dazu fehlt ja dann das Geld. Das heißt also, man muss viel mehr in die begleitende Forschung stecken dazu.

Deutschlandradio Kultur: Ist es nicht ohnehin so, dass sich nicht nur die Funktionäre, sondern die breite, an Sport interessierte Öffentlichkeit mit dem Phänomen Doping längst arrangiert haben und kritische Geister wie Sie da eher nur noch als Störenfriede wahrgenommen werden?

Werner Franke: Nein, das ist überhaupt nicht so. Ich kann nun eines dazu sagen: Als ich mit unserem Sohn, der auch Leichtathlet war, so vor der Siegerehrung standen, waren da ja manchmal auf der Seite dann irgendwelche Eltern mit ihren Kindern, Jugendlichen. Ja, dann kommen die auf einen zu und sagen, oh gut, dass Sie und Ihre Frau sich da noch kümmern, sonst könnten wir unsere Tochter da gar nicht mehr hinschicken zum Beispiel.

Ja, ich frage die da immer: Würden Sie Ihre Tochter da hinschicken? Beine breit machen, jemand kommt und pumpt in ihre Blase fremden Urin? Mit Ihrer Tochter? – Das will doch wirklich, glaube ich, keiner, der noch richtig im Kopf ist.

Das heißt also, wir müssen lernen und wir müssen es vertreten, eine Restethik muss erhalten bleiben dabei, was mit unseren Kindern, für die sind wir ja verantwortlich, auch für Jugendliche, geschieht. Das ist auch eine Sache der Nation. Ich vergleiche es immer mit unserem Nachbarland, die dort wirklich pionierhaft sind in der Dopingarbeit, Frankreich ist dort in den letzten Jahren auch in der Rechtsprechung vorbildlich. Dort hat es mal einen Prozess gegeben mit 23 Apothekern, die wegen Dopingmittelvergabe verurteilt worden sind.

Deutschlandradio Kultur: Herr Franke, es gibt immer mal wieder Stimmen, die fordern, Doping freizugeben. Schwachsinn?

Werner Franke: Ja, das ist nicht nur Schwachsinn, das ist vor allen Dingen auch gegen alle Gesetze. Bei uns ist es doch klar, durch das Arzneimittelgesetz ist Doping verboten durch die Paragraphen 95 und 96.

Deutschlandradio Kultur: Aber es wird gedopt.

Werner Franke: Ja natürlich, weil sie nicht angezeigt und erwischt werden.

Und das Zweite: Es ist auch strafgesetzlich verboten. Sehen Sie mal: Bleiben wir wieder bei uns selbst, bei den scheinheiligen Germanen. Wir haben einmal über einhundert Prozesse geführt mit Strafurteilen, aber nur beim Doping der DDR-Täter. Vorher war’s im Westen kaum was und jetzt ist es gar nichts, seitdem ist ja nichts mehr passiert. In Freiburg sind ja die betreffenden Täter seit fünf Jahren jetzt ohne Anklage. Da wird rumgeeiert und rumgeeiert und groteskerweise ist jetzt ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Freiburg zur Schwerpunktantidoping-Staatsanwaltschaft erklärt worden. Geht es noch komischer? Das ist doch Kabarett.

Deutschlandradio Kultur: Aber noch viel schlimmer wäre es ja dann, wenn jetzt die Horrorvorstellung wahr werden würde, dass wir in Zukunft gentechnisch manipulierte Monster hätten, die um Medaillen und Rekorde kämpfen.

Werner Franke: Na ja, also, die meisten Leute – Sie sprechen ja mit jemand, der zu denjenigen gehört, die in Deutschland als erste solche Gentransfers wirklich mal im eigentlichen Beruf gemacht haben. Ich habe auch damals das entdeckt.

Deutschlandradio Kultur: Als Molekularbiologe.

Werner Franke: Damals schickte mir ein Journalist der Frankfurter Allgemeinen dann Unterlagen zum Springstein-Prozess. Und dann merkte ich, hallo, was ist das? Und dann habe ich ihn noch abends um halb 12.00 Uhr zu Hause angerufen und gesagt: Auch Sie als Journalist müssen manchmal ungewohnte Dinge tun. Hat die Frankfurter Allgemeine dann auch vorbildlich getan. Da wurde vom Repoxygen geredet. Und das war eben gar kein Mittel, sondern es ist ein Vektor, also ein Stück DNA, in das in diesem Fall das Gen für Erythropoetin, also für Epo, eingebaut ist und das man zum Beispiel beim Menschen so anwenden kann, indem man das in den Lungenbereich einsprüht oder in die Haut appliziert. Das ist bei Tieren schon gezeigt worden und erfolgreich gewesen.

Die Rate aber bei menschlichen Gentransferversuchen war damals und ist auch heute nicht nur erfolglos, sondern auch mit einigen Todesfällen verbunden gewesen, dass es, glaube ich mit Sicherheit sagen zu können, es noch keine etablierte Methode, also keine sicher angewandte Methode bisher gibt. Aber das heißt nicht, dass man nicht aufpassen muss, dass es auch in Zukunft keine gibt.

Deutschlandradio Kultur: Nun sind Sie umstritten und nicht immer nur beliebt. Sie haben Freunde. Sie haben aber auch viele Feinde. Sie waren Hochschullehrer des Jahres, aber es gibt auch viele Leute, die sagen, der Franke schießt weit übers Ziel hinaus. Was motiviert Sie eigentlich, immer wieder aufs Neue seit nunmehr gut vierzig Jahren jetzt mit Anfang 70 den Finger immer noch in die Wunde zu legen und weiter zu kämpfen?

Werner Franke: Also, zuerst muss ich sagen: Ich leide nicht unter der Krankheit, beliebt sein zu wollen.

Deutschlandradio Kultur: Da stehen Sie auch nicht im Verdacht.

Werner Franke: Ich habe nur ein Prinzip. Das habe ich in meinem Beruf, aber auch sonst. Das ist die Wahrheit. Als Naturwissenschaftler interessiert mich die Wahrheit. Was ist wirklich Sache? Und das eben auch im Sport. Und dort ist aber eigentlich, muss ich bekennen, meine Frau die Hauptschuldige, also Brigitte Berendonk, frühere Sprecherin der Nationalmannschaft der Frauen in der Leichtathletik, aber eben auch Finalistin bei zwei Olympischen Spielen damals. Sie wurde deutsche Meisterin und musste sich da gegen die Weltrekordlerin, also Liesel Westermann durchsetzen usw. Sie hat ja den ersten großen Artikel geschrieben 1969…

Deutschlandradio Kultur: …"Züchten wir Monstren?"…

Werner Franke: Genau. Denn sie hatte das gemerkt in Mexiko bei den Olympischen Spielen. Sie hat gesagt, die verändern sich so. Die wirken so männlich. Die haben so komische Haarwuchsstellen. Die rotzen und so was, also Verhalten auch und so. Und da hatte sie das so haargenau beobachtet. Heute wissen wir, wann die erste DDR-Frau im Kugelstoßen, das ist also der Wettkampf, an dem sie auch teilgenommen hatte, die gedopt wurde, war nämlich Ende Juli 1968, also wenige Monate bevor meine Frau diese Beobachtung machte. Sie hat übrigens Kontrollen vorgeschlagen. Das wusste sie natürlich von mir, wie das geht. Ich hab gesagt, na klar, wir machen Massenspektrometrie usw., natürlich kann man das kontrollieren.

Und die Sportmediziner haben ihr widersprochen. Sie hatte ja damals schon mehrfach öffentliche Auseinandersetzungen mit Professor Keul und anderen. Sie werden sich vielleicht erinnern. Damals gab es drei Fernsehsendungen hintereinander, weil der Journalist Harry Valerien, ich glaube, er ist den meisten auch bekannt, dadurch so betroffen war, auch als Journalist, dass er das durchgesetzt hat. Und da war eine Hauptauseinandersetzung die zwischen meiner Frau und Professor Keul.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagten, Juli ´68 ist die erste DDR-Frau gedopt worden. Wann war denn die erste bundesdeutsche, westdeutsche, Frau gedopt? Wissen Sie das?

Werner Franke: Ja, also, also nicht systematisch, wie in der DDR, aber nach Aussagen jetzt von Keul selbst, also Professor Keul, war das im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 im Sprint Frauen und noch zwei drei anderen Disziplinen, also sporadisch, aber eben unwidersprochen. Und eine im Frauensprint ist ja daraufhin später auch zurückgetreten und hat es ja auch zugegeben.

Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Franke.

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